Reformation und Abschied: In Köln erklingen Gegensätze

Mendelssohn Bartholdy und Mahler  Kölner Philharmonie, 10. März 2025

Fleur Barron © Victoria Cadisch

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Daniel Harding, Dirigent
Fleur Barron, Mezzosopran
Andrew Staples, Tenor

Felix Mendelssohn Bartholdy – Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 – „Reformations-Sinfonie“

Gustav Mahler  – „Das Lied von der Erde“ – für Tenor, Alt/Bariton und Orchester mit Texten nach Hans Bethges „Die chinesische Flöte“

Kölner Philharmonie, 10. März 2025

von Daniel Janz

Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler – am heutigen Abend werden diese beiden Komponisten als große Widersätze präsentiert. Der eine wird ausgelassen fröhlich mit einer Sinfonie voller religiöser Geschichte und Euphorie gefeiert. Dem anderen wird mit einem Werk gedacht, das Welt, Leben und Sterben umfasst und religiöser Sehnsucht einen Abschied voller Leere gegenüberstellt. Unter Daniel Harding stellen sich die Gäste des Bayerischen Rundfunkorchesters in Köln der Aufgabe, diese Gegensätze miteinander zu verbinden.

Einstieg mit Höhen und Tiefen

Die Reformationssinfonie von Mendelssohn Bartholdy ist auch in unserer Zeit noch eines der oft gespielten Werke des von 1809 bis 1847 lebenden Komponisten. Obwohl viele der sakralen Themen, die er hierin verarbeitete, uns in Vergessenheit geraten sein dürften, ist diese Sinfonie immer noch äußerst wirksame Musik.

Dafür sorgt schon der belebte erste Satz, der von seinen – heute hervorragend gespielten – Bläserpassagen umrahmt wird. Besonders Hörner und Fagotte brechen stets als Klangträger hervor. In Satz 2 steigen die Streicher über ein wunderschönes Thema inklusive Ohrwurmcharakter ein. Und zum Finale ergreift ein feierlicher, vom fabelhaft gespielten Kontrafagott geleiteter Bläserchoral. Ist das also überragend?

Daniel Harding © Julian Hargreaves

Nun, das könnte es sein, wäre die Interpretation entsprechend durchdrungen. Bei der Leitung durch Daniel Harding (49) entsteht heute aber der Eindruck, dass dies nicht restlos gelingt. Der junge Dirigent aus Oxford strotzt auf der Bühne vor Energie. Immer wieder gibt er direkte Einsätze, schlägt wilde Gesten ins Orchester oder treibt seine Musiker an. Das hat Elan, das versprüht Energie. Stellenweise wirkt es aber mehr wie Ausdruckstanz als Dirigieren. Nicht selten stellt sich dabei der Eindruck ein, dass er die Musiker ganz von der Leine lässt und dadurch die Kontrolle verliert.

Bereits im ersten Satz versprüht das Hektik. Und im zweiten Satz wird der Moment verpasst, der Überleitung einen eigenen Anstrich zu verpassen. Satz 3 geht Harding schließlich komplett ab. Dieses Kleinod voller Wehmut sollte eigentlich rühren, langweilt aber stattdessen, weil den einzelnen Klängen keine Zeit zum Atmen gelassen wird. Wie gut, dass immerhin das Finale von Anfang bis zum Ende sitzt!


Mahlers „Lied von der Erde“ reißt das Publikum aus den Stühlen

In eine ähnliche Richtung weist zunächst der Einstieg in jenen Liederzyklus, den Gustav Mahler kurz vor seinem Tod 1911 hinterließ, ohne ihn selber noch zu hören. Auch in dieser Komposition wählt Harding einen etwas schnellen Ansatz. Ob er damit kaschieren möchte, dass der Bläserklang im Vergleich zu Mendelssohns Sinfonie nun zurückhaltender ist, weil die Hörner hier rechts von ihm ins Orchester einsortiert sind? Das „Trinklied vom Jammer der Erde“ klingt unter ihm jedenfalls etwas zahm.

Andrew Staples © Richard Ecclestone/Lucerne Festival

Vielleicht wählt er diesen Ansatz aber auch, um seine beiden Sängern auf der Bühne zu schonen. Andrew Staples (45) aus London, der das erste, dritte und fünfte Lied singt, geht hier jedenfalls bis an seine Grenzen. Die Kraft, die er in seine Stimme legen muss, merkt man ihm im ersten Lied an, das wirkt teilweise gequält steif. Deutlich entspannter wirkt er in den lyrischen Passagen von Lied 3 und 5, in denen sich sein ehernes Timbre gelöster entfalten und dadurch auch mehr berühren kann.

Eine Spur emotionaler bietet die singapurisch-irische Mezzosopranistin Fleur Barron ihre drei Lieder dar, wenn auch mit leichten Abschlägen in der Tiefe und der Textverständlichkeit. Ihr Gesang klart in der Höhe auf und entlädt ein Feuerwerk aus Sehnsucht und Nostalgie. Mit „Der Einsame im Herbst“ rührt sie zutiefst, während sie im vierten Lied keck zwischen damenhafter Zier und jugendlichem Übermut wechselt. Und in „Der Abschied“ kann sie zu einer Reihe Gänsehautmomenten führen.

Maßgeblich daran beteiligt sind auch Dirigent und Orchester, die spätestens zum zweiten Lied ins Werk gefunden und ihren drängenden Übermut gegen etwas mehr Gespür für den Moment ausgetauscht haben. Spätestens, als sie beim entschleunigten Oboensolo im zweiten Satz Fleur Barron die Vorlage geben, ist das höchstes Niveau.

Passgenau interpretieren sie auch alle weiteren Lieder. „Von der Jugend“ und „Von der Schönheit“ werden zwei wahre Genussmomente. Als Posaunen und Pauken zum trabenden Galopp mit ansetzen, ergreift das vollends. „Der Trunkene im Frühling“ wirkt sogar regelrecht ausgelassen mit seinen vielen Vogelrufmotiven, die die Flöten immer wieder lustig anstimmen. Und in „Der Abschied“ greifen verstörend düstere Klänge von Kontrabässen, Harfen, Kontrafagott und Tamtam in ein Tongemälde aus silbrig aufblitzenden Streichermomenten ein, die die Celesta schließlich abrundet.

Symphonieorchester des bayerischen Rundfunks © Dennis Pernath

Unangefochtene Spitze bleiben dabei die Holzbläser, die am Ende bei Stehenden Ovationen auch am meisten Sonderapplaus erhalten. Hoch gefeiert werden Flöte und Oboe, dem Rezensenten fielen indes die Fagotte, Bassklarinette und Englischhorn besonders positiv auf. Schön auch, dass heute viele Details, wie die mal zierlich, mal verstörend düsteren Harfenklänge, die Mandoline und Celesta im letzten Satz sowie das erste Cello, gut herauskamen. Alles in allem war es eine lohnenswerte Aufführung.

Daniel Janz, 12. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Concertgebouworkest, Iván Fischer, Dirigent Kölner Philharmonie, 14. Februar 2025

Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša Kölner Philharmonie, 7. Februar 2025

RPO, Julia Fischer, Violine, Vasily Petrenko, Dirigent Kölner Philharmonie, 2. Februar 2025

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