Oslo Philharmonic und Klaus Mäkelä mit Sibelius – wer hat hier wen im Griff?

Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä, Jean Sibelius: Sinfonien Nr. 2 & 4  Elbphilharmonie, 31. Mai 2022

Foto: Oslo Philharmonic / Klaus Mäkelä (c) Daniel Dittus

Die Osloer übertreffen sich selbst. Ich weiss um Karajan, Bernstein ist im Goldenen Saal hinreissend, Dame Iona Brown hingegeben, Parvo Järvi glänzt vor Begeisterung, – aber sowas?

Elbphilharmonie, 31. Mai 2022

Oslo Philharmonic
Klaus Mäkelä

Jean Sibelius: Sinfonien Nr. 2 & 4 – Internationales Musikfest Hamburg

von Harald Nicolas Stazol

So muss sich London gefühlt haben, wenn Paganini gastierte. Ich jedenfalls, ach was, die ganze Elphi, von der Rolltreppe bis zur Orgel, Hamburg, von Blankenese bis Steilshoop fiebert dem heutigen Abend entgegen – naja, nicht ganz:

Eine Mutter findet glückstrahlend noch zwei Karten an der Abendkasse, man wartet, während die Dame in der Glasvitrine einen Platz, nein, zwei anbieten kann, aber der Teenie an ihrer Seite, der sie stolze zwei Köpfe überragt, mag nicht so recht. „Ach neeee, Klassik?“ Ich erlaube mir, zu bemerken: „Sie werden es nicht bereuen, es wird ein Erlebnis!“

Nun mag er gar nicht mehr.

Nun, völlig einerlei. Gelingt es mir doch, meine Nachbarin Sabine, die beste Hutmacherin der Hanse, für Jean Sibelius zu begeistern. „Kann ich auch nach der Pause gehen?“, fragt sie vorher schüchtern, fast errötend, – ich gebe zu, wir haben einen Metternich zu Gast, der schnell verschwindet, aber solch leise Fragen erlaubt. Wir sitzen also an der Elbe unter der Elphi, das Rondell am Wasser kannte ich gar nicht, man mag dort eine ruhige Minute vorher verbringen, und sich ein wenig sammeln, oder eben plaudern.

Man kann aber auch in den geilen Glaskasten vor der Halle scharwenzeln, in dem sich der neue Porsche Tayran, oder Tyrann, oder Taram befindet, – klar, wo, wenn nicht hier, sieht man für so ne neue Protzkarre Interesse – und ich erbitte von einer dieser Sanduhr-Taillen, zwei an der Zahl, „Darf ich mich mal ans Steuer setzen? „Aber natürlich, der Herr!“

Rassig. Modern. Superschnell. „Wieviel?“ frage ich, „220 K?“. 170000 sagt die entzückende Hostesse. Ein Schnäppchen! Wie schade, dass die EC-Karten gerade nicht gehen.

Ausserdem brauch ich die Kohle, um fürderhin mein ganzes, verderbtes Leben lang Klaus Mäkelä hinterher zu reisen. Beziehungsweise vorneweg! „James, packen Sie gefälligst! Are you still HERE?

Zurück nach Hamburg:

Rassig. Modern. Superschnell. Warum ist mir das nicht schon früher aufgefallen? Und ich bereite meine junge Freundin auf ebensolch einen Abend vor.

Manchmal im Leben gilt es, in zweite Reihe zurückzutreten. Und manchmal muss sogar ein Kritiker sich widerrufen. “ What concerns me, what I said yesterday?“ würde Churchill gesagt haben, und noch während ich Klaus Mäkelä zusehe, wie er über sein Pult geradezu mit dem Skateboard fährt, entfährt mir das Geständnis, das einem Chronisten immer schwer fällt: Ich habe mich geirrt.

Klaus Mäkelä, mein Jungstar, ich habe Dich verkannt. Mich blenden lassen von dem Propagandafeldzug, der Dir vorauseilt, und den du und Dein PA ja mal überdenken könnt – und ich war sehr misstrauisch, – nun, junger Herr Mäkelä, Sir! Von Dandy zu Dandy, bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an!

Denn in den Bann ziehen kannst Du uns, auch Sabine!

„Das ist ja ein Junge!“ flüstert vor Überraschung fast ausrufend eine Dame hinter mir, als der Schlaks endlich auftritt, aufs Pult hechtet, und SOFORT mit Sibelius´ 4. anfängt. Ich sag’s nochmal, winken, raufgehen, los geht’s. So fährt man Porsche.

Die Osloer übertreffen sich selbst. Ich weiss um Karajan, Bernstein ist im Goldenen Saal hinreissend, Dame Iona Brown hingegeben, Parvo Järvi glänzt vor Begeisterung, – aber sowas?

Hier sind sie zuhause, in der Seenlandschaft Skandinaviens, in der glühenden, ewigen Mitternachtssonne, hier werden sie flächig, und Andreas Schmidt wies mich ja schon am Vorabend stumm darauf hin, wie Mäkelä sich immer intensiv rechts an die Celli und Bratschen wendet.

Nicht ohne Grund, haben sie doch etwa im dritten Satz absolute Gleichberechtigung mit den ersten Geigen, die über die Maßen exzellente Konzertmeisterin Elise B°adnes ist hervorzuheben, desgleichen die unfassbaren Schlagwerker Christian Berg und Hering Valebjork – da zirpt und wogt es wellenartig von rechts nach links, von backbord nach steuerbord – ein Effekt, als würde man sein Soundsystem neu balancieren. Und das 1902.

Oslo Philharmonic / Klaus Mäkelä (c) Daniel Dittus

Die reine Dynamik, – Sabine ist geblieben zur Zweiten, natürlich, völlig in den Bann Finnlands gezogen, – Pianissimi, das man keine Kanülenspitze könnte fallen hören, Fortissimi, dass es einen in der Düse eines Finnair Jumbos wähnt.

Während unser Jungstar Skateboard fährt.

„Siehst Du, Sabine“, sage ich, „am Ende wird alles immer gut!“

Sie hört’s erst beim zweiten Mal, weil der Boden vor Trampeln donnert.

Aber wer hat hier wen mehr im Griff, in Sibelius 5, Du die Osloer, oder sie Dich, – und dann, schlimmster Verdacht! – könnten sie es auch nicht ohne Dich?

Vielleicht, aber sie wollen es offenbar nicht.

Harld Nicolas Stazol, 1. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä,Jean Sibelius Elbphilharmonie, 30. Mai 2022

Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä, Dirigent Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. Mai 2022

Sommereggers Klassikwelt 105: Jean Sibelius‘ bewegtes Leben, klassik-begeistert.de

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