Elīna Garanča und Daniel Frank © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Wiener Parsifal-Experiment schief gelaufen: Elīna Garanča rettet fast im Alleingang
Richard Wagner, Parsifal
Wiener Staatsoper, 1. April 2024
Jetzt sprechen wir Mal Tacheles: Alexander Soddys „Parsifal“-Dirigat an der Wiener Staatsoper stimmt mich todunglücklich. Kein Wunder, dass Elīna Garanča während des tosenden Auftrittsapplauses in der zweiten Pause keine Miene verzieht. Dabei ist der Lettin diese Kundry wie auf den Leib geschnitten. In Kirill Serebrennikovs umstrittener Gefängnis-Inszenierung ist sie eine eiskalte Reporterin. Eine der wenigen, die auch genauso zuschlägt.
von Jürgen Pathy
Wenn man bereits bei der Anreise zur Wiener Staatsoper mit der Gänsehaut kämpft, steht Richard Wagner am Spielplan. Das Vorspiel erfüllt noch alle Erwartungen. In Wien hat man es nicht eilig. Alexander Soddy hat die Ruhe, um die Aura des Grals voll zu entfalten. Danach sinkt der Stimmungspegel aber unaufhaltsam nach unten.
„Die Tiefe fehlt“, stimmt man mir bei der Heimfahrt in der Wiener U-Bahn zu. „Viel zu langsam“, meinen andere. Auf den Spannungsbogen hat Dirigent Alexander Soddy komplett vergessen. Dabei hat der Brite mit genialen Strauss- & Verdi-Dirigaten im Vorfeld aufhorchen lassen. Sein Wagner-Debüt am Haus hat aber viele Makel.
Serebrennikovs „Häfn“-Parsifal erregt noch immer die Gemüter
Dass also nicht die Inszenierung von Kirill Serebrennikov die Enttäuschung wird, ist die Überraschung schlechthin. „Man muss tolerant sein“, geht der Beschwichtigungsversuch im Foyer zwar in die Hose. Das Publikum ist erbost. „Das Mystische geht verloren“, höre ich am häufigsten. „Grauenvoll!“, ist eine Dame jensseits der Achtzig auf der Galerie kaum noch zu halten.
Dabei hat Serebrennikovs Gefängnis-Inszenierung einige Highlights. Eine Gesellschaftskritik der allerfeinsten Sorte. Klar, die Partitur-Diktatoren werden immer das Haar in der Suppe finden. Aber tagespolitisch betrachtet, trifft der russische Regisseur schon den Nerv der Zeit.
Bei seinem Karfreitagszauber gibt es die Erlösung nicht durch Mitleid. Bei Serebrennikov befreit sich die unterdrückte Kundry selbst mit Gewalt aus den Fängen des Medienmoguls Klingsor. Eine Anspielung auf die tiefe Verflechtung der Presse und des Gewalt-Regimes in seiner russischen Heimat. Das will man in Wien halt nicht sehen. Nicht zu Ostern, wo der Heiland auferstanden ist, und die Welt noch im Lot scheint. Und schon gar nicht beim heiligen Parsifal.
Elīna Garanča sticht, Günther Groissböck wackelt
Elīna Garanča hingegen schon. Die lettische Ausnahmesängerin ist das Highlight dieser Ostermontagsvorstellung. Keine Überraschung, mit ihr hat man schon im Vorfeld gerechnet. Hat man die Mezzosopranistin ja schon bei der Premierenserie 2021 als eiskaltes Reporterweib erleben dürfen, das dem Gemüt der kühlen Lettin wie auf den Leibt geschnitten ist. Damals hat ihr Philippe Jordans Dirigat die Spannung serviert, dieses Mal ist sie allein auf sich gestellt. Dennoch erstarrt man bei ihrem Schrei, als sie Jesus Christus am Kreuz auslacht. Das Ergebnis: ewige Verdammnis.
Günther Groissböck als Gurnemanz ist ein Wackelkandidat. In diesem „Häfn“ kämpfen nicht nur die Häftlinge, sondern auch der Österreicher mit seiner Tagesform. „Zu wenig“, bestätigt ein Stammgast. Während andere wiederum hellauf begeistert sind, ohne dies aber begründen zu können oder wollen.
Von Michael Nagys kräftigem Bariton hätte sich Groissböck ein Stück abschneiden können. Dann wäre die Rollenverteilung gerecht gewesen. Der dahinsiechende Gralskönig Amfortas mit Schwächeanfällen, der Gralsdiener und Gefängnis-Anführer Gurnemanz mit durchgehend Kraft in seiner Stimme. Ist aber andersrum gewesen und somit etwas unglaubwürdig das Szenario.
Bilanz des Ostermontags-Parsifal
Summa summarum: Dirigat stark ausbaufähig, Sänger mit Abstrichen. Ein Gurnemanz, der in Topform bestimmt perfekt in diese Inszenierung passt. Ein Häfnbruder, kräftig, groß, in Springerstiefeln und Bomberjacke. Das steht dem Hünen Groissböck. Elīna Garanča nimmt man sowieso immer mit Handkuss. Bassbariton Werner van Mechelen ist ein boshafter Unterdrücker, dem man als Klingsor jedes Wort glaubt.
Der Parsifal hat auch seine Stärken. Hell im Timbre, ein reiner Tor nun eben, auch wenn Tenor Daniel Frank in Wien einem Mithäftling blutrünstig die Kehle aufschlitzt. Der Männerchor erfüllt mit Anmut. Die Damen schlagen hingegen eher in die Flucht. Zu viel Druck, schmerzhaft schon, bis auf die Galerie nach oben. So verführt man keinen Parsifal – auch, wenn das Publikum am Ende tobt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 2. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lieber Herr Pathy,
eine oft unterschätzte Zutat von Opern-Kritiken ist die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Dirigenten – ein uninspiriertes Dirigat/Orchester kann einem den ganzen Abend vermiesen, auch wenn die Sänger noch so gut sind. Danke also für Ihre Zeilen zu Alexander Soddy, bei der Lektüre haben wir spontan gedacht: Alles klar, „Schüler“ von Simone Young, da gab’s bei Wagner und Strauss ja auch oftmals Licht und Schatten… Seine Berliner Elektra (DOB) diese Spielzeit fanden wir indes meisterhaft.
Herzlichst,
Regina König
Liebe Frau König,
ich danke für Ihren Input mit Frau Young. In Wien hatte Alexander Soddy ebenfalls „Elektra“ geleitet – sensationell zärtlich fast schon! Beim „Parsifal“ scheint das fast wie bei Mozart. Da kann man sich hinter nichts verstecken.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy