Parsifal, weile! In dieser Inszenierung an der Wiener Staatsoper bitte noch viele Jahre...

Richard Wagner, Parsifal  Wiener Staatsoper, 16. April 2023

Foto: Franz-Josef Selig (Gurnemanz), Klaus Florian Vogt (Parsifal) und Ekaterina Gubanova (Kundry). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Mit einem fünfstündigen sängerischen Triumphzug krönt sich dieser Parsifal zum König der Bühnenweihfestspiel-Produktionen. Und Kirill Serebrennikovs wegweisende Inszenierung ist ein Muss für alle Opern-Fans! 

Wiener Staatsoper, 16. April 2023

Parsifal
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Johannes Karl Fischer

Doch die dickste Überraschung des Abends war Ekaterina Gubanovas triumphierende Kundry. Mit ihrer zauberhaften Stimme mischt sie die Wagner-Szene mächtig auf und verzaubert Parsifal ebenso wie das Publikum. Ihre magischen Monologe glitzern durch den Saal, hat man das vielleicht geträumt? Nein, es ist wahr, man schwebt nur im musikalischen Himmel wie auf Wolke sieben. Und am Ende entpuppt sich die innere Macht ihrer Figur. 

Denn diese Schlussszene des zweiten Aufzugs gehört zu den spektakulärsten Momenten der jüngeren Opernregie. Kundry hält Parsifal die Knarre vor den Kopf – ganz nach Befehl ihres Meisters. Doch diese höchst intellektuelle Heldin behält die Nerven und erledigt im letzten Moment den Bösen statt den Erlöser. Wie ein gut gedrehter Vorabendkrimi, der sich hier vor den Augen des Publikums abspielt.

Was Kirill Serebrennikov da auf die Bühne bringt, ist an künstlerischem Können kaum zu übertreffen. Ein multimediales Gesamtkunstwerkspektakel mit Video, Tanz als Komplettierung des Bühnenbilds lässt den Opernsaal zur lebendigen Filmszene werden. Endlich mal eine Parsifal-Inszenierung, die dieser sonst eher verworrenen Handlung Sinn gibt!

Denn die Leidensgeschichte des Amfortas ist nur symbolisch zu verstehen, hier wird vielmehr vom Elend der Gefängnisinsassen erzählt. Man spürt ein starkes Mitleid mit dem Schicksal jener Menschen, die jetzt großes Leiden erdulden müssen, nur, weil sie einen sinnlosen Angriffskrieg beim Namen nennen oder gar kritisieren. Dem Regisseur ist die Flucht aus dem Hausarrest ins Exil ja gerade noch rechtzeitig gelungen.

Und was für ein Jammer, dass diese Regie bei der Premiere – wenn auch nur per Video – nicht mit diesem Parsifal aller Parsifals arbeiten durfte. Völlig mühelos segelt Klaus Florian Vogt durch die Partie, eben genau wie der Tor, der ahnungslos durch die Welt wandert und sie dabei ganz zufällig rettet.

Doch denkt er nicht daran, Klingsor mit Gewalt niederzudonnern. Braucht er auch nicht, denn seine helle Stimme allein überstrahlt alles, was sich ihm musikalisch in den Weg stellt. „Mit diesem Zeichen bann ich deinen Zauber“ könnte genauso gut heißen: „Mit dieser Stimme bann ich deinen Zauber“. Dafür erntet er ballernden Applaus.

Franz-Josef Selig singt seit fast einem Vierteljahrhundert den Gurnemanz an diesem Haus. Und Wahnsinn, war der in Form! Wie ein alter, weiser Priester röhrt sein Bass durch die Tiefen der Gralsburg-Gefängniszellen. Als König will er Parsifal grüßen, mit seiner Stimme werden diese Worte zur majestätischen Königskrönung. Die Bayreuther Bass-Szene – derzeit eine One-Man-Show namens Georg Zeppenfeld – wird über kurz oder lang nicht an diesem seligen Ausnahme-Bass vorbeikommen!

Ganz besonders stark geriert auch Derek Weltons Klingsor. Seine donnernde Stimme lässt Kundry stets erzittern. Mehrmals scheint er kurz davor, Parsifal mit dem heiligen Speer selbst zu erledigen. Die sechs Blumenmädchen sangen stets in perfekter Harmonie, ein wenig unklar, warum  Parsifal ihrem Klangzauber ohne größere Mühen widererstehen kann. Michael Nagy gab einen qualvoll leidenden Amfortas, der in seiner Gefängniszelle mit seiner Wunde zu kämpfen hatte. Mangelnde medizinische Versorgung gehört zur bitteren Realität vieler Gefängnisinsassen. Wieder einmal geht Serebrennikovs Regie-Konzept an allen Ecken perfekt auf.

Derek Welton (Klingsor) und Ekaterina Gubanova (Kundry) © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Ein paar einzelne BesucherInnen schienen den Saal während schon während des ersten Aufzugs zu verlassen. Sie alle ahnten nicht, was sie noch verpassen sollten. Denn nach dem zauberhaft zerfließenden Vorspiel legten Philippe Jordan und das Orchester der Wiener Staatsoper im dritten Aufzug erst richtig los.

Über weite Teile strömte eine einzige Opernsinfonie aus dem Graben. Schwebende Streicherakkorde füllten den Saal, als würde man zusätzlich zum Wagner’schen Gesamtkunstwerk noch eine Mahler-Sinfonie zum Klingen bringe. Der einstige Wiener Hofoperndirektor – und somit Vorgänger Jordans – war bekanntlich auch ein riesiger Fan des Bühnenweihfestspiels. Und wäre von dieser Aufführung zweifellos begeistert gewesen!

Dieser Parsifal ist nicht nur für Bühnenweihfestspielfans ein Muss, allein schon wegen Serebrennikovs genialer, wegweisender Inszenierung. Und lieber Herr Roščić, Karfreitag ist in Österreich kein gesetzlicher Feiertag mehr. Bitte bringen Sie diesen wunderbaren Parsifal in Zukunft auch an diesem heiligen Freitag auf die Bühne! Dann wäre der einzigartige Karfreitagszauber komplett.

Johannes Karl Fischer, 17. April 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 9. April 2023

Pathys Stehplatz (27) – „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper: Wenn der Musikdirektor zaubert, rückt alles andere in den Hintergrund klassik-begeistert.de, 10. April 2023

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