Foto: Marin Alsop © Grant Leighton
von Jürgen Pathy
Platzhirsch gibt es in Wien nur einen. Neben den Wiener Philharmonikern zu bestehen, ist sowieso schon eine Herausforderung. Dass man dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien nun aber alle Förderungen streichen will, gleicht einem Knockout. ORF Generaldirektor Roland Weißmann plant dem österreichischen Symphonieorchester den Hahn zuzudrehen. Ein fatales Zeichen. Überhaupt in einer Kulturnation wie Österreich.
Kulturnation auf Sparschiene
„Bei der Kultur einzusparen, ist ein Armutszeugnis“, kommentiert Ulrike B. Noch dazu, weil „Kultur DAS Aushängeschild Österreichs“ sei, betont Martin L. Die Kommentare sprechen Bände. Auf der Onlineplattform mein.aufstehn.at hat sich eine breite Front gebildet, um dem RSO Wien den Rücken zu stärken. Unter dem Titel „„SOS RSO – Rettet das Radiosymphonieorchester Wien!“ hat man eine Petition gestartet. Die Welle der Unterstützung ist groß.
Kurz nach dem Start hatten schon 3000 Personen unterzeichnet. Einen Tag später waren es bereits knapp 35000 Unterstützungserklärungen, die sich für den Fortbestand des renommierten österreichischen Orchesters einsetzen. Die Zeit drängt.
Bis zum 23. März soll die Entscheidung fallen. Da trifft der ORF Stiftungsrat wieder zusammen. Am Montag erst hatte ORF-Chef Weißmann die Sparmaßnahmen angekündigt. Bei einem Sonderfinanzausschuss, bei dem er die Pläne präsentiert hat. Angefordert wurden sie von Bundesministerin Susanne Raab (ÖVP), die in ihrer Position für das Resort Medien zuständig ist.
Insgesamt sollen bis 2026 kolportierte 300 Millionen Euro beim ORF eingespart werden. Der jährliche Aufwand für das ORF Radio-Symphonieorchester Wien dürfte im hohen einstelligen Millionenbereich liegen. Ein Stopp der Förderungen wäre einem Aus gleichzusetzen.
Zweifel am Kulturauftrag des ORF
Dass der Sparstift beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien angesetzt werden soll, sorgt für einen lauten Aufschrei. Verantwortliche und Kenner der Kulturszene verstehen die Welt nicht mehr. „Das Vorhaben zeigt eine erschreckende Fehleinschätzung der Entscheidungsträger“, ist Konzerthaus Chef Matthias Naske besorgt. Die Schließung des RSO sei gar ein „barbarischer Akt“.
Wenig verwundert zeigt sich Georg Friedrich Haas. Der österreichische Komponist, der als Vertreter der Spektralmusik gilt, sieht in der aktuellen Situation überhaupt nur einen Höhepunkt einer langandauernden Entwicklung. „Meinem Eindruck nach wurde das RSO in den letzten Jahren systematisch ausgehungert.“ Der ORF erfülle schon jetzt den Kulturauftrag höchst mangelhaft. Die Gebühren würde der lediglich nur nutzen, „um in seinem populistischen Programm einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der privaten Konkurrenz zu erzielen“.
Stephan Pauly, Intendant des Musikverein Wien, zeigt sich ebenfalls besorgt. „Ohne das ORF-RSO Wien wäre die jüngere Musikgeschichte anders verlaufen.“ Es sei nicht vorstellbar, wie es ohne diesen immens wichtigen Klangkörper weitergehen sollte. Pauly hoffe sehr, dass die Verantwortlichen eine Lösung finden.
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) stellt sich zumindest hinter das Orchester. „Es kann und darf nicht sein, dass dieser wunderbare Klangkörper Sparzwängen zum Opfer fällt“. Sie werde sich in den kommenden Wochen für den Fortbestand des Orchesters einsetzen. Das sei nicht nur wichtig, um den kulturellen Auftrag des ORFs zu erfüllen. „Auch was die Rolle von Frauen in der klassischen Musik angeht, werden hier immer wieder neue Maßstäbe gesetzt.“
Erste Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Seit 2019 leitet Marin Alsop das RSO-Wien. Als erste Frau an der Spitze des Orchesters. Die gebürtige US-Amerikanerin, die eine fast freundschaftliche Beziehung zu Leonard Bernstein pflegte, ist fassungslos. „Als ich den Posten hier angetreten habe, dachte ich, ich sei in einem Kulturland.“ Wenn es das ORF Radio-Symphonieorchester Wien nicht mehr gäbe, würde es ihr das Herz brechen.
Das Orchester hat eine lange Geschichte. Gegründet 1945, damals noch unter einem anderen Namen, hat man sich schon bald verpflichtet gefühlt, den Schwerpunkt auf zeitgenössische Musik zu legen. Unter Lothar Zagrosek, einem deutschen Dirigenten, kamen viele Werke des 20. Jahrhunderts auf den Plan. Gottfried von Einems „Dantons Tod“, Alexander Zemlinskys „Lyrische Symphonie“ oder Frank Martins „Der Cornet“, um nur einige zu nennen.
In der Folgezeit wurde das Repertoire erweitert. Der Israeli Pinchas Steinberg, der das Orchester 1989 übernahm, setzte weitere neue Akzente. Unter seiner Leitung wurden die populären Faschingskonzerte eingeführt.
1996 folgte dann die Umbenennung zu RSO Wien. Zeitgleich setzte Dennis Russell Davies, ein US-Amerikaner, der sich als Förderer zeitgenössischer Komponisten einen Namen gemacht hat, auf Werke seines Landsmanns Philip Glass. Die Nachfolge als Chefdirigent trat 2002 dann Bertrand de Billy an. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Orchester zu einem führenden Klangkörper in Österreich. Cornelius Meister führte das Erbe dann bis 2019 fort.
Kahlschlag der Kultur
Diesem Orchester nun die komplette Grundlage zu entziehen, wäre nicht nur ein Schlag gegen die zeitgenössische Musik, wie Jan Nast, Intendant der Wiener Symphoniker, betont. „Das RSO ist mit der Pflege der zeitgenössischen Musik in der Programmatik der Stadt fest verankert.“ Die Auflösung des RSO Wien hätte auch weitreichende Folgen für andere österreichische Institutionen.
„Ein Ende des Orchesters würde das MusikTheater an der Wien künstlerisch und finanziell in ernsthafte Schwierigkeiten bringen“, lässt Stefan Herheim durchblicken. Seit 2022 leitet der gebürtige Norweger das Theater an der Wien. Der Fortbestand des Orchesters sei „maßgebend für den Erfolg des Opernhauses der Stadt Wien“.
Damit die Erfolgsstory kein Ende nimmt, bitten viele um Unterstützung. Eine Kulturnation und ein Musikland wie Österreich kann sich das Verschwinden des RSO Wien einfach nicht leisten. „Ich verstehe, dass man an Bilanzen denken muss“, sagt Marin Alsop. „Aber wenn Budgets damit ausgeglichen werden, dass man die Kultur streicht, höhlt man die Zivilisation aus.“ Die Petition steht noch für alle offen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 24. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
ORF-Radiosymphonieorchester Wien, Marin Alsop, Wiener Konzerthaus, 16. Oktober 2020
Duncan Ward, Benjamin Schmid, ORF Radio-Symphonieorchester, Wiener Konzerthaus, 10. Mai 2019
Die Petition hat bereits sehr weit über 60 000 Unterschriften 🎶
Margot Krajewski
Das ist genau das, wovor ich seit Jahren warne! Genau das passiert, wenn sich Kunst und Kultur immer weiter vom Zuhörer entfernen, neuen Eindrücken außerhalb der eigenen Bubble keinen Spielraum mehr einräumen und das Publikum regelmäßig durch Klangexperimente verprellen, anstatt dem eigenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Förderungsauftrag nachzukommen. Echte Kultur lebt von lebendigen Austausch. Davon, das Publikum einzubinden, ihnen die Breite und Vielfältigkeit des Konzertbetriebs zu zeigen, anstatt immer nur dieselben alten Kamellen runter zu dudeln oder akademische Hirnfurze als Musik verkaufen zu wollen.
Mit der bisherigen Praxis hat sich der Kulturbetrieb doch selbst immer irrelevanter, ja fast obsolet gemacht. Und nun, in einer Welle aus Krisen, wird zuerst an den Ecken und Enden gespart, wo es die Bevölkerung am wenigsten vermisst – das hat sich die Kulturbranche selber zuzuschreiben.
Der Widerstand dagegen ist beachtlich. Hoffentlich wird er erfolgreich. Ich fürchte aber, die Auflösung des ORF Radio-Symphonieorchester Wien wird nur die erste von einer nun folgenden, ganzen Lawine werden. Und das Traurige ist – ein wenig fehlt mir dabei dann doch das Mitgefühl.
Daniel Janz
Diese Meldungen aus Wien machen einem Angst und Bange… Was, wenn sich der Weißmann durchsetzt? Hoffentlich sind dumme Gedanken von Linzer Rundfunk-Intendanten nicht ansteckend…
Mal jenseits dieser Angst-Phantasien: Warum nicht einfach das RSO vom Rundfunk abspalten? Die MusikerInnen sind ja nicht mit dem ORF verheiratet. Selbst wenn, der Rundfunk will sich von seiner Kunst trennen, nicht umgekehrt. Und an die Kultursubventionen käme man doch sicher über das Theater an der Wien?
Johannes Karl Fischer