Pathys Stehplatz (26) – Monteverdis „Ulisse“ an der Wiener Staatsoper: Der erste Eindruck entscheidet nicht immer

Pathys Stehplatz (26) – Monteverdis „Ulisse“ an der Wiener Staatsoper  klassik-begeistert.de, 3. April 2023

Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Nur vereinzelte Buhs. Für das Regieteam rund um Jossie Wieler & Sergio Morabito. Gemeinsam mit Kostümbildnerin Anna Viebrock haben sie Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ auf die Bühne der Wiener Staatsoper gebracht. Damit schließt sich der Monteverdi-Zyklus, der mit „L’Orfeo“ und „Poppea“ seinen Lauf genommen hatte. Ein Erfolg auf fast allen Linien.

von Jürgen Pathy

Reiner Trash, das war so der erste Gedanke. Nach rund zwanzig Minuten des trostlosen Anblicks biederer Büromöbel, die wild zusammengewürfelt das Ambiente einer Rumpelkammer versprühen. Ein Anblick des Grauens, könnte man es auch nennen. Mal wieder eine Produktion, bei der das Regieteam nicht davor zurückschreckt, dem Publikum seinen intellektuellen Nonsense aufs Auge zu drücken. „Es ist schrecklich“, hat der ein oder andere bereits nach der Generalprobe w.o. gegeben. „Musik nur Rezitative, keine Arien, das Bühnenbild eine Katastrophe.“

Lässt man das Ganze aber ein wenig Revue passieren, haben Wieler & Morabito eine kluge Deutung von Monteverdis „Ulisse“ auf die Beine gestellt. Die Vorlage des Librettos basiert auf der griechischen Mythologie. Auf Homers Epos „Die Odyssee“. Die Oper setzt ein, nachdem Ulisse – die italienische Übersetzung für Odysseus – auf Ithaka landet. Seiner Heimatinsel, die er vor 20 Jahren verlassen hatte, um in den Trojanischen Krieg zu ziehen. Was ihn da erwartet, ist ein Abbild des Untergangs.

Alle haben sich verloren. Der Sauhirte Eumete im Suff, die Mächtigen in der Bürokratie, und selbst die Götter begleitet der latente Mief des Biederen. Neptun stapft gar in grässlichen Ledersandalen durch die Gegend. Während Minerva das Zepter in der Hand zu halten scheint. Dekadent vom Flugzeugsessel aus natürlich. Wenn schon kultureller Niedergang, dann gleich ordentlich.

Optisch mag das alles ein wenig absurd wirken, bisweilen gar lächerlich. Der Gedanke dahinter scheint aber ein Geistesblitz: Der Amtsschimmel hat die Macht ergriffen. Das Königreich, das einst so floriert hat, liegt am Boden. Zeit, dass der Retter wieder heimkehrt.

Gut Ding braucht Weile

Lange hat sie auf ihn gewartet. Penelope, die Königin des Reichs, um die bereits drei Freier buhlen. Iro, ein ungustiöser Charakter, der in Jörg Schneiders Händen bestens aufgehoben ist, ist einer davon. Erfolglos dann zum Glück, genauso wie die anderen. Bei der Bogenprobe versagen sie letztendlich auch alle. Der ist nämlich nur für Ulisse bestimmt, auf den Penelope zurecht gewartet hat.

Zumindest, wenn man rein nach den künstlerischen Qualitäten urteilen müsste. Optisch gleicht Ulisse nämlich einem Hundertwasser-Verschnitt, der aus einem Clint-Eastwood-Western entflohen sein könnte. Mit Georg Nigl ist der aber wieder hervorragend besetzt. Genauso wie schon in „L’Orfeo“ zuvor, setzt der da ganz sicher wieder neue Maßstäbe. Unfassbar eigentlich, was der da mit seinem hellen Bariton an einer Palette von Gefühlsregungen zu fast schon göttlicher Gewalt vereint. „Wenn man Monteverdi singen kann, kann man alles singen“, hat der gebürtige Wiener erst vor kurzem bei der Matinee gemeint. Das kaufen ihm nun alle ab.

Dass sich da auf der Galerie dann doch ein wenig die Reihen lichten, kann sicherlich nicht an ihm gelegen haben. Ebenso wenig an Kate Lindsey, die mit markanter Stimmführung und Tonalität den Abend auch zu prägen weiß. Und noch weniger an Pablo Heras-Casado, der sich als ehrfurchtsvoller Hüter eines fast schon verlorenen Schatzes erweist. Nur wenig ist von der Originalpartitur nämlich erhalten. Die Gesangslinie und der Bass. Vervollständigt und auf Staatsoperndimensionen hochgetunt, hat den ein französischer Zeitgenosse. Der Concentus Musicus erweist sich da als dessen vorzüglicher Vollstrecker.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 3. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“

Claudio Monteverdi, L’Incoronazione di Poppea  Staatsoper Unter den Linden, 26. November 2022

L’ORFEO Claudio Monteverdi, Wiener Staatsoper, 11. Juni 2022, Premiere 

Bluthaus, Friedrich Georg Haas, Claudio Monteverdi Cuvilliés-Theater, München, 21. Mai 2022

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