Pathys Stehplatz (30) – Saison 2023/24 in Wien: Mit Christian Thielemann kickt man den „Lohengrin" aus der Stube

Pathys Stehplatz (30) – Saison 2023/24 in Wien: Mit Christian Thielemann kickt man den „Lohengrin“ aus der Stube  klassik-begeistert.de, 29. April 2023

Foto: Christian Thielemann © Matthias Creutziger

Schluss mit lustig. Nach neun Jahren Bierstubengaudi reicht es auch an der Wiener Staatsoper. Die „Lohengrin“-Inszenierung von Andreas Homoki fliegt endgültig raus. Die Rufe danach waren schon lange laut. Stattdessen folgt 2024 eine Neuproduktion. Jossi Wieler & Sergio Morabito zeichnen dafür verantwortlich. Am Pult: Christian Thielemann. Mit dem Wagner-Spezialisten kehrt auch sicherlich wieder ein anderer Wind in den Graben zurück. Da hatte Omer Meir Wellber sich vor kurzem erst Hals über Kopf in die Partitur gestürzt.

von Jürgen Pathy

Christian Thielemann ist zurück

„Tannhäuser hat es schon lange keinen gegeben“, bemerkt ein Herr. „Stimmt“, erwidert seine Begleitung. Um die 55, unscheinbar, bieder in dunkel gekleidet. Genau genommen seit Ende 2014 nicht mehr. Da hat man zuletzt Claus Guths Inszenierung hier auf der Bühne gesehen. Wird vorerst auch so bleiben. Nächste Saison steht der „Tannhäuser“ ebenfalls nicht auf dem Programm. Pausengespräche beim letzten „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper.

Da hatte Omer Meir Wellber kurz zuvor mal wieder ordentlich die Geschwindigkeitsbeschränkungen überschritten. Vollgas scheint sein Prinzip. Unverständlich für viele. „Flott, flott – der Mann braucht eine Handbremse“, pfaucht eine Dame. In irgendeinem ländlich angehauchten Dialekt, wienerisch klingt anders. Der Herr an ihrer Seite nickt mit dem Kopf. „Bin neugierig, wie der Thielemann das macht nächstes Jahr“!

Das sind wir wohl alle. Wagnerspezialist Christian Thielemann kehrt an die Wiener Staatsoper zurück. Endlich, könnte man sagen. Nach vier Jahren der Abstinenz schön langsam auch mal wieder an der Zeit. In zwei Produktionen wird man ihn erleben: Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“, bei der er auch zum letzten Mal hier am Pult gestanden hat. 2019 ist das gewesen. Und, bitte alle die Ohren spitzen: Richard Wagners „Lohengrin“, in der Inszenierung von Wieler & Morabito, mit der Thielemann bereits bestens vertraut sein dürfte. Bei den Osterfestspielen in Salzburg hatte er damit im Frühling 2022 seinen Abschied gefeiert.

Dort will man ihn nämlich nicht mehr haben. Abgesägt hat man ihn im Grunde. Nichts anderem kam es gleich, als man ihm dort 2020 mit Nikolaus Bachler einen kaufmännischen Geschäftsführer vor die Nase gesetzt hat, mit dem Thielemann nun nicht gerade jeden Tag die Friedenspfeife rauchen dürfte. Das angespannte Verhältnis zwischen den beiden war bekannt. Mit Bachler ziehen dort ab 2026 auch wieder die Berliner Philharmoniker ein. Das Gründungsorchester sozusagen, mit dem Herbert von Karajan sich 1967 an der Salzach seine eigene Spielwiese gegründet hat. Der Startschuss zu den Osterfestspielen in Salzburg war damit gesetzt.

In Wien stehen die Türen weit offen

Andernorts scheint Thielemann auch nicht mehr erwünscht. Bei der Sächsischen Staatskapelle in Dresden lässt man seinen Vertrag mit Ende der Saison 2023/2024 auslaufen. In Bayreuth scheint seine Zukunft ebenso ungewiss. Seit Hügelchefin Katharina Wagner seinen Vertrag als Musikdirektor dort 2019 nicht verlängert hat, rumort es ganz heftig in der Gerüchteküche. Von 2015 bis 2020 hatte Thielemann diese Position dort inne. Die Stimmung zwischen den beiden scheint aber intakt. „Glauben sie mir, da gibt es gar keinen Gram“, ist da zu lesen. In einem Interview, nachdem Thielemann letztes Jahr beim Bayreuther „Ring“ nicht zum Zug gekommen ist. Cornelius Meister war da für den erkrankten Pietari Inkinen eingesprungen. Es sei auch mal an der Zeit gewesen, dem Nachwuchs eine Chance zu bieten, relativierte Thielemann.

Ob man ihm das so eins zu eins abkaufen kann – ich wage es zu bezweifeln. Schwamm drüber. Freut man sich eben andernorts. In Wien hat man Thielemann schon immer mit Handkuss empfangen. Die neue „Lohengrin“- Inszenierung, bei der nicht unbedingt alle ins Schwärmen geraten, sieht Thielemann mit offenen Augen. „Ich bin durch die Inszenierung und die Zusammenarbeit mit den beiden Regisseuren auf eine fast ein bisschen neue Deutung gestoßen worden“.

Was wirklich mit dem Gottfried passiert sei. Ob die Elsa den nun wirklich ermordet habe oder nicht. Das hätten Wieler & Morabito in den Fokus ihrer Arbeit gestellt. Etwas, worin sie das Werk neu sehen würden. Eine Kehrtwende, die den „Lohengrin“ auf jeden Fall für alle interessant gestalten würde. Für diejenigen, die ihn noch nie gesehen haben. Als auch für die, denen der Stoff bereits bestens vertraut sei. „Die kriegen das Stück in dieser Inszenierung – zumindest von Anfang an – ein wenig anders erzählt“.

Die Entnazifizierung des Lohengrin

Musikalisch wird bei Thielemann sicherlich auch ein anderer Wind wehen. Entnazifizierung. Unter dieses Motto hatte Omer Meir Wellber gerade erst sein Dirigat des „Lohengrin“ gestellt. Bei seinem Staatsoperndebüt, bei dem der zukünftige GMD der Hamburgischen Staatsoper vor allem einer Sache wegen aufgefallen ist. Schwarz-weiße Lederschuhe. „Wie ein Mafiosi“, scherzte da der ein oder andere Gast. Hauptsächlich aber wegen seiner halsbrecherischen Tempi. Die Intention dahinter: Wagner vom Nationalsozialismus befreien.

„Hören sie mal die Aufnahmen aus den 1920er Jahren“, schenkt er mir plötzlich seine volle Aufmerksamkeit. Am Balkon der Volksoper Wien, wo ich ihn mit der Frage konfrontiere, warum nur diese raschen Tempi. „Vor dem Krieg ist das ganz normal gewesen“. Der ganze Nazi-Mief, das Pompöse, das Aufgeblasene, fast schon religiös Heilige, das hat in der Partitur nichts zu suchen. Das könne er sich beim „Parsifal“ gut vorstellen. Den würde er auch anders dirigieren. Beim „Lohengrin“ habe sich das alles aber erst nachdem Weltkrieg eingeschlichen. Mit Winifred Wagner, Furtwängler und Karajan. „Wer das hören will, der soll zu Thielemann gehen.“

Klare Worte eines gebürtigen Israeli, der seinen ersten Musikunterricht in einem Kibbuz, unweit seiner Heimatstadt Be’er Scheva erhalten hat. Dass der sich überhaupt mit Wagner beschäftigt, ist für einige schon das Highlight. „Ein jüdischer Dirigent, der sich an Wagner herantraut – das alleine macht ihn schon sympathisch.“ Worte eines Stammgasts, der über beide Ohren strahlt. Nachdem Wellber den „Lohengrin“ leider nicht befreit hat. Ganz im Gegenteil: Zu Tode hat er ihn geprügelt. Obwohl er eigentlich nur die Übergänge wirklich rasch gesetzt habe, irgendwie alles ziemlich niederschmetternd. Zeit, dass Thielemann ihn wieder auferstehen lässt.

Jürgen Pathy, 28. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik.begeistert.at

Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“

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Omer Meir Wellber wird neuer Hamburgischer Generalmusikdirektor klassik-begeistert.de, 24. Februar 2023

Richard Wagner, Lohengrin Festspielhaus, 22. August 2022

3 Gedanken zu „Pathys Stehplatz (30) – Saison 2023/24 in Wien: Mit Christian Thielemann kickt man den „Lohengrin“ aus der Stube
klassik-begeistert.de, 29. April 2023“

  1. Meines Wissens war einer der Streitpunkte in Bayreuth, dass Thielemann den Ring gar nicht dirigieren wollte und nicht, dass er nicht zum Zuge kam. So unterschiedlich kann dass gerede sein, das durch die Weltgeschichte wabert.

    Absender, leider ohne richtigen Namen.

  2. Viel zuviel Aufmerksamkeit für den mediokren Lohengrin-Dirigenten der letzten Wiener Lederhosen-Serie! Leider ist die kommende Inszenierung um keinen deut besser – im Gegenteil und von der Besetzung, die Thielemann bekommt, ganz zu schweigen. Da hatte Welber von Roščić eine sichere Bank, die er aber auch aus dem musikalischen Gleichgewicht brachte.
    Zu Welber, der sich seit vielen jahren windig in Europa herumtreibt, er war schon in Valencia nicht gelitten – was macht er eigentlich in Wien Volksoper für sein sicher stattliches Salär – weiß das jemand?
    Und ich wette, er wird nicht lange in Hamburg bleiben, deshalb behält er wohl auch sein Standbein in Wien?

    Fred Keller

    1. Lieber Herr Keller,

      Wellber wird an der Volksoper Wien auf jeden Fall zwei Produktionen leiten. Die „Salome“ und „Die lustige Witwe“. Konzerte mit dem Orchester der Volksoper wird es auch geben. Sechs Stück, wenn ich mich recht erinnere. Eines davon im Wiener Konzerthaus. Damit die auch mal aus dem Graben kommen, hat Wellber bei der Programm-Präsentation für 2023/24 gemeint. Im Konzertsaal ist er ein Versprechen. Das würde ich definitiv empfehlen. An der Oper muss er sich noch beweisen. Der Lohengrin war nichts!

      Liebe Grüße
      Jürgen Pathy

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