Klaus Mäkelä © Jerome Bonnet / Orchestre de Paris
Maestros ade, Regie ahoi, Ladys first. Die Klassikbranche kämpft mit einer Identitätskrise. In diesem Gemenge aus Verwirrung und Hoffnung setzt man auf Jugend und Demut. Mit Klaus Mäkelä trifft man somit genau den Zeitgeist.
von Jürgen Pathy
„Der Chef ist im Haus“, wird es beim Typus Dirigenten Mäkelä nicht spielen. Als Karajan die Wiener Staatsoper betreten hatte, zitterten die Mitarbeiter in den Gängen des Hauses. Diese Hegemonie der Pultstars ist lange vorbei. Wer Klaus Mäkelä beobachtet, 28, blasses Gesicht, Schmalzlocke, gewinnendes Lächeln im Gesicht, der merkt, weshalb der finnische Shootingstar zurzeit so hoch im Kurs steht. Herzlich, fast schon freundschaftlich, auf Augenhöhe kommuniziert er mit seinen Musikern. Eine Übermachtstellung, gar ein Gotteskomplex oder eine locker sitzende Hand – die kann man sich bei Mäkelä bei bestem Willen nicht vorstellen.
Er spielte Cello
Dass er auch noch das Cello zwischen die Beine klemmt, holt ihn komplett in die Mitte seiner Musiker. Erdet ihn, nimmt ihm die Position des allerhabenen Chefs. „Geh schon, geh du voraus“, scheint ihm Daniel Lozakovich zu deuten. Beim Brahms Dopplekonzert, mit dem beide erst vor kurzem das Wiener Konzerthaus gefüllt haben. Eine ungewöhnliche Rangordnung für Dirigenten, Konzertmeister und Führungspersönlichkeiten generell.
Ehud Barak und Jassir Arafat hatten sich beinahe geprügelt, wer denn nun als erster durch die Türe muss. Juli 2000, „Camp David II“, Maryland, USA. Tomasz Konieczny ist an der Wiener Staatsoper oft der Letzte, der die Bühne verlässt. Boss eben, nicht nur als Wotan in Richard Wagners Weltendrama „Der Ring des Nibelungen“, sondern auch abseits der Fiction anscheinend. Nicht der Letzte zu sein, der ins Rampenlicht tritt, ist das Zeichen schlechthin, dass man sich gefügt hat. Dass man den Boss mal kurz hinten anstellt. Mäkelä hat damit kein Problem.
In Amsterdam setzt man darauf. In Chicago auch. Es sind keine News mehr, dass Mäkelä die beiden traditionsreichen Symphonieorchester ab 2027 übernehmen wird. Dann wird er 31 Jahre sein. Ein wenig Zeit noch, um an seinen Fertigkeiten als Kapellmeister zu arbeiten. Denn, so sehr man ihn überall auf Händen trägt, die Defizite sind nicht zu verheimlichen. „Der dirigiert nicht, der stört die Musiker“, hatten sich Fachleute vor Entsetzen die Hände vors Gesicht geschlagen. Tschaikowsky, „Pathétique“, November 2022 im Wiener Konzerthaus. Nun sollte man nicht so hart ins Gericht gehen mit Personen, die als Hoffnungsträger einer ganzen Branche herhalten müssen.
Rettungsanker: Mäkelä
Die „Klassik“, die Kunst generell, kämpft seit Jahrzehnten um die Aufmerksamkeit des Zuschauers. In der bildenden Kunst mit überdimensionalen Formaten, in Hollywood scheint der Kampf gegen Streamingdienste aussichtslos. „Man braucht heutzutage schon etwas Besonderes, um die Menschen ins Kino zu locken“, hatte Will Smith attestiert.
Im Opernbetrieb versucht man es durch Regietheater, immer abstrusere Deutungen von alteingesessenen Stoffen. Im Konzertbetrieb mit Jugend, Demut & Weiblichkeit. Die Welt ist nun „non-binär“, Frauen im Vormarsch, der „alte weiße Mann“ am Abstellgleis. Das weiß man nicht erst seit dem Eurovision-Songcontest oder seit #Metoo. Die haben alles nur noch beschleunigt. Mäkelä passt somit perfekt ins neue Rollenbild.
Bleibt nur zu hoffen, dass bei all den Trends, Anbiederungen und durchaus zu befürwortenden Grundgedanken, das Wichtigste nicht auf der Strecke bleibt: Die Qualität der Musik, der Inhalt, der letztendlich immer im Mittelpunkt stehen sollte. Denn nur alles durchpeitschen, ohne Rücksicht auf Transparenz und Eigentümlichkeiten einzelner Komponisten, dürfte nicht ausreichen. Brahms pflegt eine andere Sprache als Tschaikowsky. Bruckner sowieso, dessen Geheimnisse für viele nie gelüftet werden können.
Vielleicht gelingt es Mäkelä in Chicago und Amsterdam, seine jugendliche Energie darin zu kanalisieren. Damit sein unbändiger Wille, Berge zu versetzen, in Esprit mündet. Und nicht wie bislang in einem Einheitsbrei versinkt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 8. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“