Pathys Stehplatz (49): Dilemma für Thielemann – Direktor Bogdan Roščić trägt das Märchen zu Grabe

Pathys Stehplatz (49): Dilemma für Thielemann – Direktor Bogdan Roščić trägt das Märchen zu Grabe  klassik-begeistert.de, 5. Mai 2024

Bogdan Roščić © Michael Pöhn,Wiener Staatsoper

„Prima la musica, poi le parole“. Zuerst die Musik, dann der Text. An dieser Rangordnung sollten in der Oper keine Zweifel bestehen. Mit der „Lohengrin“-Neuproduktion hat man diese Regel an der Wiener Staatsoper mit Füßen getreten. Nach dem „Turandot“-Massaker, muss somit das nächste Märchen daran glauben. Bogdan Roščić hat damit die rote Linie überschritten.

von Jürgen Pathy

„Der Dramaturg gehört entlassen“, war nur der Gipfel der Entrüstung. Nach der Entmystifizierung des „Lohengrin“, häufen sich die Stimmen, die den Fehltritten der Wiener Staatsopernführung nicht klein beigeben wollen.

Chefdramaturg Sergio Morabito verletzt die wichtigste Regel einer Operninszenierung: die Wahrung der Gesamtästhetik einer Produktion. Anna Viebrock, zuständig für Bühne & Kostüm, steht ihm tatkräftig zur Seite. Bogdan Roščić segnet dieses optische Desaster einer Inszenierung ab. Damit muss sich die Staatsoperndirektion den Vorwurf gefallen lassen, die „Oper aller Opern“ im Wienfluss ertränkt zu haben.

Der Totschlag des Lohengrins

Regisseure haben Narrenfreiheit. Sie dürfen viel. Was allerdings ein No-Go ist: Mit aller Gewalt seine Handschrift in einem Werk verewigen wollen. Unabhängig davon, wie nachvollziehbar die Neudeutung eines Sujets sein mag, eine Oper unterliegt einer gewissen Aura, einer Symbiose zwischen Bühne und Musik. Beim Lohengrin ist die ganz klar im Göttlichen, im Mystischen angesiedelt. Es ist ein Märchen.

David Butt Philip (Lohengrin) und Ensemble

Diese Symbiose muss die Regie auch auf die Bühne projizieren. Jossi Wieler & Sergio Morabito, samt ihrer preisgekrönten Bühnenbildnerin Anna Viebrock, haben diesbezüglich kläglich versagt. Grau in grau, beim Anblick der Bühne jeglicher Übersinnlichkeit beraubt, von Romantik keine Spur. Der Titelheld in einem abscheulichen, grotesken Kostüm der Persiflage zum Fraß vorgeworfen. Ein USP, ein „Alleinstellungsmerkmal“ des Regieduos Wieler & Morabito. Das mag bei Monteverdis „Ulisse“ funktionieren, beim „Lohengrin“ steht das komplett im Widerspruch zur Musik.

Dass sie dabei auch noch dem Dirigenten ein Bein stellen, ist die Krönung dieser beleidigenden Szenerie. Weil sie mit der Ortrud einfach Sympathie hegen, die Elsa aber als Mörderin entlarven, drehen sie den Spieß der Musik um. Das Problem dabei: Richard Wagner hat den 2. Akt, den „Ortrud & Telramund Akt“, der Dominanz des finsteren fis-Moll untergeordnet. Für Elsa & Lohengrin hingegen Grals erhellendes A-Dur zugeschrieben. Wenn nun die Protagonisten auf der Bühne im Gegensatz zu ihren musikalischen Vorzeichen agieren sollen, stiftet das unheimlich viel Verwirrung.

Thielemanns Dilemma mit der Regie

Der Rollentausch funktioniert dramaturgisch auf der Bühne, aber nicht in Symbiose mit dem Graben. Zumindest haben Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker diesen Spagat nicht geschafft. In Retrospektive ist diese Deutung in München gelungen. Dort hat François-Xavier Roth genau diesen Widerspruch orchestral umsetzen können. In Wien ist das bei der Premiere schiefgelaufen.

Christian Thielemann © Dieter Nagl

Dass Kollegen von der Presse von einem „furiosen“ Lohengrin halluzinieren, lässt auf einen verblendeten Fanatismus schließen. Christian Thielemann kocht auch nur mit Wasser. Bei der Wiener Premiere hat das nicht mal ansatzweise den Siedepunkt erreicht. Dass der Kapellmeister beim Orchester einen Status genießt, der seinesgleichen sucht, ist kein Geheimnis. „Er hat einfach alles im Griff, bemerkt jedes Detail“, sprühen Orchestermitglieder nur so vor Lobeshymnen. An der Tatsache, dass dennoch der Spannungsbogen regelmäßig reißt, ändert das nichts. Beim Dirigieren dürften andere Mächte mit im Spiel sein. Die reine Kapellmeisterei bringt keine Sternstunden.

Um diese zu produzieren, muss auch der Kapellmeister mal über seinen Schatten springen. Manchmal muss man Sänger auch im Regen stehen lassen. Beim „Lohengrin“, selbstverständlich auch beim „Tristan“, in anderer Weise ebenso bei der „Walküre“, da muss das Orchester der treibende Motor sein. „Prima la musica, poi le parole“, verstehe ich also auch in diesem Sinne. Indisponierten Künstlern auf der Bühne unter die Arme zu greifen, führt zu keinem befriedigendem Resultat. Genau das Gegenteil ist der Fall: Eine Unterordnung der Stärken, woraus Mittelmaß resultiert.

Die Verantwortung für dieses Chaos trägt Direktor Bogdan Roščić. Intellektueller Zeigefinger hoch und mit der Dampfwalze über alles rollen, funktioniert nur bedingt. Hausverstand einschalten, die Musik nicht der szenischen Vergewaltigung ausliefern, sollte die Devise sein. Dass auch „Regietheater“ dazu in der Lage ist, beweist Barrie Kosky regelmäßig.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 5. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“

Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 2. Mai 2024

3 Gedanken zu „Pathys Stehplatz (49): Dilemma für Thielemann – Direktor Bogdan Roščić trägt das Märchen zu Grabe
klassik-begeistert.de, 5. Mai 2024“

  1. Turandot war ein ganz großer Wurf. Der China-Kitsch ist ENDLICH hinweggefegt, die Beziehung zwischen Turandot und Calaf durch die Verwendung des langen (nachkomponierten) Schlusses nach Analyse von Turandots „Problem“ sinnvoll zum Ziel gebracht. Wahrscheinlich funktioniert es mit guten Dastellern am besten…

    Mit Lohengrin ist das anders. Die seltsame Inszenierung mit noch seltsamerer Ausstattung hat Thielemann als Schlusspunkt schon vor Zeiten in Salzburg gesetzt, als er dort allmächtig schien.
    Leider ist die WSO auf den Namen Ch.Th. hereingefallen und hat die Produktion als Übernahme gekauft.
    Allerdings ist mir noch keine zu 100% schlüssige Lohengrin-Umsetzung begegnet. Ist das Stück in unserer Zeit vielleicht verloren? Sollte es besser konzertant aufgeführt werden?

    Waltraud Becker

    1. Liebe Frau Becker,

      Bayreuth fand ich gelungen. Das orange-blaue Bühnenbild von Neo Rauch. Das geht zumindest Hand in Hand mit der Musik. Auf intellektueller Ebene könnte man über Yuval Sharons Inszenierung diskutieren.

      Liebe Grüße,

      Jürgen Pathy

      1. Dieses „Kraftwerk“ hatte ich schon verdrängt. Eine Zumutung für Sänger (konnte man deutlich merken) und die Augen des Publikums.
        Da ist mir Neuenfels in seiner Intellektualität noch lieber, oder Guth mit dem mystischen Lohengrin, der in eine preussisch-militärische Umgebung gebeamt wird.
        Ganz schrecklich ist der jüngste L. an der Met, ganz zu schweigen von der dümmlichen Produktion an der BSO.
        Konzertant mit geeigneten (!!!) Stimmen , das wärs…

        Waltraud Becker

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