Weinliebhaber aufgepasst! Nachdem ich gerade durch die Wiener Innenstadt flaniert bin, vorbei am Stephansplatz und der Wiener Staatsoper, sträubten sich mir zuerst die Nackenhaare. Der Grund: Ein Plakat, das meine Augen erblickten. Auf einer Litfaßsäule, moderner Bauart, prangt rund 3 Meter über dem Boden ein Plakat, mit dem ich im ersten Augenblick nichts Verheißungsvolles verknüpfen konnte: Cuvée – 5 Konzerte im Großen Saal mit darauf einstimmenden Weinverkostungen.
von Jürgen Pathy
Mit diesem Slogan wirbt das Wiener Konzerthaus, einer der besten Konzertsäle der Welt, für eine kommende Konzertreihe, die im September startet. Mit dabei, unter anderen, Juan Diego Flórez und Gautier Capuçon. Schön und gut. Alles große Künstler, noch dazu in einem der schönsten Konzerthäuser der Welt, das alleine schon einen Besuch lohnt.
Der Trend: Kunst und Kulinarik
Mir allerdings schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: „Oh mein Gott – bitte, jetzt nicht auch noch das Wiener Konzerthaus!“ Haben wir nicht schon Festivals zu Genüge, die mit der Masche „Kunst und Kultur“ um die Gunst neuer Publikumsschichten buhlen. Muss denn jetzt auch noch das Wiener Konzerthaus, einer der letzten Horte der musikalischen Qualität, auf diesen kommerziellen Zug aufspringen. Reicht es nicht irgendwann.
Nachdem ich allerdings meine Instinkte zügeln konnte, das Rebellische in mir, das schon oft aus Prinzip dagegen ist, dämmerte es mir. Wenn man es schafft, die künstlerische Qualität nicht im Nebel der kulinarischen Beigeräusche zu ertränken, könnte das ein durchaus erfolgreiches Konzept werden. Nicht nur künstlerischer Natur, sondern auch als Gesamterlebnis. Vorausgesetzt man gestaltet es anders als bei einem Opernfestival nicht unweit der ungarischen Grenze. Dort hat man meines Erachtens auf ganzer Linie versagt.
Zwar werben die Veranstalter, die in der österreichischen Unterhaltungsbranche ziemlich tief verwurzelt sind, mit einem Gesamterlebnis allererster Güte, letztendlich bleibt aber fast alles auf der Spur: Qualität, Akustik und sogar die Kulinarik. Diesen Fauxpas wird sich das Wiener Konzerthaus allerdings nicht leisten. Das nehme ich zumindest an.
Im Gegensatz bietet das nämlich eine hervorragende Akustik. In einer Umfrage landete das 1913 eröffnete Haus in den Top-Ten der besten Konzertsäle dieser Welt. Wer schon einmal in den Genuss gekommen ist, im großen Saal, der mit seinen Jugendstilelementen eine große Anmut ausstrahlt, ein Konzert zu erleben, der weiß, wovon ich spreche. Noch dazu bietet das Wiener Konzerthaus mit dem kleineren Mozart- als auch Schubert-Saal zwei hervorragende Orte, um intime Liederabende oder Kammermusik im passenden Ambiente zu genießen.
Kultiviertes Fest mit Flórez und Gergiev
Der nächste Punkt, der mich beschäftigt: Welchen Wein will man vor den Konzerten kredenzen? „5 Cuvées” hört sich zwar schön an, aber da sollte ein ausgeklügeltes Konzept dahinter stecken. Vielleicht stimmig und im Einklang, wie ein leichter spanischer Weißwein, der perfekt zur Stimme von Juan Diego Flórez passen würde.
Oder doch eher ein schwerer, fruchtiger Rioja, der mindestens zwei Jahre im kleinen Barrique-Fass heranreifen durfte. Der würde zwar einen starken Kontrast setzen zur federleichten Stimme des Peruaners. Passen würde der allerdings wiederum zu Carminho, einer portugiesischen Fadosängerin, die ebenfalls in diesem Zyklus auftreten wird. Mit ihren Liedern, die den Moment, die Liebe und die Trauer zelebrieren, würde dieser Rotwein verdammt gut korrespondieren.
Wie die Wahl des Sommeliers allerdings ausfallen könnte, wenn der russische Stabhypnotiker Valery Gergiev sein Mariinsky Orchestra leitet, entzieht sich meiner Kenntnis. Bislang habe ich noch nie einen Wein getrunken, dessen Reben weiter nördlich gedeihen als in der Pfalz. Gergiev zählt nämlich genauso zum Zyklus der „5 Cuvées“, wie das Oslo Philharmonic unter der Leitung des Finnen Klaus Mäkelä.
Solange die Wahl besser ausfällt, als beim burgenländischen Festival, kann allerdings nicht viel schieflaufen. Wie man dort so daneben greifen konnte, bleibt mir überhaupt ein Rätsel. Ist doch das vom pannonischen Klima geprägte Bundesland bekannt für seine feinen Tropfen – allen voran die Rebsorten Blaufränkisch und Zweigelt, die von Winzern wie Erich Scheiblhofer in bester Qualität gekeltert werden.
Die gute Seele des Hauses
Vom schlechten Wein zu viel getrunken, scheinen im Steinbruch auch Teile des Personals. Anders ist es nicht zu erklären, warum der Herr im Souvenirstand nicht wusste, wo seine Grenzen liegen. Das kann einem im Wiener Konzerthaus auch nicht passieren.
Dort wird man nämlich von Herrn Rosner empfangen. Einem schlanken Herren, vermutlich um die fünfzig, der ein Faible für Carl Barks’ Comicfiguren aus Entenhausen pflegt und stets ein offenes Ohr für die Gäste an der Pressegarderobe hat. Neben der hervorragenden Akustik, dem bunten Programm und dem bezaubernden Ambiente, ist er auf jeden Fall einer der vielen Lichtblicke, die einen Besuch im Wiener Konzerthaus immer lohnen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 27. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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