Der Pianist Paul Lewis ist ein teuflischer Perfektionist

Paul Lewis, Bernard Haitink, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner,  Philharmonie im Gasteig München

Foto © Jack Liebeck
Paul Lewis (Klavier), Bernard Haitink und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert No. 2 in B-Dur
Anton Bruckner: Sinfonie No. 6 in A-Dur
Philharmonie im Gasteig München, 5. Mai 2017

von Raphael Eckardt

Paul Lewis, einer der berühmtesten Schüler Alfred Brendels, hat in den letzten Jahren besonders durch seine Beethoveninterpretationen für mächtig Furore in Klassikkreisen gesorgt und für seine CD-Einspielung von sämtlichen Klavierkonzerten viel Lorbeer geerntet. Umso gespannter durfte man auf seine Interpretation von Beethovens B-Dur-Konzert sein, die sich auf der CD deutlich von den Interpretationen eines anderen Beethovenspezialisten abhebt: denen Daniel Barenboims.

Vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Bernard Haitink getragen, sollte sich an diesem Abend ein dynamischer Pianist an einem Klavierkonzert versuchen, das einst ein junger, dynamischer Ludwig van Beethoven komponiert hatte. Paul Lewis sollte brillieren – und er sollte das Klangpotenzial eines Konzertsaals offenbaren, das viele so nicht erwartet hätten.

Mit Eleganz verwandeln die Violinen die Bühne der Münchner Philharmonie zu Beginn des ersten Satzes in einen Schauplatz königlichen Treibens zur Zeit der Wiener Klassik. Haitink gelingt eine perfekte Projektion eines höfischen Gesellschaftslebens. Man ist amüsiert, man spricht über Alltägliches und man wartet auf die Ankunft des Königs.

Bereits der erste Einsatz des Klaviers versetzt einen Großteil des Publikums in ungläubiges Staunen. Selten hat man in diesem Konzertsaal den bachklaren Klang eines Steinway-Flügels so unverwaschen zu hören bekommen. Und spätestens an dieser Stelle ist klar: Dieser Paul Lewis ist ein teuflischer Perfektionist. Mit schier unmenschlicher Präzision liebkost er einzelne Phrasen, um sich anschließend in schwindelerregende Höhen zu schwingen. Jedes Arpeggio, jede Phrasierung, ja: beinahe jeder Ton wird zum emotionalen Spannungsträger. Lewis offenbart sich als Modelleisenbahnbauer unter den Beethoveninterpreten. Eine derartige Detailversessenheit hat man hier lange vergeblich gesucht. Fabelhaft!

Wie perfekt Pianist und Dirigent harmonieren, offenbart der Adagiosatz. Mit tiefsinnigem Streicherklang rollt Haitink einen samtschillernden Teppich aus, der das unbeschwerte Treiben des ersten Satzes in einen melancholischen Rotton tränkt. Lewis betritt diesen Teppich. Mit schweren Schritten schickt er sich zum Tanze an. Und dann ist plötzlich diese Leichtigkeit aus dem ersten Satz zurück. Völlig unerwartet, unverfälscht und unglaublich authentisch.

Paul Lewis gelingt es an diesem Abend wie keinem anderen, Beethoven mit einer abwechslungsreichen und erfrischenden Note zu versehen, die viele Jahre lang verschollen war. Nach dieser Dynamik, nach dieser Unbekümmertheit und nach dieser Detailversessenheit haben sich nach einem jahrzehntelang andauernden „Barenboim-Marathon“ wohl viele gesehnt. Chapeau!

Kein Wunder, dass das Publikum mit großem Applaus auf diese außergewöhnliche Darbietung reagiert. Lewis bekommt das – wenn überhaupt – nur hinter der Bühne mit. Er lässt sich nicht feiern, er ist nicht Daniel Barenboim. Er ist der detailversessene, in sich gekehrte Modelleisenbahnbauer unter den Beethoveninterpreten. Und genau das macht ihn so unglaublich authentisch!

Mit Anton Bruckners A-Dur-Sinfonie gehört die Bühne dann allein Haitink und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – eine schwere Last nach dieser furiosen ersten Hälfte. Haitink trägt sie solide. Mehr aber leider auch nicht. Das von Gustav Mahler uraufgeführte Werk ist freilich kein Gassenhauer. Es ist kein Klavierkonzert eines Ludwig van Beethoven. Es ist komplexe, tiefgründige Musik, die Haitink da einem Publikum vermitteln muss, das sich immer noch im Lewis-Rausch befindet. Da muss man die Konzertplaner an diesem Abend kritisieren: Eine Umstellung der beiden Programmpunkte hätte mehr Sinn ergeben!

Die musikalischen Seltsamkeiten des Adagios bringt der Niederländer glänzend zum Ausdruck. Er gibt sich als Bildhauer, der einem Felsbrocken aus Granit langsam Kontur verleiht. Geschickt phrasiert er einzelne Motive, um sie anschließend zu großen Spannungsbögen zusammenzufassen. Aus einzelnen Hammerschlägen entstehen nach und nach glattfließende Formen mit feiner Maserung. Haitink versteht Bruckners Musik. Aber seine Interpretation enthält wenig Mut zu Neuem. Besondere Momente erweisen sich als rar, vor allem im Scherzosatz verwaschen einzelne Phrasen zu einem reizüberflutenden Klangbrei. Da tut einem Haitink fast leid! Er wirkt sichtlich bemüht, pompöse Klangsäulen zu erschaffen, um dem ersten Teil des Konzerts Paroli zu bieten. Das gelingt mit einem Weltorchester durchaus, das Filigrane in Bruckners Sinfonie geht dadurch leider verloren.

Warum die Veranstalter die wohl schwierigste Sinfonie Bruckners mit einem Klavierkonzert Beethovens kombiniert haben, bleibt unverständlich. Dem Dirigenten und dem Orchester tut man mit dieser Auswahl keinen Gefallen. Und so behält dieser Abend einen faden Beigeschmack: Die furiose „Paul-Lewis-Show“ geht auf Kosten von Bernard Haitink und dem Orchester.

Dem Publikum gefällt Haitinks Interpretation. Auch hier spendet es tosenden Applaus.

Raphael Eckardt, 6. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de

 

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