Pelléas et Mélisande 2024, B. Bliss, S. Devieilhe © Wilfried Hoesl
Das Orchester ist der Erzähler der Oper. Es illustriert, kommentiert, führt und verbindet die Handlung. Dirigent Hannu Lintu produziert ein schillerndes wogendes Klangmeer. Christian Gerhaher singt tiefe intensive Emotionalität großartig. Die Inszenierung Jetske Mijnssens finde ich extrem langweilig.
Pelléas et Mélisande (1902)
Komponist Claude Debussy
Text von Maurice Maeterlinck
Musikalische Leitung Hannu Lintu
Inszenierung Jetske Mijnssen
Bayerisches Staatsorchester
Projektchor der Bayerischen Staatsoper
Opernballett der Bayerischen Staatsoper
Statisterie der Bayerischen Staatsoper
Bayerischer Staatsopernchor
Nationaltheater, München, 9. Juli 2024 PREMIERE
von Frank Heublein
An diesem Abend wird mit Pelléas et Mélisande von Claude Debussy in München die zweite Premiere der Münchner Opernfestspiele 2024 auf die Bühne des Prinzregententheaters gebracht.
Das Bayerisches Staatsorchester erstmals geleitet vom Finnen Hannu Lintu ist ein schillerndes wogendes Klangmeer. Das Orchester ist der Erzähler der Oper. Die Stimmen fügen sich zumeist wie Instrumente in den Orchesterklang ein. Das Orchester illustriert, kommentiert, führt und verbindet die Handlung. In den ersten drei Akten zelebriert Debussy orchestrale Zwischenspiele zwischen Bildern und Akten. Es berauscht mich, doch fühlt sich die Oper auch lang an. Als würde ich drei Stunden am Strand sitzen und ins Meer schauen. Wogend, plätschernd, sanft zischend, schmeichelnd wabernd. Wunderbare Töne! Sanft grummelndes Schlagwerk, Harfe und Flöte stechen effektvoll hervor. Jedes Piano eines Instruments ist als Teil des Ganzen zu hören. Eine tolle Orchesterleistung.
Golaud wird hervorragend gesungen und gespielt von Bariton Christian Gerhaher. In ihm wächst in den ersten Akten die Eifersucht. Cholerisch wie er ist, kann er sein Handeln nicht kontrollieren. Er malträtiert seinen Sohn Yniold. Er tötet seinen Bruder Pelléas im Affekt. Auch seine egomanische Verzweiflung am Schluss nehme ich ihm ab. Er versucht, der sterbenden Mélisande die „Wahrheit“ heraus zu quetschen, um seinen Affektmord vor sich selbst rechtfertigen zu können. Großartig, wie entschlossen, wie verwirrt Gerhaher all diese tiefe intensive Emotionalität mit klarer fester Stimme singt.
Beide Titelrollen sind sehr gut. Pelléas gesungen von Tenor Ben Bliss und Mélisande von Sopranistin Sabine Devieilhe haben im vierten Akt ihren großen emotionalen Ausbruch. Sie gestehen sich gegenseitig ihrer Liebe. Hier ist das Drama voll lyrique. Eine lange innige Szene zweier sich Anhimmelnder. In meinem Eindruck der einzige Moment jenseits Golauds, in dem Emotionen ungebremst hervortreten. Schauspielerisch einnehmend zurückhaltend gespielt. Vor der Pause ist Mélisande ein rätselhaftes Hascherl, das entsprechend der Rolle kaum etwas aktiv tut, außer ihr langes Haar zu zeigen. Sie lässt zu. Das reicht, um von zwei Brüdern geliebt zu werden. Sabine Devieilhe singt die Partie hell, zart und zerbrechlich. Pelléas singt locker leicht und vermittelt so seine jugendliche Unbeschwertheit. Ihm geht jeglicher Argwohn ab gegen die aufkeimende Eifersucht seines Bruders Golaud.
Die Inszenierung Jetske Mijnssens finde ich extrem statisch und langweilig. In einigen – wichtigen – Szenen, etwa in der Pelléas in Mélisandes Haar greift, sogar widersinnig. Denn zuerst singt er das Hineingreifen nur, dann greift er doch physisch ins Haar. Warum erschließt sich mir nicht. Da ausschließlich in geschlossenen langweilig gedeckt farbig möblierten Räumen vor schwarzer Wand gespielt wird, darf ich mir in den vielen Naturszenen die Möbel weg und die Hügel und Grotten hinzudenken. Nur im letzten Akt wird es durch reflektierendes Wasser und einem Spruch an der Rückwand etwas lebendiger auf Bühne. Wieso erst jetzt, da Mélisande stirbt? Liegt es an den Umbaupausen? Die letzte ist so übermäßig lang, dass ein Mensch vor mir sein Handy auspackt. Insgesamt finde ich, dass die Inszenierung die Opernhandlung viel zu wenig unterstützt.
So eine instrumental bestimmte Oper habe ich noch nie gesehen und gehört. Debussys feine zarte differenzierte Klangpracht wird an diesem Abend zum Leuchten gebracht. Zugleich empfinde ich diesen Abend als lang. Die impressionistische Klangvielfalt wirkt auf mich kompositorisch überwiegend so eingebremst, dass ja die kleinste Differenzierung nicht verwischt.
Frank Heublein, 10. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Pelléas et Mélisande
Drame lyrique in fünf Akten
Komponist Claude Debussy
Text von Maurice Maeterlinck aus seinem gleichnamigen Schauspiel
Besetzung
Musikalische Leitung Hannu Lintu
Inszenierung Jetske Mijnssen
Bühne und Kostüme Ben Baur
Licht Bernd Purkrabek
Choreographie Dustin Klein
Chor Franz Obermair
Dramaturgie Ariane Bliss
Arkel Franz-Josef Selig
Geneviève Sophie Koch
Pelléas Ben Bliss
Golaud Christian Gerhaher
Mélisande Sabine Devieilhe
Yniold Solist(en) des Tölzer Knabenchors Ein Arzt Martin Snell
Ein Hirt Paweł Horodyski