Roman Payer (Peter Grimes) © Stephan Walzl
Peter Grimes
Oper in drei Akten und einem Prolog
Libretto von Montagu Slater nach „The Borough“ von George Crabbe
Musik von Benjamin Britten
Musikalische Leitung Vito Cristofaro
Regie, Bühne & Kostüme Hinrich Horstkotte
Licht Regina Kirsch
Choreinstudierung Thomas Bönisch
Extrachoreinstudierung Felix Schauren
Dramaturgie Stephanie Twiehaus
Peter Grimes Roman Payer
Ellen Orford Sally du Randt
Balstrode Kihun Yoon
Ned Keene Leonardo Lee
Erste Nichte Paola Leoci
Zweite Nichte Elena Harsányi
Auntie Marie-Sophie Janke
Mrs Sedley Melanie Lang
Bob Boles Johannes L. Maas
Swallow João Fernandes
Pastor Adams Mark Serdiuk
Hobson Alwin Kölblinger
Junge Philip Bethke
Opernchor, Extrachor und Oldenburgisches Staatsorchester
Oldenburgisches Staatstheater, Premiere, 9. März 2024
von Axel Wuttke
Hinrich Horstkotte, der für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, beschert dem Oldenburgischen Staatstheater und seinem Publikum mit dieser Inszenierung einen in allen Belangen ergreifenden und in seiner Stringenz überwältigenden Opernabend.
Im wandlungsfähigen Bühnenbild, einer geteerten Räucherhütte nachempfunden, entstehen durch Öffnen von Seitentüren und dem Hochfahren der Rückwand immer wieder neue Räume und Blickwinkel.
Die ganz eigene Atmosphäre an der Küste, Dünen, Sturm, Sonnenschein und der trübe Schleier der Morgendämmerung, fließen in die Inszenierung mit ein. Gleichzeitig hat immer alles Bezug zu den Personen und der Handlung. Der Regisseur versteht es, alle Beteiligten genau zu charakterisieren, bis hin zum großartig individuell geführten Chor.
Von Anfang an steht Peter Grimes im Zentrum des Geschehens. Wir werden schon im Prolog aufgefordert, uns Gedanken über ihn zu machen. Denn er ist nicht einfach nur ein schlechter Mensch, das wäre zu kurz gegriffen und das wird vom Regisseur klug herausgearbeitet.
Auch wenn die Verhandlung um den auf See gestorbenen Lehrjungen mit einem Freispruch endet, ist hier schon klar, dass Peter Grimes nur verlieren kann. Die Gesellschaft lehnt ihn ab. Im Vorspiel zum ersten Akt sehen wir ihn dann mit seinen Visionen kämpfen, die Leiche des toten Jungen wird herabgelassen, dieses Trauma wird er nicht überwinden können.
Da hilft auch der Zuspruch der unsicheren, in sich gekehrten Lehrerin Ellen Orford nichts, die in diesem Dorf, genau wie er, letztendlich nicht am richtigen Platz ist. Sie muss erkennen, dass man nur helfen kann, wenn jemand die Hilfe auch annimmt.
Dies ist aber für Peter Grimes unmöglich. Und daran zerbrechen beide. Sie bleiben Außenseiter in der Dorfgemeinschaft. Irgendwann sind Kraft und Widerstandsfähigkeit gegen die von Vorurteilen geprägte Gesellschaft erschöpft, sie müssen aufgeben.
Ein leider immer wieder aktuelles Thema und gleichzeitig die Bestätigung, dass Britten schon 1945 ein allgemeingültiges, zu jeder Zeit aktuelles Werk geschaffen hat. Damals wie heute verfehlt diese Oper, auch dank dieser starken Inszenierung und musikalischen Umsetzung, ihre emotionale Wirkung nicht.
Roman Payer ist eine Idealbesetzung als Peter Grimes. Schauspielerisch nimmt er das Publikum durch intensives und glaubwürdiges Spiel, den komplexen Charakter der Rolle nie überzeichnend, gefangen. Wenn er am Ende langsam, psychisch vollkommen gebrochen, die Bühne verlässt, um sich und sein Boot auf offener See zu versenken, ist dies schwer mit anzusehen.
Gesanglich lässt Roman Payer durch die hohe Qualität seines klaren Tenors keine Wünsche offen. Sein Arioso in der zweiten Szene des ersten Aktes singt er mit hoher Legato-Kultur und ganz in sich gekehrt, seine Szene im zweiten Akt, wenn er von einer glücklichen Zukunft mit Ellen Orford träum, klingt wie nicht irdisch, ganz schlicht und zart. Ein intimer Moment, bei dem man das Gefühl hat, die Zeit steht still.
Gleichzeitig ist Roman Payer in der Lage, der psychischen Zerrissenheit von Peter Grimes und seiner daraus resultierenden Aggressivität mit großer, strahlender Stimme gerecht zu werden. Eine herausragende Leistung.
Die Lehrerin Ellen Orford ist, ähnlich wie Peter Grimes, auf der Suche nach privatem Glück, muss aber erkennen, dass ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Mit leicht herbem Sopran, schlichter, in sich gekehrter Stimmgebung erfüllt Sally du Randt ihre Partie mit allen, vom Regisseur so wunderbar herausgearbeiteten, Facetten. Trotz aller Verhaltenheit und Zurücknahme lässt sie in den großen Ensemble-Szenen ihre Stimme weit über allem strahlen.
Sehr berührend gelingt das Arioso im letzten Akt, dass von ihr stimmlich, mit zartesten Tönen, gleichermaßen als Eingeständnis ihres Scheiterns, ausgestaltet wird. Auch sie berührt von Anfang an und lässt uns durch ihre eindringliche Art an ihrem Geschick emotional Anteil nehmen.
Das Ensemble, bis in die kleinsten Rollen wunderbar besetzt, trägt durch Spielfreude und hohe gesangliche Qualität zu diesem faszinierenden Opernabend bei.
Außerordentlich die Leistung des Orchesters und des Dirigenten Vito Cristofaro. Mit großem Gespür für die Instrumentationskunst und die typische Klangfarbe von Benjamin Britten, gibt er der Partitur sowohl in den kraftvollen und dramatisch zugespitzten Szenen, als auch in den, im Tempo zurückgenommenen, stillen, lyrischen Momenten, ihren Raum.
Wunderbar die Zwischenspiele, vor allem die sich kraftvoll steigernde Passacaglia im zweiten Akt und das im Tempo wunderbar elegische Vorspiel zum dritten Akt, dass, bei geschlossenem Vorhang gespielt, seine berührende Stimmung voll entfalten konnte.
Das Orchester, in allen Instrumentengruppen auf höchstem Niveau spielend, folgte, genau wie der Chor und die Sänger, genau seinem umsichtigen Dirigat, so dass die Partitur mit all ihren rhythmischen Feinheiten und den komplexen Chor -und Ensemble-Szenen perfekt zur Geltung kommt.
Der Chor, einstudiert von Thomas Bönisch, agierte wie immer an diesem Theater spielfreudig, individuell und sang vor allem klangschön und homogen, selbst in den aggressiven Momenten. Beeindruckend.
Am Ende, wenn Kapitän Balstrode, sonor und mit großer Autorität von Kihun Yoon gesungen, Peter Grimes rät, aufs Meer hinaus zu fahren und sich und sein Schiff zu versenken, hat man den Wunsch, einzugreifen. Man ist beteiligt. Dies ist ein großer Verdienst der Inszenierung.
Wenn die gleiche Musik wie zu Beginn des ersten Aktes erklingt, der Tag anbricht, scheint im Dorf wieder alles wie immer zu sein. Nur nicht für Ellen, die am Rande steht, ihr bleiben nur Tränen und endgültig zerstörte Hoffnungen. Auch sie wird an diesem Ort nicht glücklich werden. Ist ihr Schicksal besser als das von Peter Grimes?
Ein Abend, der nachdenklich macht und uns mit seiner Thematik alle angeht.
Das Publikum dankt allen Beteiligten mit tosendem Applaus und zum Ende stehenden Ovationen. Die besonderen Opernereignisse finden bei weitem nicht immer an den großen Häusern statt. Die Reise nach Oldenburg hat sich gelohnt. Wer die Möglichkeit hat dorthin zu fahren, sollte sich diesen aufwühlenden, besonderen Opernabend nicht entgehen lassen.
Axel Wuttke, 12. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner (1813 — 1883), Die Walküre Oldenburgisches Staatstheater, 14. Januar 2024
Benjamin Britten PETER GRIMES MANAUS/Teatro Amazonas, 19. Mai 2023