Rezension des Videostreams: Montagsstück IX – Eight Songs For A Mad King
Foto: W. Hösl (c)
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 11. Januar 2021
Peter Maxwell Davies,
Eight Songs for a Mad King
von Frank Heublein
Dieses Stück dauert knappe vierzig Minuten. Das ist lang für jemanden wie mich, der im persönlichen Umfeld psychosomatische Krankheiten miterlebt hat. Denn es erschreckt mich, wie exakt Bariton Holger Falk ein wahnhaftes Verhalten, das ich – zu gut – kenne, trifft. Wie die Musik die schnell wechselnden Stimmungen des Wahnes trifft.
Sir Peter Maxwell Davies (1934-2016) hat 1969 in seinem Monodram Eight Songs for a Mad King den Wahn des englischen Königs George III. in Gesang und Orchesterklang gesetzt. Als Libretto nutzt er acht Gedichte, in denen Librettist Randolph Stow originale Aussagen des Königs verarbeitet.
Ich kann mir eine konzertante Aufführung des Stücks so gar nicht vorstellen. Diesen Wahn zu singen, stelle ich mir vor, das geht leichter, wenn man es gleichzeitig spielen, ausagieren darf. Holger Falk geht dieses Wagnis ein, lässt sich auf die Rolle derart ein, dass mir die Luft weg bleibt. Dazu singt er eine sehr schwere Gesangspartie. Fünf Oktaven muss der Bariton ersingen, sprunghaft mehrere davon von einem auf den anderen Ton überwinden.
Das gekonnte Ins-Licht-Setzen, den Spot setzen auf der immer überwiegend sehr dunklen Bühne verstärkt meine Verstörung, steigert die Kraft der Aufführung.
Der König mit Gazeverbundenen Gesicht und Kopf betritt die Bühne. Besteigt einen Thron im Lichtspot, der sich sogleich als etwas ganz anderes erweist, denn eine Schwester fixiert ihn in diesem Stuhl. Ich sehe die Fixierung des psychosomatisch kranken Königs.
Ein Trommler betritt die Bühne, gefolgt von Männern und Frauen in Arztkitteln und Mundschutz. Sogar Coronaauflagen werden mühelos integriert und verstärken die Intensität des Stücks. Denn die Ärzte und Ärztinnen sind die Orchestermusiker. In der Mitte der Bühne sitzen aber auch Personen. Steif und bewegungslos. Diese werden umschritten. Die Musiker setzen sich an ihre Instrumentenplätze.
Ein kakophones Percussion-fortissimo. Der König rupft am Gesichtsverband. Einzelnen Töne der Klarinette, Flöte folgen abwärtsfallende Tonfolgen von Cello und Geige. Bedrückte Stimmung. Der unglaubliche Tonumfang des Baritons tritt prägnant hervor. Hohe Töne, sprunghaft über mehrere Oktaven fallend. Hektisch wird der königliche Gesang dann, er rupft sich dazu erneut den Verband zurecht.
Melodische Partien werden schnell gebrochen. Vom Ächzen, Stöhnen, Weinen des Königs oder den atonal einsetzenden Instrumenten, die trefflich die Sprunghaftigkeit, das Nicht-Dabei-Bleiben-Können des königlichen Verhaltens treffen.
Jetzt spricht er zur Flöte, einem hörbar zwitschernden Vogel. Erschreckt ihn, die Vogel im doppelten Sinne spielende Flötistin weicht tonal wie auch physisch zurück, zwitschert nervös. Er beruhigt den Vogel wieder, nur um alsbald abgelenkt seine Aufmerksamkeit woanders hin zu richten.
Die Stimme fluktuiert. Ständige Stimmungswechsel. Ständige Fokuswechsel. Das kenne ich gut aus persönlicher Erfahrung mit wahnhaft kranken Menschen. Er pirscht sich an die steifen Statisten – ah nein, es sind Schaufensterpuppen! heran. Setzt sich mit diesen Figuren auseinander, als wären es reale Wesen. Ganz in der eigenen Realität gefangen.
Es folgt eine ekelige Szene. Der König nässt sich ein. Das oberflächlich abgleitend ignorierende spielt und singt Holger Falk zu meinem vertieften Erschrecken richtig gut.
Nun setzt der König den Fokus auf eine imaginierte Königin. Sie erscheint in Spotlight in der Mittelloge, unglaublich weit entfernt, ein Trugbild? Das Verhalten des Königs, des Baritons Gesang und Spiel, die Musik als Ganzes, die den inneren verworfenen instabilen Zustand widerspiegelt.
Ich bin gleichzeitig abgestoßen und gefesselt in dem was ich sehe. Die Negation der Krankheit „Ich bin nicht krank, ich bin nervös“ kommt meiner persönlichen Erfahrung so nahe. Gruselig kalt läuft es mir den Rücken hinab.
Verdutzt bemerke ich dann ein Didgeridoo im Orchestereinsatz. Habe ich noch nie gesehen und gehört in einem E-Musik-Stück. Was macht der König denn da? Er desinfiziert sich die Hände. Ich hege keinen Zweifel, das gehört ins Spiel!
Er setzt sich neben den Pianisten und malträtiert ein nur scheinbar echtes Cembalo. In einem ersten Moment des eigenen Erkennens unterschiedet er zwischen Not- und absichtlicher Lüge. In diesem Erkennen umkreist er sich singend-redend selbst wie ein Seil, dass wirbelnd fesselnd ihn umschlingt. Marschmäßig erklingen Klarinette, Cello, Klavier und stampfende Percussion und erzeugen in mir dieses Bild.
Jetzt nimmt der König das Dirigentenpult in Beschlag. Bekommt eine Glitterrobe zu fassen und inszeniert sich als Dirigent, die Musiker spielen mit, gerade als folgten sie dem Kranken in seine Realität. Ragtimejazzig melodiös klingt das. Erneut bricht der König diese kurze ruhige Sanftheit mit nur einem mehrfach wiederholten Wort: Sünde. Worauf er dem Geiger sein Instrument entwendet und es krachsplitternd auf dem Boden zerschlägt. Denn auch er, der König hat Böses im Sinn! Ein herabgleitender Eiserner Vorhang zermörsert die Instrumentenreste hörbar. Ich spüre einen neuen zusätzlichen fiesen Schmerz.
Am Eisernen Vorhang steht Let us talk geschrieben, was der König mittels Schwamm „durchstreicht“. Er erzählt von seiner Krankheit. Im lichten Moment des eigenen Erkennens besteigt er erneut seinen Thron. Das Unvermögen erkennend, etwas anderes als sein Sprechen als Realität zu erkennen. Wenn man versuchte ihn zu bändigen, dann heulte (Englisch: Howling) er wie ein Hund. Zu Flötentönen geht die Repetition des Howling über in echtes Heulen. Der Trommler trommelnd und die Musiker verlassen ihre Plätze und stellen sich seitlich neben den Tron auf. Licht aus.
Ich bin erschöpft.
Mit ein wenig Abstand bin ich tief beeindruckt von der Performance. Insbesondere der Bariton Holger Falk erzwingt mein inneres Abgestoßensein und zugleich meinen vertieften Fokus. Grandios! Die Erfahrung dieses Montagabends brennt sich tief in meine Gefühlswelt ein. Wie verloren, ohne Anschluss, allein (auch das singt er) und verzweifelt man ist als psychosomatisch kranker Mensch, zu allem Unglück auch noch König – im Fall und Fall des Georg III. von Großbritannien.
Frank Heublein, 12. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Peter Maxwell Davies,
Eight Songs for a Mad King
- The Sentry (King Prussn’s Minuet) / Die Schildwache (Menuett des Preußenkönigs)
- The Country Walk (La Promenade) / Spaziergang auf dem Lande (Die Promenade)
- The Lady-in-Waiting (Miss Musgraves fancy) / Die Hofdame (Phantasie über Miss Musgrave)
- To be Sung on the Water (The waterman) / Auf dem Wasser zu singen (Der Wassermann)
- The Phantom Queen (He’s ay a Kissing me) / Die Königin seiner Träume (Er minnet mich immer)
- The Counterfeit (Le Conterfaite) / Die Täuschung
- Country Dance (Scotch Bonnett) / Tanz auf dem Lande (Das Schottenmützchen)
- The Review (A Spanish March) / Der Rückblick (Ein spanischer Marsch)
Musikalische Leitung / Conductor Olivier Tardy
Sänger Holger Falk
Violine Markus Kern
Violoncello Benedikt Don Strohmeier
Flöte Katharina Kutnewsky
Klarinette Andreas Schablas
Schlagzeug Claudio Andrés Estay González
Klavier Jean-Pierre Collot
Szenische Einrichtung / Production Andreas Weirich
Jonas Kaufmann, it’s Christmas!, der Tenor singt 42 Weihnachtslieder klassik-begeistert.de