Philharmonix Open Air – „Death and the Maiden”
Konzert im Rahmen des “Schleswig-Holstein Musik Festival“ auf dem Gut Pronstorf am 22. Juli 2021
von Dr. Andreas Ströbl
Jeder, der das Ensemble „Philharmonix“ (hervorgegangen aus den aufgelösten „The Philharmonics“) kennt, weiß, dass sich die sieben Musiker aus erstklassigen Orchestern rekrutiert haben und allesamt phantastische Virtuosen sind.
Dass ihr Konzert-Programm „Death and the Maiden” in Norderstedt, Kiel und Pronstorf irgendwie auch mit Franz Schubert zu tun haben würde, war den Kennern des Septetts schon von vornherein klar, ebenso wie die Tatsache, ein nicht wirklich schwermütiges Sommerabend-Konzert erwarten zu dürfen. Was die „Philharmonix“ aber für ein musikalisches Feuerwerk abbrannten, übertraf das, worauf man sich ohnehin schon gefreut hatte.
Gerne kokettieren die Musiker damit, dass sie das spielen, auf was sie in ihrer Freizeit Lust haben, und tun so, als wäre es nur ein spaßiger Zeitvertreib. Aber alles, was sie spielen, ist in aller Leichtigkeit gekonnt und unbestritten von Spitzenqualität.
Schließlich sind Thilo Fechner (Bratsche), Daniel Ottensamer (Klarinette) und Ödön Rácz (Kontrabass) Mitglieder der Wiener Philharmoniker; Stephan Koncz (Cello) und Noah Bendix-Balgley (Violine) spielen bei den Berliner Philharmonikern, letzterer als erster Konzertmeister. Die Solisten Christoph Traxler (Klavier) und Sebastian Gürtler (Violine) vervollkommnen die Truppe, wobei Gürtler gemeinsam mit Stephan Koncz die Arrangements besorgt.
Corona-konform fand das Konzert im Garten des Gutes Pronstorf statt, aber es hätte an diesem Sommerabend ohnehin niemand im seit Jahren bewährten Kuhstall, der sonst als Konzertraum dient, sitzen mögen. Das gut 700-köpfige Publikum hätte dort auch schwerlich Plätze gefunden. Singdrosseln, Amseln und Buchfinken begleiteten die Musiker, als seien sie bestellt, während der gräfliche Dackel leutselig durch die locker gestellten Stuhlreihen eilte.
Nach der Begrüßung durch Graf Rantzau übernahm Daniel Ottensamer die launig-charmante Moderation durch das klangbunte Programm, bei dem Schubert tatsächlich eher der willkürlich gewählte Aufhänger als strukturgebender Komponist war. Es ging in der Tat überhaupt nicht um Abschied oder Tod; das Konzert hätte auch völlig anders heißen können. Der Witz bei den „Philharmonix“ besteht darin, dass sie bekannte Stücke aus dem klassischen Repertoire, aber auch aus Popmusik, Folklore, Jazz und lateinamerikanischer Tanzmusik mischen, kombinieren, einander gegenüberstellen und reizvoll verfremden.
Mozarts Rondo „Alla turca“ mit Anleihen aus der „Entführung aus dem Serail“ und dem 5. Violinkonzert in A-Dur geriet so zur „türkischen Ouvertüre“ mit jazzigen Synkopen und überraschenden Tonart-Sprüngen. Harmonisch und leichtfüßig glitt Bachs Präludium Nr. 1 in die „Bohemian Rhapsody“ von „Queen“ hinein, deren Grundmelodie mal von der Klarinette, dem Klavier, den Geigen oder dem Cello übernommen wurde, immer wieder durch Rhythmuswechsel aufgelockert. Zitate aus Beethovens 7. Symphonie verfremdete die Combo in „Swing on Beethoven“ durch Gypsy-Jazz-Elemente; unglaublich witzig war hier wie auch später noch die Einlage Sebastian Gürtlers, als er eine gestopfte Trompete imitierte.
Die Hommage an Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ hatte die Truppe eigens für das SHMF arrangiert und hier zeigten sie, dass sie selbstverständlich auch mit aller angemessenen Empfindsamkeit und Zartheit den originalen Schubert-Ton treffen, dessen sensible Seele plötzlich ganz präsent war. Das trifft für die feinen intimen Stellen ebenso zu wie für die eruptiven schwungvollen Ausbrüche.
Nur wenige schaffen es aber, aus dieser Feinnervigkeit rasch wieder zur ironischen Brechung zu springen, ohne dass dieser Übergang unpassend erscheint. Überhaupt nimmt man den „Philharmonix“ in jedem Moment alles ab: Späße ohne peinliche Albernheit, authentische Leidenschaft und wirkliche Freude an dem, was sie tun. Ihr virtuoses Können und ihre selbstironische Art macht sie als Individuen und als Septett ungemein sympathisch.
Auf Schuberts sanftes „Mädchen“ folgte in frech-frischer Gegenübersetzung Richard Strauss’ „Tanz der Salome“, der – man kann es nicht anders sagen – total fetzig rüberkam. Die Musiker ließen das blutdurstige Luder mal mit beschwörend-flirrenden Tönen lüstern-schmiegsam ihre Schleier ablegen, mal ahnte man durch die Violinen-Pizzicati und die Tempobeschleunigungen Salomes zickig-ungeduldigen Charakter. In diesem Stück wurde die absolute Synchronität der drei Geiger offenbar – jeder noch so kleine Schnitzer wäre deutlich hörbar gewesen. Der typische Strauss-Ton wandelte sich immer wieder zum – diesem Ensemble eigenen – elegant-plüschigen Salonklang.
Erik Saties 1. Gymnopédie schlenderte wiederum eher melancholisch über einen Boulevard, bevor sie in spielerischer Leichtigkeit mit einer an Michael Nyman erinnernden straffen Dynamik beschleunigt wurde. Der darauffolgende, von Noah Bendix-Balgley arrangierte „Odessa Bulgar“ ist ein echtes Klezmer-Stück mit all der seelenvollen Wehmut, die dann in tanzbare Leidenschaft und rasante Rhythmik wächst. Daniel Ottensamers Klarinette braucht sich hinter der eines Giora Feidman wahrlich nicht verstecken.
Ein echter Kracher war die „Rebellion gegen Feliz Navidad“ von Sebastian Gürtler. Das abgedroschene Weihnachtslied geriet zu einem luftigen Latino-Sommerhit und man möchte es niemals mehr anders hören! Übertroffen wurde das Stück von einem „Tema con variazioni“ und zwar des italienischen Volksliedes, das bei uns auf den Text „Mein Hut, der hat drei Ecken“ gesungen wird. Wunderbar schräge Flageolett-Klänge der Geigen, die mitunter wie Ukulelen gespielt wurden, rasante Übernahmen des Themas durch die anderen Instrumente, Klangimitationen und völlig spontan wirkende Späße führten dazu, dass auch der Rezensent Tränen lachen musste.
Einer der vielen Reize des Konzerts lag in den Wechseln der Dynamik. So führten die Musiker abschließend Brahms 1. Ungarischen Tanz elegisch-schwärmerisch wieder zurück in die Puszta und würzten das Stück mit Paprika und einem gehörigen Schuss Pálinka. Das Original kommt dagegen fast langweilig daher.
In der ersten Zugabe ließ das Septett es mit einer Version von Art Hickmans „Rose Room“ wieder swingen; auch hier gab es die grandiose gestopfte Trompete und typische Bottleneck-Glissandi ohne sichtbares Glasröhrchen – das brauchen die „Philharmonix“ gar nicht erst. Die zweite Zugabe war eine sehr eigene, humorig erfrischende Interpretation von Stings „Englishman in New York“.
Ärgerlich war, dass dann bereits zahlreiche Zuschauer in den vorderen Reihen deutlich sichtbar ihre Plätze verließen, als hätten sie Angst, die letzte Pronstorfer U-Bahn zu verpassen, und damit als Spaßbremsen das Konzertende beschlossen. Bei der Begeisterung des größten Teils des Publikums und der Spielfreude des Ensembles wäre locker noch eine weitere Zugabe drin gewesen. Solche Musiker lässt man nicht einfach so gehen!
Dr. Andreas Ströbl, 24. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Beitragsfotos: Regina Ströbl