… und während der Stream aus dem Teatro di San Carlo läuft, sagt das Teatro alla Scala in Milano seinen Auftritt zur Eröffnung am 7. Dezember ab.
Foto: Jonas Kaufmann, (c) Teatro di San Carlo, Napoli
INAUGURAZIONE STAGIONE 2020/21
Pietro Mascagni
CAVALLERIA RUSTICANA
Direttore | Juraj Valčuha
Maestro del Coro | Gea Garatti Ansini
Santuzza | Elīna Garanča
Compare Turiddu | Jonas Kaufmann
Alfio | Claudio Sgura
Mamma Lucia | Elena Zilio
Lola | Maria Agresta
Orchestra e Coro del Teatro di San Carlo
Esecuzione in forma di concerto
von Andreas Schmidt
Es ist der Abend des Jonas Kaufmann.
So gut habe ich den Münchner Tenor seit Jahren nicht mehr gehört. Kraftvoll, gefühlvoll, voller Leben, voller Energie und Vitalität. Mit einer warmen, bernsteinfarbenen Mittellage. Und einem hohen Register, das voll, klar und funkelnd aus den Boxen erstrahlt.
Wir sind per Stream live dabei im Teatro di San Carlo im süditalienischen Neapel. Der weltweit bekannteste Tenor Jonas Kaufmann singt den Tiruddu in der „Cavalleria Rusticana“ von Pietro Mascagni. Er scheint wie ausgewechselt. Noch am Montag zeugte der Stream der Bayerischen Staatsoper, München (aufgenommen am 27. November 2020), von stimmlichen Schwächen Kaufmanns als Rodolfo in Giacomo Puccinis Oper „La bohème“, vor allem bei etlichen Spitzentönen – „an einem Haus, an dem er in knapp sieben Monaten seinen ersten Tristan singen will“, schrieb Peter Sommeregger für Klassik begeistert.
„So eng und gepresst wie der Rodolfo an diesem Abend wird er im Juni 2021 hoffentlich nicht klingen. Hört man noch einmal in seine Plattenaufnahme der Butterfly hinein, die 2008 entstand, ist der Eindruck ein völlig anderer: Die Stimme strömt unangestrengt und frei, nichts vom Pressen und Quetschen, das inzwischen zu einem negativen Markenzeichen Kaufmanns geworden ist. Aber das war unzählige Auftritte früher. Der Vergleich sollte nicht zuletzt Kaufmann selbst zu denken geben.“
Unangestrengt und frei, ohne Pressen und Quetschen singt Jonas Kaufmann an diesem Tag in Neapel. Sein Credo: Ich will es heute wissen. Ich fühle mich wohl in Italien, ich liebe die italienische Sprache. Ich singe heute um mein Leben. Nicht zuletzt ist es die an diesem Abend makellose Mezzosopranistin Elina Garanca als Santussa, die, zwei Schritte von ihm entfernt, mit ihrer Weltklasseleistung den Münchner dazu antreibt, richtig gut abzuliefern für einen Abend, an dem etwa 30.000 Menschen rund um den Globus auf dem Facebook-Kanal des ehrwürdigen Theaters zuschauen – es ist Saisoneröffnung in Napoli.
Nur einige Spitzentöne gelingen Jonas Kaufmann anfangs nicht gut, hier singt er einfach die Töne nicht rein an und scheint nicht vollkommen perfekt eingesungen zu sein. Aber spätestens, als er nicht mehr aus dem Off singt, blüht er von Sekunde zu Sekunde mehr auf und liefert eine wunderbare Gesangsleistung ab.
Noch während der Stream erstmals läuft, am Freitag um 20.58 Uhr, verkündet das Pressebüro des Teatro alla Scala in Milano die Absage von Jonas Kaufmann für das Eröffnungskonzert am 7. Dezember 2020 wegen Indisposition. Nessun Dorma singt jetzt der polnische Tenor Piotr Beczala.
“Il tenore Jonas Kaufmann ci ha comunicato che, con suo grande rammarico, a causa di indisposizione non potrà prendere parte alla Serata del 7 dicembre … a riveder le stelle L’aria ‘Nessun dorma’ da Turandot sarà cantata da Piotr Beczała.”
Also noch während der Cavallaria-Rusticana-Stream ab 20.15 Uhr aus Neapel läuft, verkündet eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt Jonas Kaufmanns Absage wegen „Indisposition“. Wieviel Minuten nach Ende der Aufzeichnung hat sein Agent wohl am Freitag abgesagt in Mailand?
Ich war beim Rollendebut des lettischen Weltstars Elina Garanca als Santuzza in der Wiener Staatsoper. Es war ein bewegender, magischer Abend mit einer Intensität für einen Mezzo, die ihresgleichen sucht. Unsere Wiener AutorInnen Sylvia und Lothar Schweitzer schrieben über die Aufführung am 11. März 2019:
„Und dann Elīna Garanča, der eigentliche Beweggrund unsres Opernbesuchs. Ihr Rollendebut im Haus und eine derart eindrucksvolle schauspielerische Gestaltung! Von ihrem herrlichen (‚hehren‘), nicht mehr schöner denkbaren Gesang einmal ganz abgesehen!“
Diese Einschätzung umschreibt trefflich auch Garancas Leistung an diesem Tag in Neapel. Alle Register überzeugen im piano wie im fortissimo, brava! Nur Ihr permanenter Blick in die Noten war etwas irritierend, werte Frau Garanca – Sie kennen die Partie ja.
Auch die kleineren Rollen, das Orchester, der Chor und der Dirigent Juraj Valčuha überzeugen an diesem wunderbaren Abend am Bildschirm. Eine Kamera macht immer wieder tolle Schwenks durch das Teatro di San Carlo, und man hat Lust, sofort die Koffer zu packen und nach Neapel zu fahren, um auch dieses wunderbare Opernhaus kennenzulernen. Allein die Bühne mit ihrem dunkelgrauen Boden hätte etwas festlicher gestaltet werden können. Das Dekoltee von Frau Garanca wird in den nächsten Tagen sicher ein Gesprächsthema in den einschlägigen Foren sein.
Die für mich bislang überzeugendste „Cavalleria“ bleibt dennoch die Vorstellung in der Staatsoper Hamburg am 22. September 2017. Das war, was selten vorkommt, mal wieder Weltklasse im Haus an der Dammtorstraße. Die Mezzosopranistin Elena Zhidkova als Santuzza, der Tenor Teodor Ilincai als Turiddu und der Bariton George Gagnidze als Alfio sangen sich an diesem Abend in einen Rausch – amazing, wunderbar.
Die Russin Elena Zhidkova hatte als Santuzza eine ganz warme, volle, farbenreiche Stimme zu bieten. Ihre Höhen waren zum Darniederknien schön, im tieferen Register sorgte sie mit ihrer warmen Stimme für Gänsehautgefühl. Der Tenor Teodor Ilincai überzeugte in Hamburg als Ausnahmesänger aus dem rumänischen Mălini. Was für eine Strahlkraft hat dieser Mann, was für eine selbstverständliche, klare, unangestrengte, wunderbar angenehme Höhe! Und auch im tieferen Register setzt er mit wunderbarem Timbre Akzente. Spitze. Ganz große Klasse! Das war noch besser als Garanca / Kaufmann an diesem Tag.
Cavalleria rusticana („Sizilianische Bauernehre“) ist eine Oper in einem Akt von Pietro Mascagni. Als literarische Vorlage diente ihm die gleichnamige Erzählung von Giovanni Verga aus der Novellensammlung Sizilianische Novellen. Das Libretto stammt von Giovanni Verga, Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci. Die Uraufführung fand am 17. Mai 1890 im Teatro dell’Opera di Roma (damals Teatro Costanzi) in Rom statt. Die Spieldauer der Oper beträgt nur etwa 70 Minuten. Die Oper spielt in einem sizilianischen Dorf. Stilistisch gehört die Oper zum Verismus. Die „Cavalleria rusticana“ stellt auch einen wesentlichen Teil des dritten und letzten Teils der Mafia-Trilogie Der Pate von Francis Ford Coppola dar. Viele Bilder und Handlungen der Oper werden im Film zitiert. Das Intermezzo wurde als Eingangsmelodie für den Spielfilm „Wie ein wilder Stier“ verwendet.
Was bleibt: Ein Abend, der die 1,09 Euro Gebühr 100fach wert war. Die Bose-Box hat mal wieder wunderbare Dienste geleistet – Italianità aus dem Lautsprecher. Grazie mille an alle Beteiligten!
Andreas Schmidt, 5. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jonas Kaufmann, it’s Christmas!, der Tenor singt 42 Weihnachtslieder klassik-begeistert.de
Oje, wo haben Sie denn bei der Bohème hingehört? Und der „Vergleich“ mit einer Studioaufnahme einer anderen Oper von vor 12 Jahren ist albern………….
Habe Bernheim zuvor aus der WSO (von 2019) und Beczalea vor ca. 3 Jahren live in Berlin als Rudolfo „ertragen“, da war München am Montag mehrere Klassen besser!
Waltraud Riegler
Nun ja, als Gegner von „sozial“en Netzwerken konnten wir da leider nicht zuhören; aber auch diese verpasste Chance wird mich nicht dazu bringen Facebook oder Co. beizutreten.
Stephan Haas