Als man sich noch Briefe schrieb; immer wieder sehenswert

Pjotr Tschaikowsky, Eugen Onegin  Staatsoper Hamburg, 28. September 2021

Staatsoper Hamburg, 28. September 2021
Pjotr Tschaikowsky, Eugen Onegin

Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ in der Hamburgischen Staatsoper, Wiederaufnahme 

Alexey Bogdanchikov als Onegin und Olesya Golvneva als Tatjana (7. Bild, Foto: RW)

von Dr. Ralf Wegner

Tschaikowskys auf einem Briefroman Alexander Puschkins beruhende Oper, die 1892 unter der Leitung von Gustav Mahler und im Beisein des Komponisten in Hamburg ihre deutsche Erstaufführung erlebte, ist inhaltlich tiefgründig und komplex.

Sie erschließt sich nicht unmittelbar wie Tosca oder La Bohème und findet deshalb oft auch nur einen begrenzten Zuhörerkreis, wie bei der heutigen Wiederaufnahme in der Hamburgischen Staatsoper. Ein kurzer Einblick in Puschkins Roman mit kursiv gesetzten Zitaten lässt den Inhalt der Oper besser verstehen:

Der 26 Jahre alte, blasierte, zum Trübsal neigende Erbe eines Landguts Eugen Onegin (sein Gefühl war bald erstorben, die bunte Welt erschien ihm leer, und die er sonst so heiß umworben, die Schönen, reizten ihn nicht mehr) freundet sich mit dem deutlich jüngeren Nachbarn Wladimir Lenski an: Doch Lenski schien aus guten Gründen solch zarte Fesseln noch zu scheun, und wünschte, statt sich schon zu binden, vorerst Onegins Freund zu sein… Als hübscher Bursch mit viel Vermögen kam Lenski als Freiersmann den Landfamilien sehr entgegen. Lenski verliebt sich in Olga, die eher oberflächliche jüngere Tochter des Generals Larin. Von Lenski ins Haus Larin eingeführt, verliebt sich Olgas ältere, schwermütig-ernste, wundergläubige und romansüchtige Schwester Tatjana in Onegin. Sie gesteht ihm, der ihr auch nicht andeutungsweise Anlass für ihre aufkeimenden Gefühle geboten hatte, brieflich ihre Zuneigung. Onegin antwortet ihr später anlässlich eines zufälligen Treffens im Garten: Wenn der Familie süße Bürde mich auch nur flüchtig locken würde – ich hätte einzig in der Welt nur Sie als Braut mir zugesellt… Doch ich bin nicht dafür geboren, nie hat mein Sinn danach begehrt.

Monate später lässt sich Onegin widerwillig von Lenski zum Besuch bei Larins anlässlich des Namenstags Tatjanas überreden. Der verwünschte Trubel nahm ihm alle Laune… Auch war’s ihm peinlich, mit anzusehen, wie sehr Tatjana litt. Sein Unmut schwoll, und er beschloss, an Lenski Rache zu nehmen dieses eine Mal für all die Qual hier im Saal. Onegin umwirbt Olga, Lenski schäumt vor Eifersucht und Wut. Lenski fordert Onegin zum Duell, er wird von Onegin tödlich verletzt. Olgas Trauer war anfangs tief, doch bald vorbei.  Tatjanas Schmerz steigerte sich, sie verweigert die Ehe mit anderen Bewerbern. Die Larins ziehen nach Moskau, dort lernt sie den Fürsten N. kennen.

Onegin zieht durch die Welt. Zurück in St. Petersburg stellt ihm der Fürst N. seine Frau vor. Es ist Tatjana. Zu Liebesgluten ist jetzt Onegins Herz entfacht, nur für Tatjana will es bluten. Sie verbirgt ihre erneut aufflackernden Gefühle vor Onegin. Er schreibt ihr einen Liebesbrief, sie antwortet nicht. Monate später trifft er sie, sie gesteht ihm ihre unveränderte Liebe: Ich liebe Sie – heut darf ich’s klagen -, doch hat ein andrer mich gefreit; ihm bleib ich treu für alle Zeit. So geht sie. Wie vom Blitz getroffen, zerschmettert bleibt Onegin stehn, sieht voll Verzweiflung all sein Hoffen unwiederbringlich untergehn.

Janina Baechle als Filipjewna, Pavol Breslik als Lenski, Kristina Stanek als Olga, Alexey Bogdanchikov als Eugen Onegin, Olesya Golovneva als Tatjana, Katja Pieweck als Larina, Peter Galliard als Triquet, Hubert Kowalczyk als ein Hauptmann (4. Bild, Foto: RW)

Seit mehr als 40 Jahren steht die Inszenierung „nach“ Adolf Dresen in den beeindruckenden Bühnenbildern von Karl-Ernst Herrmann auf dem Programm der Hamburgischen Staatsoper. Heute war die mehrfach ausgezeichnete russische Sopranistin Olesya Golovneva als Tatjana besetzt. Ihre Stimme strahlte schallstark über das Orchester hinweg, ohne jede Schärfe, mit  schöner, aufblühender Höhe. Ihr ebenbürtig sang und spielte der Bariton Alexey Bogdanchikov die Titelrolle. Seine Stimme hat im Vergleich mit früheren Jahren an Strahlkraft, Ausdauer, Farbigkeit und auch Glanz gewonnen; eine schöne Leistung.

Der Tenor Pavol Breslik entsprach schon optisch nicht mehr ganz dem stürmisch-leidenschaftlichen Jüngling, der Lenski sein sollte. Eher handelte es sich um einen gesetzten, nicht mehr zu überspannten Gefühlsausbrüchen neigenden Herrn. Auch stimmlich passte Bresliks schlanker, heller, zum heroischen neigender Tenor eher zum Steva aus Janáčeks Jenůfa als zum träumerischen Lenski. Seine große Arie („Kuda, kuda“) im fünften Bild war gut gesungen, ließ aber seinen Vorgänger Dovlet Nurgeldiyev, der mit dieser Arie das Publikum zu Beifallstürmen hingerissen hatte, nicht vergessen. Der  kurze Auf­tritt von Alexander Tsymbalyuk als Gremin im 6. Bild war gesanglich wieder überwältigend und wurde vom Publikum entsprechend bejubelt. Neben Olesya Golovneva waren die weiteren Frauenpartien mit Kristina Stanek (Olga), Katja Pieweck (Larina, Tatjanas und Olgas Mutter) und Janina Baechle (Filipjewna, Tatjanas Amme) herausragend besetzt. Was soll man zu Peter Galliards kurzem Auftritt als Triquet sagen,  es war mehr eine komödiantische Einlage, als wirklich berührend gesungen. Mit schöner Stimme fiel zu Beginn der Oper der Vorsänger der Bauern, der Tenor Andre Nevans auf. Axel Kober leitete versiert das Philharmonische Staatsorchester, überdeckte nicht die Stimmen, brachte Glanz in Tschaikowsky Komposition, besonders am Ende des zweiten Bildes nach Tatjanas Briefszene. Auch ihm galt der herzliche Beifall des Publikums.

Alexey Bogdanchikov und Olesya Golovneva (Foto: RW)

Dr. Ralf Wegner, 28. September, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Frau Lange hört zu (23): Kurkonzert mit Schwiegermutter-Schmeichler

 

3 Gedanken zu „Pjotr Tschaikowsky, Eugen Onegin
Staatsoper Hamburg, 28. September 2021“

  1. Geschätzter Herr Kollege!
    Wie schön ist von Ihnen der Titel gewählt: „Als man sich noch Briefe schrieb.“ Ich habe Ihren Beitrag gleich vorgeschoben, um ihn zu lesen. Ja, früher stellte sich mir oft die Frage: Ein Telefonat oder ein Brief? Bei einem Telefonat entsteht ein Zwiegespräch. Ich musste mich sehr konzentrieren. Dann konnte ich aus den Schwingungen der Stimme Wichtiges heraushören. In anderen Fällen kann ein Ferngespräch wie Schall und Rauch sein, der in Kürze verweht. Dann ist das Schreiben eines Briefs d i e Wahl. Das Geschriebene kann man sich immer wieder vor Augen und Gedanken führen. Die Erfindung des E-Mails hatte denn Vorteil einen eingeschriebenen Brief bzw. einen Eilbrief zu ersetzen. Leider verwenden viele Leute für das E-Mail den Telegrammstil. Das ist bedauerlich. Ich nutze die Einführung des E-Mails gern als Brief mit Illustrationen.
    Mit liebem Gruß

    Lothar Schweitzer

  2. Hallo, meine Erinnerung an die Aufführung von 1979 mit einem für frühere Verhältnisse
    sehr sparsamen Bühnenbild. Anja Silja als Tatjana,Marga Höffgen als Fhilipjewna, Elisabeth Steiner als Olga, Bernd Weikl als Onegin, David Rendall als Lenski, Karl Ridderbusch als Gremin.
    Leitung. Christoph v. Dohnanyi.

    Hans-Bernd Volmer

  3. Lieber Herr Schweitzer, wie hätte Tatjana heute wohl reagiert? Ein Brief mit tiefen emotionalen Ergüssen wäre es wohl nicht geworden, vielleicht eher eine Kurznachricht mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Ihre Seelenqualen wären bei einer erfolgten Ablehnung wohl geringer gewesen. Und man muss auch sagen, Onegin hat sich Tatjana gegenüber eigentlich hochanständig verhalten, heute stünde solch ein verliebter Jungmädchenbrief möglicherweise zur Scham der Briefschreiberin bereits im Internet.
    Lieber Herr Volmer, wir haben die gleiche Inszenierung von Adolf Dresen in den Bühnenbildern von Karl-Ernst-Herrmann gesehen, Sie allerdings in der Premierenbesetzung vom Februar 1979. Interessant ist, dass ein jetzt von mir als durchaus üppig empfundenes Bühnenbild von ihnen früher als sehr sparsam empfunden wurde. Ich habe Eugen Onegin leider erst sehr spät zum ersten Mal in der Oper gehört, es war 1989 mit Karita Mattila als Tatjana, Daphne Evangelatos als Olga, Wolfgang Brendel als Onegin und, wie bei ihrer Aufführung, David Rendall als Lenski. In Erinnerung blieb mir aber nur der unvergleichliche Kurt Moll als Gremin.
    Viele Grüße, Ihr Ralf Wegner

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