Andreas Kosinski ist seit zehn Jahren Bratschist bei der Neuen Philharmonie Westfalen und begeisterter Kammermusiker. Seine neueste Leidenschaft sind die sozialen Medien.
von Barbara Seppi (Text und Foto ©)
Social-Media-Freaks kennen ihn, den Hashtag. Die kleine Raute führt mittlerweile unter Tausenden von Schlagwörtern zu abertausenden Fotos im World Wide Web. Seit etwas mehr als einem Jahr ist eine neue Kategorie dazugekommen, die #Schneckengeschichten.
Es geht aber nicht um die Bauchfüßer aus dem Stamm der Weichtiere, nein, es sind Schnappsschüsse aus der Welt der Musik. Andreas Kosinski ist Bratschist mit Leib und Seele. „Die Urschnecke entstand bei einer Produktion zum ‚Fliegenden Holländer’, ich wollte anfangs einfach ein Erinnerungsfoto für mich selber machen“ – die „Schnecke“ ist eben auch der Abschluss eines jeden Streichinstruments, oberhalb des Wirbelkastens, wo die Saitenenden aufgedreht werden. Jede ist anders, kann reich verziert sein oder einfach geschnitzt, ist aber immer ein Unikat. „Meine ist die natürlich die schönste“, lacht Kosinski verschmitzt.
Der Klang der Bratsche: weich und rund
Seit 2007 spielt der gebürtige Bottroper in der Neuen Philharmonie Westfalen (NPW), das größte der drei Landesorchester von Nordrhein-Westfalen, entstanden aus der Zusammenlegung der Orchester von Recklinghausen und Gelsenkirchen. Aufgewachsen ist Kosinski ebenfalls „im Pott“, in Gladbeck. Abitur am Ratsgymnasium, Rasmus Baumann, aktueller Generalmusikdirektor der Neuen Philharmonie Westfalen, war fünf Jahrgänge über ihm. „Damals haben wir uns natürlich nicht gekannt.“ Aber irgendwie fügt sich bei der Rückkehr ins Ruhrgebiet vieles wieder zusammen.
Durch eine Tante als kleiner Junge zum Geigenspiel ermuntert, kommt der heute 39 Jahre alte Kosinski an der Musikschule Gladbeck durch seinen Lehrer Waldemar Galinski mit vierzehn zur Bratsche. Sie gefällt ihm, liegt gut in der Hand, der Klang ist weicher und runder als die Violine. Sie wird daher in den großen Orchesterwerken hauptsächlich als Harmonie- und Füllstimme verwandt. Das führt unweigerlich zu vielen Kalauern auf dem Rücken der Bratschisten, man höre sie nicht, sie seien nicht sehr helle, langsam und verschlafen – der kürzeste Bratscher-Witz: „Ein Bratscher geht zur Meisterklasse.“
Absolvent der Hanns-Eisler Universität Berlin
„Wir sind so ein bisschen die Ostfriesen unter den Musikern“, schmunzelt Kosinski. Er hat Humor und kann damit leben, denn über die eigenen Fähigkeiten besteht kein Zweifel. Von 1999 bis 2006 hat er an der renommierten staatlichen Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin studiert und sein Diplom abgelegt. Es ist bekannt, dass diese Musikhochschule nur die Begabtesten akzeptiert. Eigentlich wollte er sich auf Kammermusik spezialisieren, spielte in Berlin und London, bewarb sich dann doch bei verschiedenen Orchestern.
„Eine Zusage kam aus Gelsenkirchen, zurück zu den Wurzeln sozusagen.“ Eine weitere Fügung: kurz nach der Rückkehr verstarb sein alter Lehrer Gralinski und Kosinski konnte seine Viola erwerben – eine Maggini-Kopie. „Sie ist wahrscheinlich aus Polen, Mitte 19. Jahrhundert, aber konkretes Alter unbekannt, 10000-mal verändert und vor allem das Instrument, das mir der Lehrer vor vielen Jahren zum ersten Mal in die Hand gedrückt hat. Die Bratsche, mit der meine musikalische Reise begann“, schwärmt Kosinski – über sein Gesicht huscht ein Ausdruck wahrer Liebe.
Mittlerweile rund dreißig Schneckenfotos #Schneckengeschichten
Damit sind wir wieder bei der Schnecke, die er nun bei vielen Einsätzen mit der Neuen Philharmonie Westfalen, mit dem Kammermusikensemble „Nodelman-Quartett“ oder bei Engagements als Honorarbratschist bei anderen Orchestern ablichtet und mit der Welt teilt, mittlerweile rund 30 Fotos. Es gibt den „Schneckentroubadour“ zur Oper „Il trovatore“ von Giuseppe Verdi, die „Wallfahrtsschnecke“ aus Kevelaer beim Weihnachtskonzert mit dem Bundespräsidenten oder die „Zhengschnecke“ aus dem Musiktheater im Revier beim Sinfoniekonzert „Fernost“ – jedes einzelne Foto auch Ausdruck des zweiten, wichtigen Hashtags – #Ilovemyjob.
Information
Andreas Kosinski ist seit zwei Jahren Mitglied des Nodelman-Quartetts, ein Streichquartett gegründet vom Konzertmeister der Neuen Philharmonie Westfalen, Misha Nodelman. Zusammen mit Evgeny Selitsky (Violine) und Mark Mefsut (Cello) geniest Kosinski das Musizieren auf hohen Niveau im Kammermusikrahmen.
„Im großen Orchester zu spielen macht Spaß, die Neue Philharmonie ist vielseitig, wir spielen Ballett, Oper oder Sinfonien. Aber im Quartett gibt es ganz andere Ausdrucksmöglichkeiten“. Das Nodelman-Quartett ist 2018 im erlesenen Kulturprogramm vom Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten, Auftritte in Berlin bei internationalen Preisverleihungen oder Gedenkveranstaltungen sind keine Seltenheit.
Barbara Seppi, 3. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de
Foto: Seppi
Es gibt viel bessere Musiker, die wirklich begeistern können, im Gegensatz zu solchen Nudelmännchen. Was gesagt werden müsste.
Herr oder Frau Witten