Auf den Punkt 76: Prima la musica 2.0 – Valerio Galli ist mein Kronzeuge

Auf den Punkt 76: Prima la musica 2.0 – Valerio Galli  Hamburgische Staatsoper, 14. November 2025

Valerio Galli © Imaginarium Creative Studio

Giacomo Puccini / TOSCA
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Valerio Galli / Dirigent

Hamburgische Staatsoper, 14. November 2025

 Von Jörn Schmidt

Viele gehen in die Oper wegen der Sänger. Ich sehe das anders, die alte August-Everding-Frage: Prima la musica, dopo le parole? Die habe ich längstens für mich beantwortet. Prima la musica –  und zwar mit Fokus auf dem Orchester!

Oder, wie es der geschätzte klassik-begeistert-Kollege Jürgen Pathy unlängst formuliert hat: Orchester nix, Oper nix. Nachzulesen hier bei klassik-begeistert als Kommentar zum zweiten Teil meines Interview mit Kent Nagano.

August Everding war übrigens von 1973 bis 1977 Intendant der Hamburgischen Staatsoper. Dort habe ich gestern die 141. Vorstellung von Giacomo Puccinis Tosca besucht. In der herrlich klassischen Inszenierung von Robert Carsen aus dem Jahr 2000.

Offensichtlich hat Tobias Kratzer doch ein großes  Herz für klassische Inszenierungen. Dafür danke ich vielmals. Weiter so! Wie schön, dass der neue Intendant der Hamburgischen Staatsoper mit Valerio Galli zugleich einen glühenden Puccini-Experten verpflichtet hat.

Denn Galli hat wie nur wenige verstanden, dass Puccinis Opern trotz wie Karamell dahinschmelzender Arien von seiner orchestralen Aggressivität leben.

Der Italiener steht damit auf einer Ebene mit seinem Landsmann Giampaolo Bisanti.  Der übrigens die nächsten Aufführungen der Hamburger Tosca leiten wird.

Von Beginn an lässt Galli keinen Zweifel dran, dass das Orchester der Star ist. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg dankt es ihm mit sich nie abnutzender Attacke. Immer wenn man denkt, geschärfter geht es nicht…

…zeigen die Blechbläser ihr Potential. Und Solo-Pauker Jesper Tjærby Korneliusen testet die Solidität seines Instruments.

Noch genialer ist indes, wie Galli es schafft, dass sein grimmiger  Klangrausch nie zu Lasten der Sänger geht. Nicht etwa, indem er das Orchester leiser spielen lässt, um seine Sänger auf Händen zu tragen.

Nein, der 1980 in Viareggio geborene Italiener hat subtilere Methoden. Galli nutzt Klangfarben und Tempi, um die Leistung der Sänger zu optimieren. Ewa Vesin als Floria Tosca ist das beste Beispiel, dass der Fokus auf dem Orchestralen nicht zu Lasten der Sänger gehen muss.

Ihr Sopran ist warm und voll natürlicher Glut. So gar kein fürchterlich gepresster Hebammen-Sopran wie oft der Fall. Vesin weiß, sich dem grellen Orchesterklang anzuschmiegen. Was für ein herrlicher Kontrast.

Zugleich inspiriert sie den Südkoreaner Young Woo Kim zu tenoralem Durchhaltevermögen. Und was macht Galli, wenn Mario Cavaradossi  die Kräfte mal schwinden oder es hier und da am Puccini-Schmelz gebricht?

Er leitet die Männer und Frauen im Orchestergraben an, es  so  richtig donnern zu lassen. Das lenkt ab… Die Macht eines großen Orchester ist unendlich groß.  Valerio Galli ist mein Kronzeuge.

Jörn Schmidt, 15. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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