Primadonnen – Die Diven vom Gärtnerplatz
Premiere, 13. März 2021
Stream aus dem Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Auf der Website als Video on demand
von Barbara Hauter
Ein Abend mit Frauenpower war angekündigt – und das Gärtnerplatztheater hat geliefert. Die Diven des kleinen, feinen Münchner Opernhauses sind stimmlich in die Vollen gegangen und haben ihre Soprane auf das Schönste poliert glitzern lassen. Thematisch ging es mit 13 Liedern (plus Zugabe) durch die Opern- und Musicalliteratur von Vivaldi bis ins 20. Jahrhundert. Zusammengehalten wurden die Nummern von der Story über das Zusammenspiel der vier Sängerinnen, vom Zickenkrieg bis zur kollegialen Freundschaft.
Ersten Gala-Auftritt hatten drei der vier Primadonnen mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Ich bin die erste Sängerin« aus »Der Schauspieldirektor«. Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin und Judith Spießer in großen roten Roben und mit rosa Überwürfen wie direkt aus der Umkleide gehen gesanglich regelrecht aufeinander los, jede hält sich für die Beste und gönnt der anderen keinen Vortritt. Versichern aber zum Vergnügen der Zuschauer auf dem heimischen Sofa in den Zwischentexten „Bei uns gibt es überhaupt keinen Streit.“
Warum sie exaltiert und pathetisch sind, erklären sie mit Carl Millöckers »Ach wir armen Primadonnen« aus »Der arme Jonathan« (Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor, Judith Spießer). Sie stürben schließlich alle Todesarten – vor allem an Schwindsucht und dem Köpfen – und begründen so ihre leidenschaftliche Hingabe an die tiefsten Sehnsüchte. Mit den großen Gefühlen geht es daher über Giacomo Puccinis »Un bel dì vedremo« aus »Madama Butterfly« (Camille Schnoor mit viel Tiefe) und Charles Gounods »Je veux vivre« aus »Roméo et Juliette« (Judith Spießer prickelnd-perlend) zu Vincenzo Bellinis »Mira, o Norma« aus »Norma«. Jennifer O’Loughlin und Camille Schnoor finden dabei zusammen, die Stimmen sind nicht mehr feindlich sondern verweben sich ineinander.
Wir lernen: Primadonnen sind immer verliebt, flirten wahlweise mit dem Dirigenten oder stehen zwischen zwei Tenören. (Richard Heuberger »Geh’n wir ins Chambre séparée« aus »Der Opernball«, Mária Celeng, Judith Spießer). Wir hören aber auch: Die Sopranistinnen müssen sich nicht bis aufs Blut bekämpfen, denn jede hat ihre Spezialität, ihr besonderes Timbre und andere schauspielerische Qualitäten. Jennifer O’Loughlin zum Beispiel ist mit ihrer weichen, schmeichelnden Königinnenstimme die ideale Besetzung für Giacomo Meyerbeers »Ô beau pays« aus »Les Huguenots«.
Vom herzzerreißenden Pathos schafft sie aber problemlos den Wechsel zum Lustig-Beschwingten: Zusammen mit Camille Schnoor und Judith Spießer singt sie William Schwenck Gilberts & Arthur Sullivans
»Three Little Maids from School are we« aus »Der Mikado«. An dieser Stelle hapert es ein wenig mit dem Storytelling: Der erzählerische Übergang zu Antonín Dvořáks »Lied an den Mond« aus »Rusalka« ist ein wenig arg bemüht. Aber Mária Celengs hoch dramatischer Auftritt macht die Schwäche locker wett. Celeng zeigt sich an diesem Abend am deutlichsten als Prototyp des Primadonnen-Klischees. Sie brettert mit ihrer sehr beweglichen Stimme mit ihren Koloraturen die anderen drei Damen stellenweise an die Wand.
Doch in Antonio Vivaldis »Agitata da due venti« aus »Griselda« nähern sich die beiden so unterschiedlichen Charaktere von Mária Celeng und Jennifer O’Loughlin an. Es macht Freude zu sehen, wie viel Spaß die beiden im Song-Sharing miteinander haben. Das schwierige Stück ist wirklich gelungen. Freundschaftlich-kollegial geht es weiter. In Mischa Spolianskys & Marcellus Schiffers »Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin« (Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor, Judith Spießer) beweist Camille Schnoor auch noch ihr Talent als Pianistin. Höhepunkt finden die Gemeinsamkeiten in Victor Herberts & Harry B. Smiths »Art is calling for me« aus »The Enchantress« (Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor, Judith Spießer). Alle vier sind vereint im Aufruf, endlich der Kunst ihre Freiheit zurück zu geben und die Theater zu öffnen. So viel Harmonie ist dann auch genug: Im letzten Stück, Giuseppe Verdis Gassenhauer »Sempre libera« aus »La Traviata« geben Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor und Judith Spießer nochmals die theatralischen, arroganten Diven, schubsen sich weg, drängeln sich nach vorn. Als ginge es letztlich doch um die Frage: Wer ist hier die wahre Primadonna?
Das Mit- und Gegeneinander der Sopranistinnen ist sehr unterhaltsam. Was es nicht gibt – und ich nach den Ankündigungen erwartet hatte – ist der intime Blick hinter die Kulissen. Die Beziehungen der Sängerinnen untereinander sind als Story aber tragfähig. Die große Frage „Wer ist die Beste?“ wird jeder Zuschauer anders beantworten, denn die vier sind so unterschiedlich, dass für jeden Geschmack die passende Primadonna dabei sein dürfte. Stimmgewaltig sind die Diven vom Gärtnerplatz allesamt.
Barbara Hauter, 14. März, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung: Darijan Ivezić
Konzept und Regie: Nicole Claudia Weber
Dramaturgie: Fedora Wesseler
Mit: Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor, Judith Spießer