Programm der Staatsoper Unter den Linden 2020 / 21
Foto: © Gordon Welters
von Peter Sommeregger
Seltsam konträr zu der gegenwärtig erzwungenen Zwangspause aller Musentempel erscheint das gewählte Motto der Spielzeit 2020/21 im Haus Unter den Linden. Aktuell dürfte dieser Gemütszustand eher bei den Verantwortlichen für eine Planung vorherrschen, die immer unter dem Vorbehalt der Wiederherstellung „normaler“ Zustände stehen muss.
Ungeklärt ist das Schicksal der in dieser verkürzten Saison ausgefallenen Premieren „Idomeneo“, „Cosi fan tutte“ und „Chowanschtschina“, bis Ende April soll darüber entschieden werden.
Hier die Premierenvorschau:
Am 3. Oktober erlebt Luca Francesconis Zwei-Personen-Stück „Quartett“ nach Heiner Müller seine Erstaufführung in deutscher Sprache. Regie führt Barbara Wysocka. Die Oper wurde 2011 uraufgeführt, ist also nicht unbedingt eine Novität.
Am 13. November hat im Rahmen der Barocktage Mozarts „Mitridate, Re die Ponto“ seine Premiere. In der Regie von Satoshi Miyagi und unter der Stabführung von Marc Minkowski wird Jakub Joszef Orlinski, der gefeierte Countertenor, sein Debüt Unter den Linden geben.
Eine Neuinszenierung des „Lohengrin“ durch Calixto Bieito wird von Matthias Pintscher dirigiert und wirft doch einige Fragen auf. Muss schon nach wenigen Aufführungen Stefan Herheims Inszenierung entsorgt werden? Die Besetzung der Titelrolle mit Roberto Alagna könnte dem Haus zu einem Deja –vu der unangenehmen Art geraten, hatte der Tenor doch vor zwei Jahren die Bayreuther Festspiele durch seine kurzfristige Absage in Bedrängnis gebracht. Sonya Yontchevas Debüt als Elsa verheisst ebenfalls ein gewisses Risiko. Ist das Dirigat Matthias Pintschers ein zarter Hinweis darauf, dass Daniel Barenboim einen Gang herunterschaltet? Man darf gespannt sein!
„Pinocchios Abenteuer“ von Lucia Ronchetti, eine Kinderoper kommt im Januar im Alten Orchesterprobensaal heraus.
„Jenufa“ hat am 14. Februar in der Regie von Damiano Michieletto Premiere, Sir Simon Rattle wird dirigieren, und nein, Magdalena Kozena wird nicht mitwirken. In der Titelrolle wird die unvermeidliche Camilla Nylund zu erleben sein. Ladislav Elgr als Steva und Evelyn Herlitzius als Küsterin konnte man in diesen Partien aktuell an der Deutschen Oper hören. Ein Rückfall in die Doppelungen vor der Gründung der Opernstiftung?
Zu den wieder für Ostern vorgesehenen Festtagen dirigiert Daniel Barenboim eine neue „Nozze di Figaro“ inszeniert von Vincent Huguet womit klar ist, dass dieser, bisher nicht durch besondere Leistungen aufgefallene Regisseur wohl für einen kompletten Mozart/Da Ponte-Zyklus vorgesehen ist. Elsa Dreisig wird die (wahrscheinlich zu früh gesungene) Gräfin sein, originell ist die Besetzung der Marcelline mit Waltraud Meier und des Don Curzio mit Siegfried Jerusalem.
Die Kammeroper „Thomas“ von Georg Friedrich Haas von 2011 wird ab 16. April im Alten Orchesterprobensaal mehrfach aufgeführt.
Lydia Steier (Regie) und Antonio Pappano (Dirigent) sind das Team für „La Fanciulla del West“ von Puccini, die am 13. Juni Premiere hat, und prominent besetzt ist: Anja Kampe wird die Titelrolle, Yusif Eyvazof den Dick Johnson und Michael Volle den Sherriff Jack Rance singen.
Die Besetzungen der Repertoire-Aufführungen halten ein paar Überraschungen bereit. So wird Matthias Goerne erstmals den Wagner’schen Holländer singen, Klaus Florian Vogt wird, wie schon an der Deutschen Oper als Tannhäuser auftreten. Der neue Stern am Tenorhimmel, Andreas Schager wird als Florestan und Parsifal zu hören sein. Marina Prudenskaya singt erstmals die Kundry. Die Zauberflöte wird in dieser Spielzeit nur in der bewährten Inszenierung August Everdings gezeigt, Juval Sharons unterirdische Regiearbeit ist damit hoffentlich Geschichte.
Was bei näherer Betrachtung schnell ins Auge fällt, ist der offensichtliche Rückgriff auf schon anderswo Bewährtes. Die beiden zeitgenössischen Premieren gelten schon länger existierenden Werken. Calixto Bieito als Regisseur befindet sich schon seit geraumer Zeit auf dem absteigenden Ast, was man an der Komischen Oper leidvoll miterleben konnte. Die Besetzung von Jenufa ist in wesentlichen Rollen mit der an der Deutschen Oper identisch, Camilla Nylund in der Titelrolle vielleicht schon etwas zu reif. Anja Kampe ist vielleicht die denkbar beste Besetzung als Minnie in der „Fanciulla“, das hat sie gerade erst in München bewiesen.
Insgesamt fehlt auch diesem Spielplan wieder ein konzeptionelles Profil, neben großen Namen tauchen auch sehr viele Unbekannte in tragenden Rollen auf, was immer ein großes Risiko darstellt. “Rast“ wäre als Motto vielleicht passender als „ruhelos“, aber gerade erleben wir, dass auch eine halbe Spielzeit einmal ganz plötzlich wegbrechen kann, was hoffentlich eine große Ausnahme bleiben wird.
Peter Sommeregger, 2. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at