Wir sind Helden

Raphaela Gromes, Violoncello / Volodymyr Sirenko, Dirigent  Elbphilharmonie, Großer Saal, 19. November 2024

Raphaela Gromes © Georg Thum wildundleise

National State Symphony Orchestra of Ukraine

Raphaela Gromes Violoncello
Volodymyr Sirenko  Dirigent

Bortnjanskij: Ouvertüre zu »Il quinto Fabio«
Dvořák: Cellokonzert & Sinfonie Nr. 9

Elbphilharmonie, Gr0ßer Saal, 19. November 2024

von Harald Nicolas Stazol

Die Hamburger können gar nicht genug von ihnen kriegen, nach 1000 Tagen Krieg, vom Staatsorchester der Ukraine, und so werden sie schon als Helden begrüßt im Auf-die-Bühne-Streben, die Musiker, die nun als Kulturbotschafter geschickt sind, vom Kriegsdienst freigestellt, man kennt es ja auch vom Ukrainischen Staatsballett, das ebenso ruhelos um den Planeten gastiert, und schon wallen Bravorufe, und schon nach dem ersten Part des Konzertes, dem Mozart der Ukraine (und da geht’s schon wieder los, das korrekte Buchstabieren der schwierigen Namen): Dmitri Stepanowitsch Bortnjanskji (1751- 1825), der als führender Vertreter der „geistlichen und weltlichen Musik des späten 18. und frühen 19.  Jahrhunderts“ gilt, und „Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Kirchenmusik“ hatte, und das hört man auch.
Die Orchestersuite ist gefällig und graziös, elegant, mit klaren Barockmerkmalen, da klingt auch Händel auf und eben Wolfgang Amadé, ein schöner Beginn, und sogleich der nächste Streich: Das hochberühmte Cellokonzert des Antonín Dvořák, gespielt von „einer der erfolgreichsten Cellistinnen unserer Zeit“, Raphaela Gromes.

Es gibt einen schwarzweißen Konzertfilm des Konzertes von Jacqueline du Pré – sie kommt mir bei der Gromes sofort in den Sinn, die Eleganz, die Leichtigkeit, die Tempi – da reißt der größten Cellistin des 20. Jahrhunderts neben Mstislav Rostropowitsch vielleicht, oder Pablo Casals – da knallt es plötzlich hörbar bei den ersten, ja fast gewaltig-rasanten 3. Satzes, und die G-Saite reißt. Daran kann man doch ermessen, mit wieviel reiner Kraft und Spannung da gefordert wird, und die jung-zart-schlanke Virtuosin in ihrem bodenlangen lila Paillettenglitzerkleid bemeistert hier alle Schwierigkeit, dass sie im Scheinwerferlicht optisch glitzert und auditiv glänzt… hier ist der Applaus zwischen den Sätzen erlaubt, genau wie bei Jacqueline du Pré.

 

Im Jahre 1895 soll Johannes Brahms nach dem Lesen der Partitur ausgerufen haben: „Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit eines geschrieben!“ Na, das wäre ja mal was gewesen?

Im wundervoll-hauchzarten 2. Satz umschmeicheln die Ukrainer – ich habe vergessen, die beiden Flaggen zu erwähnen, die Patrioten über die Geländer im Rang drapiert haben – die Solistin geradezu, und irgendwie spielen sie ja auch um ihr Leben und das Überleben ihres Landes, keine 24 Stunden später wird Biden Langstreckenraketen zulassen, am nächsten Tag Landminen, und reizt so Putin, während die Bundeswehr den 1000-seitigen  „Operationsplan Deutschland“ auflegt, der zu Rationierungen und einer Stationierung von mindestens 800 000 NATO- Soldaten vorsieht – das ist das besorgniserregende Hintergrundrauschen der Welt, das man nun eben in der Symphonie „Aus der Neuen Welt“ flüchten kann, so auch das Pärchen vorher in der U-Bahn, das aus Neugierde und Solidarität gekommen ist, in Outdoorjacken und Stiefeln, aber wir wollen nicht kleinlich mäkeln, es zählt hier nur die Moral und Unterstützung und das Wohlwollen und die Absicht und Hilfsbereitschaft, die diesen Abend so anrührend macht und intensiv.

Ich sage, beim Dvořák brillieren sie in kleiner Besetzung, aber voller Stolz, „Jetzt zeigen wir euch“ steht da gefühlt über den Musikern, und dann, nachdem wir alle stehen, die Zugabe, überraschend populär, das können sie eben auch, Harry Potter und den Score „Silver Bells“, unter dem rasenden Baton des Walle Haar-Dirigenten VOLODYMYR SIRENKO, ein Name, den man gar nicht groß genug schreiben kann, und den man sich getrost merken darf!

Das gibt Hoffnung und dem Ganzen einen schönen, leichten Abschluss, der vor der ernsten Weltlage geradezu etwas Erlösendes hat.

Da bleibt nur noch eins zu sagen: Slava Ukraini!

Harald Nicolas Stazol, 21. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Antonín Dvořák, Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll, Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 9 D-Dur, Gautier Capuçon, WDR Sinfonieorchester, Jukka-Pekka Saraste, Kölner Philharmonie

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