Maurice Ravel entre 1925 et 1930 by Boris Lipnitzki-Roger Viollet
In Urrugne erklingt Kammermusik des baskischen Komponisten
Urrugne, Église Saint-Vincent, 1. September 2025
Fleur Barron, Mezzosopran
Aliya Vodovozova, Flöte
Clara-Jumi Kang, Violine
Jean-Guihen Queyras, Violoncello
Bertrand Chamayou, Klavier
Kirill Gerstein, Klavier
Musik von Maurice Ravel (1875-1937):
Sonate posthume für Violine und Klavier
Chansons madécasses für Mezzosopran, Flöte, Violoncello und Klavier
Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier
Histoires naturelles für Mezzosopran und Klavier
La valse (Fassung für zwei Klaviere)
von Brian Cooper
Maurice wird 150! Wir befinden uns mitten im Ravel-Festival, das alljährlich, freilich erst seit 2021 unter dem Namen Festival et Académie Ravel firmierend, in des Komponisten Heimat stattfindet, dem französischen Baskenland. Die Akademie ist fester Bestandteil dieser mehrwöchigen Ravel-Hommage; auch der heutige Intendant Bertrand Chamayou wurde weiland hier als Pianist gefördert.
Spielstätten sind, neben Ravels Geburtsort Ciboure, auch das gegenüberliegende Saint-Jean-de-Luz, fußläufig zu erreichen, sowie andere Orte im Umkreis. Diese jedoch sind ein Stück weiter entfernt und zu Fuß nicht unbedingt gut erreichbar – zumindest, wenn man nicht völlig verschwitzt und in Wanderkluft erscheinen will.

Reist man mit der Bahn in den äußersten Südwesten Frankreichs – härteste Etappe war übrigens die Strecke Bonn-Köln – und verzichtet auf einen Mietwagen, denkt man über derlei Kleinigkeiten nicht unbedingt nach. Aber es gibt ja noch die Heerscharen an bénévoles (Freiwilligen) im Festivalteam: Der Herr von der Presseabteilung, Monsieur Coulon, arrangiert für den Kollegen aus Riga und mich allen Ernstes einen Chauffeur: Pascal ist ein kultivierter, humorvoller Gesprächspartner, der viel zu erzählen hat („Als ich Jordi Savall vom Flughafen abholte…“). Zurück sind wir zu fünft, zwei Kolleginnen steigen hinzu.
Das erste Konzert, das ich besuche, findet in Urrugne statt, einem der vielen zauberhaften baskischen Dörfer, die mit nichts mehr als ein paar Girlanden, den rot-weißen Häusern, einer Kirche und einer Handvoll Cafés so viel Zauber bieten können. Die Kirche besteht aus viel Holz, notamment die Decke und eine dreistöckige Galerie. Diese wird für die ansonsten fabelhafte Akustik – es gibt kaum Nachhall, wie ich einem Freund berichten konnte, der genau danach fragte – zum Problem, sobald sich jemand bewegt oder, Gott bewahre, seinen Platz aufsucht.
Kirill Gerstein (Klavier) und Clara-Jumi Kang (Violine) sind nämlich schon bereit, und es knarzt und knarzt, die schweren Schritte hören einfach nicht auf. Es wird geschmunzelt; ich denke an den Loriot-Sketch mit dem Flötisten, wo die Leute im Publikum ständig ihren Platz wechseln…
Schon in Ravels einsätziger Sonate posthume zeigt sich, als sich das Knarzen legt, nicht nur der gute Raumklang, sondern vor allem das hinreißende Zusammenspiel der beiden. Das Anfangsmotiv, das die Sonate durchzieht, erklingt bei Kang geheimnisvoll. Sie hat einen variablen Geigenton, der von zart-rauschend bis intensiv-drängend geht und alles an Kontaktstellen zwischen Griffbrett und Steg nutzt. Gerstein, sonst viel mit Orchestern in der Welt unterwegs, erweist sich an diesem Abend als herausragender Kammermusiker und (später) Liedbegleiter. Ich denke plötzlich an Clara Haskil und Arthur Grumiaux. Im Dienste der Musik.
Dicht und schön klingt das alles, mit Aufblühen und Zurücknehmen, auch in der später gespielten – bekannteren – Violinsonate: Im ersten Satz beeindrucken Kangs perfekte Oktaven und Arpeggien; der verspielt-sinnliche Jazz im Blues-Satz gefällt so gut, dass es schon ersten Applaus gibt; und das Perpetuum mobile schließlich reißt die Menschen von den kirchentypisch unbequemen Holzbänken.
Zwischen den beiden Sonaten erklingen die Chansons madécasses nach Texten des französischen Dichters Évariste de Parny. Die Lieder sind einigen sicher vom Namen geläufig; bei Wikipedia werden sie in nur drei Sprachen behandelt, darunter weder Deutsch noch Englisch. Fleur Barron singt besonders in der tieferen Lage mit schönem Schmelz, die Textverständlichkeit ist makellos, und ihre Stimme füllt die große Kirche mühelos. Barron wird aber auch sensibel begleitet von Aliya Vodovozova (Flöte), Jean-Guihen Queyras (Violoncello) und Kirill Gerstein, der an diesem Abend in jedem Stück spielt.
Eine ungewöhnliche Besetzung. Die klassische Liedbesetzung haben wir dann in den Histoires naturelles nach Kurztexten von Jules Renard. Hier erzählt Barron mit ausladender Gestik und großem Stimmvolumen von den Tieren: eine Grille und vier Vögel, darunter ein Pfau, der ganz sicher heute heiraten wird. Die Komik der Kombination aus Musik und Text sorgt für Schmunzeln.
Abschlusswerk des Abends ist La valse, das Gerstein mit Bertrand Chamayou spielt. Es ist eine im allerbesten Sinne routinierte Darbietung – beide Pianisten kennen das Werk in- und auswendig. Das wiederum erlaubt aber eine Souveränität des Zusammenspiels, die selbst bei eingespielteren Klavierduos nicht immer selbstverständlich ist. Dieser Abgesang auf die Wiener Walzerseligkeit kann auch auf zwei Klavieren begeistern.

Großer Dank allen auf der Bühne Beteiligten, darunter explizit nicht nur den Ausführenden, sondern auch dem souveränen Bühnenteam. Das Team, das nicht auf der Bühne zu sehen ist, von Kartenverkäuferinnen bis Fahrern, könnte freundlicher nicht sein. Im Hinausgehen drückte mir jene Dame, die uns die Karten ausgehändigt hatte, den diesjährigen Stoffbeutel in die Hand. Darin: praktische Tips und Pläne zum Erkunden der Gegend, sowie eine speziell zum 150. Geburtstag herausgebrachte Blechdose mit exquisiten macarons einer renommierten Firma aus der Region. Sie sind köstlich. Aber sie sind nicht einmal ansatzweise der Grund für diese positive Kritik.
Dr. Brian Cooper, 2. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Besprechung: Maurice Ravel, Seong-Jin Cho, Klavier klassik-begeistert.de, 17. Februar 2025
Andrei Gologan, Maurice Ravel, Frédéric Chopin, Robert Schumann, Herkulessaal, München