Muti, Wiener © Zani-Casadio
Ravenna-Festival 2024
Riccardo Muti, Dirigent
Wiener Philharmoniker
Wolfgang Amadeus Mozart: Haffner-Sinfonie KV 385
Franz Schubert: Sinfonie Nr.9 Große C-Dur 944
Pala De André, Ravenna, 11. Mai 2024
von Kirsten Liese
Seit Ende April sind Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker unermüdlich im Einsatz und wo immer sie auftreten, ob in Wien, Berlin oder Ravenna (es folgen als letzte Stationen noch Florenz und Bari) – mit äußerst kurzen Zeitfenstern für An- und Abreisen dazwischen – präsentieren sie sich in Topform.
Von Höhepunkten will man da gar nicht mehr reden, jedes Konzert ist einer für sich, in dem Orchester, mit dem Muti ein halbes Jahrhundert freundschaftlich verbunden ist, findet der 82-Jährige so etwas wie einen Jungbrunnen, jedenfalls präsentiert er sich von einer einfach frappierenden Agilität, um die ihn so manch andere Altmeister beneiden dürften.
Etwas früher als gewohnt eröffnete das Ravenna-Festival seine jüngste Ausgabe – erstmals mit den Wienern. Der rund 3500 Plätze umfassende Sportpalast Pala De André ist bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Im Vergleich mit der ungleich größeren Sportarena Paladozza in Bologna, in der Muti 2020 mit dem Luigi Cherubini Orchester konzertierte, das dort wie auch das Publikum etwas verloren wirkte, bietet dieser Ort eine deutlich angenehmere Atmosphäre und eine recht achtbare Akustik.
Die braucht es natürlich vor allem für Mozart, wenn derart subtil dynamisiert wird, wenn Holzbläser ihre Soli zärtlich und klangschön anstimmen, jede noch so kurze Phrase aufs Figürlichste ausmusizieren.
Aber bei Mozart kommt freilich noch etwas dazu: Dass ihn in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis für sich vereinnahmt haben. Dies nicht unweigerlich zum Vorteil. Oft wird da nach dem Vorbild Harnoncourts sehr ruppig musiziert, ohne Legato in den Melodien und viel zu schnell. Ausnahmen bestätigen die Regel, jedenfalls empfahl sich Muti an diesem Abend in Ravenna einmal mehr als der Leuchtturm unter den Mozart- Dirigenten.
Mozarts Haffner-Sinfonie entstand, angefangen von dem berühmten Hornsolo, in einem majestätischen Klang, an dem man sich kaum satt hören kann. Wie immer bei Muti darf man seine Liebe zum Detail bewundern.
Im Lyrischen wendet er sich hingebungsvoll den Violinen zu, vor allem im Andante lässt sich beobachten, wie sich über intensiven Blickkontakt die gegenseitige Freude am Musizieren ausdrückt, es ist ein einziges Geben und Nehmen zwischen Dirigent und Orchester. Im Presto indiziert Muti plastisch mit schnellen, sehr ökonomischen Fingerbewegungen Parallelen zur Figaro-Ouvertüre, die ähnlich unruhig-nervös beginnt.
Dann gibt es darin noch eine irre Stelle, in der die ersten Violinen fast spukhaft in eine liebliche Melodie hineinwirbeln. Mit dem Schalk eines Gnoms zeichnet Muti da wie aus dem Moment eine virtuose Wirbelbewegung in die Luft, die sich treffsicherer kaum ausdenken ließe.
Eine Aufwärmübung, als die Sinfonien von Mozart und Haydn oft behandelt werden, war dies also mitnichten, sondern ein Mozart in voller Pracht und Blüte.
In Schuberts C-Dur Sinfonie schwebte man weiter auf Wolke sieben, erbaute sich an der sie durchziehenden virilen Kraft und den lieblich-schwungvollen Melodien, die für mich zum Herrlichsten gehören, was der Komponist geschrieben hat.
Da hält der Dirigent abermals das Zepter stolz wie ein König und verpflichtet sich gleichwohl einem schlanken Orchesterklang, aus dessen weit gefächertem Panorama die Soloinstrumente aufs Berührendste hervortreten.
Der Unterschied zu der Wiedergabe dieses Werks vor einem halben Jahr in Sarajewo trat da deutlich zutage, in der Muti die Filharmonija Sarajewska zu ihrem 100. Geburtstag durch das Stück führte. Die Bosnier musizierten mit vergleichbarer Emphase, aber freilich nicht auf dem Niveau der Wiener. Folglich waren auf dem Balkan stärkere körperliche Impulse vonnöten.
Bei den Wienern reichen weitaus reduziertere Zeichen, da nimmt sich Muti gelegentlich als Dirigent ganz zurück und lässt die Musik einfach laufen.
Mag diese auch dazu verführen, sich zu den lieblich-schwungvollen Seitenthemen im Takt wiegen zu wollen wie zuletzt bei Joana Mallwitz zu beobachten: Die punktuellen Gegenakzente in den zweiten Geigen, die sich wie ein Stachel dazwischen schieben und gerne mal überhören lassen, haben den Dirigenten nötiger, Muti stellt sie klar heraus.
Auf Schuberts Große C-Dur könne üblicherweise keine Zugabe folgen, sagt der Maestro am Ende und macht doch eine Ausnahme. Zum historischen Debüt der Wiener in Mutis Wohnort bedarf es freilich eines jener Stücke, das fest zur DNA dieses Orchesters gehört: den Kaiserwalzer von Johann Strauß. Und damit gibt es gewissermaßen schon eine Einstimmung auf das Neujahrskonzert 2025, das Muti zum siebten Mal (!) dirigieren wird, es wird wohl – leider – auch das letzte sein, wie er mir sagte. Als ihm die Wiener Philharmoniker 1993 zum ersten Mal das Neujahrskonzert antrugen, bedurfte es erst einiger Überredungskunst, konnte sich der Italiener kaum vorstellen, ein solch musikalisches Terrain zu betreten. Aber die Wiener wussten freilich, warum sie darauf bestanden: Wer sich so auf Schubert versteht wie er, für den liegt Strauß nicht weit, durchdringt doch seine berühmten Walzer stets ein Hauch von Melancholie.
Man muss kaum dazu sagen, dass sich die Wiener dieses Paradestück mit seinem sanften Einschwingen, den süßlich-delikaten, bei ihnen aber nie kitschig tönenden Melodien und all dem schwelgerischen Rausch bis hin zu den beiden anrührenden Cellosoli unübertroffen darboten. Das macht ihnen kein anderes noch so grandioses Spitzenorchester nach!
Was für ein fulminanter Ausklang!! Die stehenden Ovationen wollten kaum enden. Allein aufgrund der sehr fortgeschrittenen Stunde ließ das emphatische Publikum den Maestro ohne eine weitere Zugabe ziehen.
Kirsten Liese, 13. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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