klassik-begeistert besucht die Kunstuniversität Graz: Teamteaching bei den Professoren Mardi Byers und Oliver Zwarg – Teil 4

Report: kb besucht die KUG Teil 4 – Teamteaching  klassik-begeistert.de, 15. Dezember 2024

Professor Oliver Zwarg mit Yu-Chun Chen aus Taiwan; Foto Patrik Klein

Meine Musiktheater- und Konzertleidenschaft trieb mich auf eine dreitägige Reise an die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Lesen Sie hier in fünf Teilen meine Eindrücke.

Gesangsunterricht an der KUG ist ein facettenreiches Konglomerat unterschiedlichster Möglichkeiten – Teamteaching bei Professor Mardi Byers und Oliver Zwarg. Doch zuvor begegnete mir Opernweltstar Elena Pankratova

von Patrik Klein

Nach dem erlebten Einzel- und den beiden unterschiedlichen Gruppenunterrichten am Vortag, sollte es heute zu einer weiteren didaktisch spannenden Methode der Entwicklung junger Stimmtalente gehen, dem Teamteaching.

Doch zuvor hatte ich die Gelegenheit mit einer dramatischen Sopranistin, der Russin Elena Pankratova ein kurzes Gespräch zu führen.

Der internationale Durchbruch gelang ihr 2010 in der Rolle der Färberin beim Maggio Musicale Fiorentino. 2019 sang sie in Bayreuth gleich 2 Rollen: Kundry und Ortrud. Sie sang Ortrud bei den Salzburger Osterfestspielen 2022 und verkörperte die Isolde an der Bayerischen Staatsoper, Odabella (Attila) an der Mailänder Scala und am Mariinsky Theater. Ferner debütierte sie mit MOZARTISSIMO (Arien, Duetten und Szenen aus Mozarts Opern) und IL VIAGGIO A BAYREUTH (Werke von Rossini, Bellini, Verdi und Wagner). Sie lehrt seit 2015 an der KUG Gesang. 

klassik-begeistert: Frau Pankratova, was können junge Sänger bei Ihnen und von Ihnen lernen? Neben den vielen gesangstechnischen Themen habe ich gehört, dass sie mit besonderen dramaturgischen Ansätzen den normalen Lehrplan deutlich erweitern. Können Sie unseren Lesern bei Klassik-begeistert etwas darüber erzählen?

Elena Pankratova: Neben den vielen Engagements an den Opernhäusern, ich war vor Kurzem als Turandot an der MET engagiert, habe ich hier in Graz viele Möglichkeiten, mein Wissen weiterzugeben. Natürlich habe ich meine Studierenden, mit denen ich intensiven Unterricht mache. Diese sollen zusätzlich pro Semester mindestens an zwei Klassenkonzerten teilnehmen. Klassenkonzerte haben z.B. die Themen „Komponistinnen im Spiegel der Zeit“ oder „Die faszinierende Welt des Barock“ usw. Das dient dem Zweck der Übung von künftigen Auftritten. Jeder Teilnehmer singt dann thematisch passend dazu vor. Wir graben dabei auch ungewöhnliches Material aus und stellen dieses in Bezug, wie z.B. deutsches und italienisches Fach in Kombination, denn das ist gesangstechnisch gesund und wichtig für die Entwicklung. Eine breite Vermittlung beider Repertoires zur Steigerung der Flexibilität in der Stimme ist hier mein Ziel für die Förderung der Studierenden.

Ein Klassik-begeistert Journalist hilft dem Weltstar ein junges Festival zu unterstützen!

Im Gespräch kamen wir dann noch von den Bayreuther Festspielen auf die Wertinger Festspiele, bei denen ich in diesem Jahr anwesend war und zwei ausführliche Artikel bei Klassik-begeistert schrieb. Wie der Zufall es wollte, rief just zu dem Zeitpunkt der junge Tenor und Intendant Daniel Schliewa an und so konnte ich die beiden miteinander verbinden – eine Masterclass im Herbst 2025 kam so zustande. Sachen gibt’s!

Elena Pankratova © Vitaly Zapryagaev

Als weiteres Element der Gesangslehre geriet der Fokus dann auf das Thema Teamteaching bei Mardi Byers und Oliver Zwarg, die beide bekannte und sehr geschätzte Künstler im Opernbetrieb sind und eine Gesangsprofessorenstelle an der KUG inne haben.

Teamteaching ist eine Hospitation und Hilfe für den Lehrenden, also den Gesangsprofessoren selbst. Es gibt häufig die Situation, dass man als Lehrender intensiv nach Antworten sucht oder nach andern Bildern. Da kann ein Besuch bei einem zweiten Lehrer extrem hilfreich sein. Es werden andere Worte oder Bilder benutzt, man bekommt die Möglichkeit des „Durchatmens“, weil der Partner sich jetzt bemüht, eine Sprache der Lösung zu finden. Und plötzlich ist eine Lösung in Sicht, weil man einen Moment der Ruhe hatte oder ein anderer Sprachduktus ans Licht trat. Das kann persönlich als extrem befreiend empfunden werden. Man darf ohne Dünkel eine Tür weiterwandern, weil klar ist, dass man gemeinsam einen Weg gefunden hat: ein großartiger Beweis von gegenseitigem Vertrauen!!

Der Vorteil des Teamteaching liegt auch darin, dass die Studierenden durch die Anleitung zweier Professoren mit ähnlichem technischem Fokus schneller vorankommen und eine solide technische Grundlage entwickeln. Dies fördert ein konstruktives Arbeitsklima und bietet die Möglichkeit, begabte Studierende schnell ins Berufsleben zu bringen.

Eine weitere Idee ist, dass Professoren Studierende spontan in das Studio eines anderen  mitbringen, etwa um bei technischen Problemen andere Inputs zu erhalten oder um Fortschritte vorzulegen. Dies hilft Studierenden, Fortschritte zu festigen und in einer neuen Umgebung zu zeigen.

Mit den beiden Sängern führte ich vor der Unterrichtseinheit ein Interview, aus dem hier ein paar Auszüge folgen:

klassik-begeistert: Was können junge Sänger bei Ihnen und von Ihnen lernen?

Mardi Byers: Es gibt offensichtliche Dinge, die ich sofort beantworten kann: Technik, einschließlich korrektes Singen (Atmung, Haltung, richtige Aussprache, Vokalbildung, Resonanz, singen von Staccato und Legato usw.), musikalische Phrasierung passend zum Werk, das Lernen von Musik, das Zusammenstellen eines Programms, wie man ein Konzert oder Vorsingen vorbereitet und wie man Werke für bestimmte Situationen auswählt. Auch der Umgang mit Lampenfieber und anderen emotionalen Herausforderungen sowie das gleichzeitige Singen und Spielen sind wichtige Themen. Dies sind Grundlagen, die jeder Bachelor- und Masterstudierende lernen sollte. In meinem Unterricht bereite ich die Studierenden auch auf das Leben nach dem Studium vor, wenn sie als Sänger auftreten möchten. Ich lade Fachleute in meine Klasse ein, wie z.B. Mental-Coachs, Tai-Chi-Lehrer, Fachleute für Naturheilkunde oder Schauspiel Coachs, um mit den Studierenden zu arbeiten und ihre Fragen zu beantworten. Ich ermutige die Studierenden, frühzeitig mit kleinen Gesangs-Jobs zu beginnen, sei es im Kirchenchor oder als Solist bei Hochzeiten. Es ist mir wichtig, dass sie lernen aufzutreten und schon vor dem Abschluss Gelegenheiten suchen, durch das Singen ein Einkommen zu erzielen.

klassik-begeistert: Wie sieht eine Unterrichtsstunde bei Ihnen aus?

Oliver Zwarg: Ich fange in aller Regel mit Technikübungen an, die ein Zusammenfassen der Arie, des Ensembles, des z.B. Problems darstellt, was gleich intensiver bearbeitet wird. Ich versuche die Studierenden dahingehend zu „erziehen“, dass sie selbst analytisch geschult werden sollen und das Problem mit Hilfe vom Spiegel oder dem Aufnahmegerät oder dem rechten Pedal des Flügels und dem Nachhören des Klanges erkennen. Sie sollen lernen durch genaue Beobachtung Ihrer selbst, um das Problem lösen zu können.

klassik-begeistert:Was ist Ihnen in Ihrem Unterricht besonders wichtig, den Nachwuchskünstlern mit auf den Weg zu geben?

Mardi Byers: Dass sie in der Lage sind, das im Unterricht Gelernte eigenständig zu wiederholen und ihre eigenen Fehler zu erkennen und zu korrigieren sowie Fortschritte zu bemerken. Die Studierenden sollen zur nächsten Stunde mit der Bereitschaft kommen, über das Erarbeitete und die Herausforderungen bei der Umsetzung zu sprechen.

klassik-begeistert: Wie schätzen Sie die Chancen in Bezug auf künftige Engagements und Karrieren Ihrer Schüler ein?

Oliver Zwarg: Dafür gibt es keine verbindlich positive Antwort. Jedenfalls nicht, wenn man sich nur darauf versteift: eine Ausbildung ist nur dann erfolgreich, wenn am Ende alle eine glänzende internationale Karriere mit Exklusivvertrag bei Deutsche Grammophon haben sollen (wie es bei Facebook, Twitter oder Instagram vorgelebt wird). Karriere und Berufschancen haben und werden sich in Zukunft deutlich weiter in eine „Zweijob-Laufbahn“ verändern, als dies noch vor 30 Jahren der Fall war. Das Interesse an unserer „Kunst“ existiert einfach nicht mehr so wie „früher“. Die Konkurrenz durch Netflix, WaltDisney, Amazon einerseits; und die bloße Tatsache, dass die Arbeit ein Instrument spielen zu können, immer seltener auf sich genommen wird, sprechen für sich selber.

Aber: das Glückgefühl mit einem Referat, einem Gedicht, einem Lied, einer Arie vor fremden Menschen zu stehen und eine Message zu senden, dieses Gefühl ist so stark und unterscheidet den Menschen vom Tier, dieses Gefühl wird hoffentlich den Weg zurückfinden in unser aller Bewusstsein und damit die Keimzelle sein für unser aller Wohl.

klassik-begeistert: Kommt es vor, dass Sie jemandem abraten müssen, den Weg des Sängers weiter zu verfolgen? Wie sagt man es seinem Schüler?

Mardi Byers: Leider ja. Ich finde, der beste Weg ist eine liebevoll-direkte Ansprache. Man weiß nie, was die Zukunft bringt, und das finde ich wichtig zu sagen.

Oliver Zwarg: Sehr unangenehme Frage… Ja, das gibt es. Und ich bin (leider gar kein) Diplomat. Ich sage das nach spätestens vier Stunden. „Überlegen Sie bitte sehr gut“. Wenn jemand dann immer noch sagt: „Ich will das unbedingt“, dann kann er/sie auch verkraften, was von mir möglicherweise entgegnet wird. Wichtig ist: Jemand muss wollen, muss sich durchbeißen, muss gegenhalten!

Im Unterricht kamen dann neben dem Repetitor am Klavier, den beiden Gesangsprofessoren Mardi Byers und Oliver Zwarg in einem kleinen Raum fünf junge Studierende zum Zug, ihre einstudierten Werke zu präsentieren.

Teamteaching mit Mardi Byers und Oliver Zwarg; Foto Patrik Klein

Schuberts „Die Allmacht“, „Sehnsucht“ und „Auflösung“, je eine Arie der Donna Anna und des Don Ottavio aus Mozarts Oper Don Giovanni und die Arie des Sängers aus Strauss’ Rosenkavalier wurden intensiv eingeübt und methodisch verbessert.

Ich hatte den Eindruck, dass hier eine Reihe von rohen, ungeschliffenen Diamanten meinen weit aufgestellten Ohren entgegen kamen. Man kann sich das kaum vorstellen, wie laut eine Stimme in einem kleinen Raum wirkt und wie signifikant sich Veränderungen an der Technik sofort hörbar auswirkten.

Die beiden Gesangslehrer gingen dann auch sofort mit Erklärungen, Mimik, Berührungen, Zwerchfellmassage, Nachfragen zur Interpretation, Korrektur von Körperspannung, Gestaltung der optimalen Resonanz, Einsatz des Passaggio, Verhinderung des Kontrollverlusts durch falsche Mundwinkelstellung bei Vokalen und Konsonanten, Verbesserung bei der Körperhaltung und Vormachen bzw. Vorsingen in eindringlichster Weise zur Sache.

Kleine Anekdoten, Erlebnisse, Erfahrungen aus dem Künstlerleben der Lehrenden flossen in die detaillierte Feinarbeit ein. Man arbeitete mit kraftvollen Bildern und Vorschlägen, sang und gestaltete vor, trieb die jungen Sänger an.

Die Arie des Don Ottavio ist eine voller Energie – das muss musikalisch hörbar werden! Das darf nicht zu sachlich sein.“ Mit einem Messer in der Hand gelang die Szene auch im Kopf deutlicher.

Make love, do not rape your love!“ Manchmal wurden auch deutliche Worte gesprochen.

Die unterschiedlichen Perspektiven der Wahrnehmung des Moments durch zwei beobachtende Gesangslehrer führten immer wieder zu neuen Erkenntnissen und Fortschritten bei der Interpretation.

Ein geflügeltes Wort, der sogenannte „Ankerpunkt“ blieb mir lange im Gedächtnis: „Stellen Sie sich beim Singen vor, Sie sind ein Schiff, das auf hoher See ankern möchte. Die Ankerrolle ist im übertragenen Sinne der Atem zwischen Zähnen und Lippe als Ankerkette zu verstehen, die durch den ganzen Gaumen schießt und zum Klang wird wenn Sie singen und die Kette ins Wasser schießt“

Für mich beeindruckend war wieder wie bereits gestern die Tatsache, dass die intensiven Momente der Arbeit am Stück, sich signifikant am Ende der jeweiligen Unterrichtssequenz auswirkten.

Patrik Klein, 15. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lesen Sie im 5. Teil der Reportage, am 16. Dezember 2024, über die Zusammenarbeit des Instituts Gesang mit dem Institut Schulmusik und mein Fazit der Reise nach Graz.

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