Ao. Univ.-Prof. Mag.art. Dr.phil. Bernhard Gritsch; Foto Sissi Furgler
Meine Musiktheater- und Konzertleidenschaft trieb mich auf eine dreitägige Reise an die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Lesen Sie hier in fünf Teilen meine Eindrücke.
Ein Gedankenaustausch mit dem Institut 5 Musik in der Gesellschaft mit Ao. Univ.-Prof. Mag.art. Dr.phil. Bernhard Gritsch.
von Patrik Klein
Auf seiner Visitenkarte auf der Webseite der KUG steht: „Erkläre es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde mich erinnern. Lass es mich selber tun, und ich werde es verstehen (Konfuzius)“.
Bernhard Gritsch ist außerordentlicher Universitätsprofessor für Musikpädagogik an der Kunstuniversität Graz (KUG), Vorstand des Instituts für Musik in der Gesellschaft (IMiG): Pädagogik – Vermittlung – Therapie und Vorsitzender der Curriculakommission Lehramtsstudium.
Er verantwortet nationale und internationale Vortragstätigkeit bei Symposien, Fachtagungen und in der Lehrer:innenfortbildung. Er ist Schulbuchautor sowie Autor/Herausgeber der Musikpädagogischen Schriften des IMiG. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Lehrer:innenbildung, Curriculumentwicklung und im multimedialen Design von Unterrichtsmaterialien. Er entwickelt künstlerisch-pädagogische Projekte mit schulischen und außeruniversitären Partnern im Feld der Musikvermittlung und der Musikgeragogik (musikalische Bildung und Förderung im Alter).
Themen bei unserer Begegnung in Graz waren u.a. der aktuelle Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft, die Verantwortung der Kunstuni Graz im kulturellen Umfeld der Stadt und die Zusammenarbeit mit dem Institut 7 (Gesang).
Dazu passte aufgrund der drohenden Kulturetatkürzungen in Berlin die Reaktion der Dirigentin und Chefin des Konzerthausorchesters Berlin Joana Mallwitz. Sie hatte vor kurzem ein viel beachtetes Statement zu den geplanten Maßnahmen in Berlin abgegeben, in dem sie auf die Notwendigkeit der Kunst für die Gesellschaft eindringlich hinweist. Schauen Sie sich hier gerne die rund achtminütige Rede an:
Joana Mallwitz zu den Kürzungen im Berliner Kulturbereich
Aufgrund dieser aktuellen politischen Situation, wo das Zeitalter der modernen Aufklärung zu Ende zu gehen scheint, Kürzungen oder komplette Streichungen in der Kulturlandschaft zu verzeichnen sind, im Schulunterricht kaum noch das Fach Musik vorkommt, traditionelle Kenntnisse in Geschichte und Literatur bei vielen jungen Leuten kaum mehr vorhanden sind, brannte mir natürlich in Graz bei unseren vielseitigen Treffen einige Fragen auf den Nägeln, die ich mit Professor Gritsch diskutierte.
klassik-begeistert: Lieber Herr Prof. Dr. Gritsch, es ist mal grade vier Wochen her, da wurden online verschiedene Petitionen eingereicht zur Rettung von 3sat (also dem länderübergreifenden Kulturspartensender), in Bayern schafft Markus Söder den Musikunterricht zugunsten einer weiteren Deutschstunde ab. Sie hingegen gründen mit Ihrem Kollegen Oliver Zwarg ein neues Projekt, in dem Studierende der Kunstuni Graz in die öffentlichen Schulen gehen, um dort live vor den Schülern zu singen und zu musizieren. Ist das nicht angesichts dieser politischen Gemengelage nicht eher „Eulen nach Athen tragen?“
Bernhard Gritsch: Es ist – der Bedeutung des Sprichworts folgend – keine „überflüssige Sache“, Musik in die Schulen zu tragen und Schulen zum Klingen zu bringen, im Gegenteil:
Es kann nie genug davon geben!
Deshalb, und weil ich selbst schon viele musikbezogene Projekte mit Schulen durchgeführt habe, fand ich die Idee meines Kollegen Zwarg vom Gesangsinstitut sehr charmant.
Wir können permanenter medialer Überreizung und großteils bloß Erfahrungen aus zweiter Hand vielfältige Live-Erlebnisse gegenüberstellen und damit bei den Jugendlichen punkten und nachhaltig Eindruck hinterlassen. Wenn man hautnah erlebt, was es bedeutet, professionell Musik zu machen und mit Studierenden, die vielleicht gerade einmal ein paar Jahre älter sind, in den Austausch kommt, dann kann das in den Jugendlichen etwas bewirken und im gemeinsamen Musizieren auch neue Türen öffnen. Das ist es, was wir tun können: spannende Angebote zu legen und Samen zu säen, die möglicherweise auch erst Jahre danach aufgehen. Die ersten Rückmeldungen aus einer Matura-Klasse nach dem Besuch der Gesangsstudierenden von Herrn Zwarg waren jedenfalls äußerst positiv.
klassik-begeistert: Kann man angesichts großer bildungspolitischer Probleme, aber auch weitreichenden haushaltspolitischen Diskussionen überhaupt noch rechtfertigen, in die sogenannte Hochkultur Zeit und Geld zu investieren?
Bernhard Gritsch: Ich bin Realist genug, um zu sehen, dass dies – mit Ausnahmen – im Großen und Ganzen ein Minderheitenprogramm ist.
Ich persönlich liebe die Vielfalt der Musik und möchte hier unverkrampft rangehen: Die Schüler:innen sollen die Chance erhalten, diese Vielfalt kennenzulernen, um in weiterer Folge das selektieren zu können, was ihnen zusagt. Wie heißt es so schön:
„De gustibus et coloribus non est disputandum“, also „über Geschmack und Farben lässt sich nicht streiten.“
Und in dieser Vielfalt soll und muss auch die Kunstmusik ihren gleichberechtigten Platz haben, auch wenn sie sich in ihrem Zugang heutzutage als sperriger erweist als andere Musiken.
klassik-begeistert: Ist der Besuch eines Opernhauses nicht vor allem eine intellektuell, elitär und repräsentative Angelegenheit? Was soll denn der gesellschaftliche Mehrwert sein, wenn zwar alle den Erhalt bezahlen aber kaum einer hingeht?
Bernhard Gritsch: Schnell aus dem Bauch heraus geantwortet, muss ich sagen: Natürlich ist er das, wenngleich Musikpädagogik und Musikvermittlung hartnäckig daran arbeiten, dass dem nicht so ist. Die Kinder und Jugendlichen (und auch viele Erwachsene) haben in der überwiegenden Mehrheit keine oder wenig Hörerfahrung mit Oper und Kunstmusik und daher auch keinen Bezug dazu.
Brücken zu dieser Musik kann man heute mit vielfältigen sinnlichen und handlungsorientierten Angeboten bauen, aber: Man muss sich auch ein Stück weit anstrengen und in die Erzählungen vertiefen, das geht nicht so nebenbei und erschließt sich auch nicht von allein.
Ich erinnere mich als Junglehrer an ein Radiointerview mit Marcel Prawy, heute würde man sagen, einem der ersten Musikvermittler Österreichs. Er empfahl, mit unerfahrenen jungen Menschen vorzugsweise in eine Wagner-, denn in eine italienische Mozart-Oper zu gehen.
Ich dachte mir damals: Oh Gott! Hat er sie nicht alle? Jugendliche, die an 24 Bilder pro Sekunde gewohnt sind, sollen in einem Opernhaus einer Siegmund-Sieglinde-Szene folgen, die ohne aufwändige visuelle Reize mehr als 20 Minuten benötigt? Wie soll das gehen?
Ich ließ mich auf das Abenteuer ein und bereitete die Walküre ausführlich mit meinen damals 16-jährigen Schüler:innen vor. Die sperrigen Stabreim-Texte versuchten wir in eine verständliche Alltagssprache zu übersetzen, „Wagner auf Steirisch“ sozusagen, wir spielten einige Szenen nach, beschäftigten uns mit den Leitmotiven und ihren Funktionen, sodass sich die Jugendlichen schlussendlich gut auskannten. Und in der Wiener Staatsoper verstand ich, was Marcel Prawy gemeint hatte: Das Erlebnis dieser Klangfülle mit ihren unterschiedlichen emotionalen Wirkungen fesselte meine Schüler:innen derart, dass sie noch bei der Heimfahrt im Bus teils Motive nachsangen. Ich war baff.
Diese Erfahrung bestärkte mich, auch die Arena von Verona in mein außerschulisches Angebot für Schüler:innen knapp vor dem Schulschluss im Juli aufzunehmen, wo üblicherweise sämtliche DVD-Recorder in der Schule ausgebucht waren und die Schüler:innen zu mir mit „Bitte kein Video!!“ in die Musikstunde kamen. Und bei 25-jährigen Maturatreffen bekam ich immer wieder zu hören, dass einige Schüler:innen am Kulturleben der sog. Hochkultur teilhaben.
Hier ging also der Samen auf, aber halt erst ein paar Jahre später …
klassik-begeistert: Inwieweit ist die Aussage vom Dirigenten, GMD der Oper Bonn Dirk Kaftan „Beethoven braucht uns nicht, aber wir ihn schon!“ (aus seinem Impulsreferat in Bonn) eine aus Ihrer Sicht nachvollziehbare?
Bernhard Gritsch: Das kann ich vollinhaltlich bestätigen, da ich die große Freude hatte, mit Dirk Kaftan während seiner Grazer Zeit ein groß angelegtes Projekt im Jahr 2016 über Beethovens 9. Sinfonie mit dem Titel B9 – Beethoven für alle auf die Beine zu stellen.
Die Initiative dazu ging von Kaftan aus. Wir haben ca. 180 Schüler:innen aus 6 Grazer Gymnasien, 20 Lehramtsstudierende, 6 Mentor*innen und mehrere Lehrende der KUG inkl. meiner Wenigkeit mit dem Team der Grazer Oper zusammengebracht, um zu erkunden, was uns Beethoven heute noch sagen kann.
Die Zusammenarbeit mit ihm empfand ich als sehr angenehm, er kam auf die Uni, um aus seinem durch und durch künstlerischen Habitus mit den Studierenden immer wieder hartnäckig in den Diskurs zu treten, was die Musik uns mitgeben kann, wozu, welche und wie wir Konzertbeiträge planen und umsetzen, er ging mit in die Schulen, um direkt mit den Schüler:innen über Beethovens Musik zu sprechen, er ließ Jugendliche aus unterschiedlichen Kulturkreisen die Grazer Philharmoniker dirigieren und blieb dabei auch offen für eine jugendliche Sichtweise auf Themen wie Freiheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit.
Er brachte folglich im öffentlichen Konzert auch die von Studierenden mit den Schüler:innen entwickelten modernen Ausdrucksformate und stilistischen Mischungen auf die Bühne. Die Schüler:innen kamen – wie wir es zumindest erhofft hatten – aus diesem Projekt anders raus als sie hineingegangen waren.
Diese Initiative wurde durch die großzügige Unterstützung des Rektorats der Kunstuniversität Graz umfassend medial dokumentiert, lief im Fernsehen und ist in einer Kurz- und Langversion über die Homepage des Instituts für Musik in der Gesellschaft – IMIG (https://imig.kug.ac.at/studium/lehramt/projektarbeit ) aufzurufen.
klassik-begeistert: Lieber Herr Professor Gritsch, ich danke ganz herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg bei dieser für die Gesellschaft so wichtigen Aufgabe.
Patrik Klein, 16. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mein Fazit nach drei Tagen kompensiertem Hochschulbesuch:
In Graz, der Hauptstadt der Steiermark hatte ich als klassik-begeistert Reporter völlig freie Hand, drei Tage lang intensiv in den Betrieb an einer großen international renommierten Kunstuniversität einzutauchen und meine Eindrücke zu sammeln.
Ich hatte Begegnungen mit bekannten Künstlern wie Joseph Breinl, Elena Pankratova, Gerrit Prießnitz, Ingo Kerkhof, Arnold Bezuyen, Ulf Bästlein, Tara Venditti, Oliver Zwarg, Bernhard Gritsch und Mardi Byers.
Mir wurde vor Ort keine Show vorgespielt, sondern man ließ mich an den vielfältigen Prozessen und Möglichkeiten teilnehmen. Man stellte mich in den Unterrichtsstunden zwar kurz vor, bat dann alle, mich einfach zu ignorieren, bestenfalls auf Fragen meinerseits zu antworten.
Nach den Besuchen von einer Liedduoklasse, einer Orchesterhauptprobe für die Oper „Die arabische Nacht“ von Christian Jost war ich in Einzelunterricht, Gruppenunterricht (Masterclass) und Teamteaching (mehrere Dozenten geben sich gegenseitig Feedback) bei verschiedenen Professoren. Es wurde mir recht schnell klar, dass hier in Graz viel Augenmerk gelegt wird auf Verantwortung übernehmen in Bezug auf die gesellschaftliche Position einer der größten Musikhochschulen Europas.
Es werden Klassenabende dramaturgisch gestaltet, die sich mit wichtigen Themen der Kultur beschäftigen, wöchentlich Klassenstunden abgehalten, bei denen Sängerinnen und Sänger lernen genau zu hören und konstruktive Kritik zu üben. Es findet ein reger Austausch zwischen den verschiedenen Lehrkräften auch institutsübergreifend statt und es gibt sogar in die Stadt Graz und ins Bundesland Steiermark hineingetragene Projekte.
Kurzum: Kunst ist in Graz Alltag und wird identitätsstiftend weitergetragen.
Report: kb besucht die KUG Teil 4 – Teamteaching klassik-begeistert.de, 15. Dezember 2024
Report: kb besucht die KUG – Teil 3 Gesangsunterricht klassik-begeistert.de, 14. Dezember 2024
Report: KB besucht die KUG Teil 1 – Liedgestaltung klassik-begeistert.de, 12. Dezember 2024