Foto © Wiener Philharmoniker
vlnr: Daniel Froschauer, Vorstand Wiener Philharmoniker; Riccardo Muti, Dirigent; Roland Weißmann, Generaldirektor ORF.
Drei Tage vor dem weltberühmten Neujahrskonzert gab der italienische Star-Dirigent Riccardo Muti gemeinsam mit dem Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer und dem ORF-Generalintendanten Roland Weißmann eine Pressekonferenz im prächtigen Hotel Imperial gegenüber vom Musikverein Wien. Ausführlich äußerte sich der routinierte Neujahrskonzert-Chef am Pult nicht nur zu Constanze Geigers Ferdinandus-Walzer – schließlich das erste Mal in der 85-jährigen Geschichte des traditionsreichen Konzerts, dass überhaupt ein einziges Werk einer Frau auf dem Programm steht.
von Johannes Fischer
Bei seinem letzten Wiener Neujahrskonzert – ganze vier Jahre ist das her, 2021 – sei er am Vorabend gleich nach dem Silvesterkonzert schlafen gegangen, kein Mitternachtschampagner, nur die krachenden Feuerwerkskörper hätten ihn wachgehalten, sagt der neapolitanische Star-Dirigent, Riccardo Muti.
Überhaupt sei das alles eine verrückte Zeit gewesen, meint auch Philharmoniker-Vorstand und Mitglied der ersten Geigen Daniel Froschauer. Nur dem Dirigenten sei es zu danken gewesen, dass dieses Konzert überhaupt stattfinden konnte – zum Höhepunkt des ersten Corona-Winters alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Musik sei aber die beste Medizin für die Seele, gerade in der heutigen Zeit braucht es dessen „Harmonie, Schönheit und Frieden,“ sagt Maestro Muti.
Eigentlich schon ein bisschen verrückt. Selbst die besten aller Top-Stardirigenten dürfen dieses Konzert mit Glück vielleicht einmal in ihrem Leben dirigieren. Muti jetzt zum siebten Mal. 1971 debütierte er mit den Philharmonikern, das sind mittlerweile auch bald 55 Bühnenjahre! So routiniert wirkt er auch, locker, eigentlich nichts Besonderes, was hier stattfindet. Mit Riccardo Muti verbindet die Philharmoniker mehr als eine besondere Freundschaft, sagte Herr Froschauer. Es sei wie Familie, ihn am Flughafen abzuholen.
Sprachlich muss man sich auf Englisch einigen, Herr Froschauer bedaure es sehr, dass er kein Italienisch könne. Ab und zu greift der Neapolitaner dennoch auf das italienische Original zurück, manche Begriffe der Italianità kann man eben nicht übersetzen. Auch nicht, wenn man über Strauß diskutiert! Musik sei immer „per la beltà, per la pace, per la gioia between people,“ sagt der Chefdirigent.
Überhaupt sei doch die Frage nach Nationalität in der Musik irrelevant. Natürlich können nicht nur die Italiener Verdi, die Deutschen Beethoven und die Österreicher Bruckner dirigieren. „Sonst gäbe es ja ganz viele Dirigenten, die überhaupt nichts dirigieren könnten, weil einfach nicht alle Länder so viele wichtige Komponisten wie Deutschland, Österreich oder Italien haben,“ sagt der Dirigent.
Kommen wir zum Highlight es Tages: Constanze Geigers Ferdinandus-Walzer. Constanze wer? So in etwa die Stimmung. Das Programm ist – wohl bemerkt – nicht erst seit gestern öffentlich: Schon Anfang Oktober wurde dieses bekannt gegeben, Der Standard nannte die erste Komponistin in der 85-jährigen Geschichte dieses musikalischen Wiener Jahresereignisses schon im Vorspann. „Wer war denn dieser Ferdinandus?“, der Dirigent stellt sich selbst eine rhetorische Frage. Das wisse er gar nicht, für die musikalische Interpretation spiele das ohnehin keine Rolle. Das sei einfach ein Name, eine Hommage, sagt Herr Froschauer.
Natürlich will Muti auch gleich von vornherein jegliche Missverständnisse aus dem Weg räumen, das sei ihm besonders wichtig: Er dirigiere dieses Werk, „weil es einfach gute Musik ist.“ Mann, Frau, das spiele für ihn bei der Wahl der Werke überhaupt keine Rolle. Er habe in Chicago seine composers-in-residence immer nur nach den Partituren ausgesucht, unter den 40 Werken das beste und nur nach der musikalischen Qualität gewählt, erst dann auf den Namen geschaut.
Ach so, und ein Sonderspezialthema hat er auch noch angerissen: Den obligatorischen, in der Wiener Musikszene doch teils sehr kritisch gesehenen Radetzky-Marsch-Applaus. „Eine Unart, die sich eingebürgert hat“, sagt ein Wiener Studienzeit-Bekannter meiner Eltern, als ich voller Stolz im Auto einst eine Radetzky-Marsch-Aufnahme mit Original Musikvereins-Geklatsche abspielte. Ganz so kritisch sieht’s Herr Muti dann wohl doch nicht: Einen „Kontrapunkt“ nannte er das alljährliche Applaus-Ritual, weil die Leute ja dauernd aus dem Takt klatschen würden. Einmalig beim Konzert 2021 war diese Stimme mal nicht dabei, das sei für ihn als Dirigenten auch eine sehr besondere Erfahrung gewesen.
Riccardo Muti ist und bleibt eben ein Dirigats-Urgestein. 53 Jahre nach seinem ersten Konzert mit den Philharmonikern wirkt die alljährliche Neujahrskonzert-Pressekonferenz für ihn fast schon wie Routine. Was er mit dem Radetzky-Marsch-Applaus-Kontrapunkt wohl sagen wollte?
Johannes Karl Fischer, 28. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2021 Musikverein Wien, 1. Januar 2021
Neujahrskonzert Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst Musikverein, Wien, 30. Dezember 2022