Wenig Schmalz, viel Kapellmeisterei: Christian Thielemann führt „Arabella“ mit chirurgischer Präzision

Richard Strauss, Arabella  Wiener Staatsoper, 13. April 2025

Christian Thielemann © Matthias Creutziger

Für die erste Vorstellung: technisch top! Dirigent Christian Thielemann beweist: 100 Prozent Kapellmeisterei. In puncto Energie bleibt viel Luft nach oben – auch wenn „Arabella“ von Richard Strauss dem Staatsopernorchester nur Smalltalk anbietet. Ein Konversationsstück mit seidenweichem Orchester-Geplätscher. Camilla Nylund und Michael Volle punkten mit enormer Präsenz, lassen aber eines vermissen: Emotion!

Arabella
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Wiener Staatsoper, 13. April 2025

von Jürgen Pathy

Der Beweis musste her: Bei der ersten Vorstellung, ohne Orchesterprobe, kann niemand groß glänzen. Christian Thielemann hat zwar alles sauber im Griff: Die Balance stimmt, kein Sänger wird zugedeckt. Die einzelnen Orchesterstimmen exzellent hervorgehoben – etwa die Oboe, die Arabella bei ihrem ersten Auftritt einführt. Etwas langatmig ist diese „Arabella“ in Summe aber geworden.

Konversation statt Klangrausch

Das liegt zum einen natürlich an der Partitur. „Arabella“ ist kein Schrei wie eine „Salome“, kein Psychodrama wie „Elektra“. Konversation dominiert, keine großen Arien, keine Amplituden nach oben, im Orchestergraben kaum etwas, das aus der Lethargie reißen könnte.

Zum anderen am etwas nüchternen Dirigat. Keine Frage: Christian Thielemann begeht nicht den Fehler, die Balance aus den Augen zu verlieren. Gefühlt ist die linke Hand im Dauereinsatz. Die Finger zappeln, die Hand wischt energisch nach außen – das heißt: „Meine Lieben, leiser, viel leiser!“ Das Operettenhafte, die Schnulze, das Schmalz blendet er komplett aus. Selbst beim Duett „Und du wirst mein Gebieter sein“ springt der Funke nicht über. Dabei hat gerade dieser Moment das Potenzial, kurz das Herz zu öffnen.

Camilla Nylund (Arabella) und Michael Volle (Mandryka) © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Nylund und Volle – Stil über Gefühl

Camilla Nylund hat als Arabella zwar viel zu sagen – überwiegend mit Stil und Substanz. Ebenso wie Michael Volle als Mandryka. Ein Edelmann ist dieser kroatische Graf, kein Raubein mit Außenseitertendenz. Kann man so interpretieren, in puncto Textverständlichkeit macht dem gewichtigen Bariton sowieso keiner etwas vor. Auf der Suche nach dem passenden Geliebten, um die in Schieflage geratenen Finanzen der Familie zu retten, wirkt das alles aber unterkühlt.

Die Fiakermilli lässt gefühlt auch keine Korken knallen. Ilia Staple setzt hier keinen Kontrast. Einzig: Michael Laurenz sticht hervor. Als Charaktertenor ist der eine Bank. Richard Wagners Loge hat er genauso intus, wie dessen David, den er mit einer gewissen List und Perfidie ausstattet. Dazu Wolfgang Bankl als Graf Waldner, der in den Händen des österreichischen Kammersängers zu einer Wucht mutiert.

Kühle Linie mit Show-Eskapaden

In Summe sauber, perfekt exekutiert. Nur: Die Emotion bleibt außen vor, Intellekt und preußische Strenge dominieren. Strauss ohne Schwelgen, Arabella ohne Herzflattern. Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung fügt sich normativ dieser Atmosphäre. Muss nicht mehr können. Goldene Art-Déco-Linien, stilisierte Hotelarchitektur, ein Hauch 30er-Jahre-Glanz. Alles passt, nichts stört.

Und doch: Die Regie erlaubt sich kurze Ausreißer. Zwischen all der gepflegten Konversation steigen halbnackte Damen in Strapsen herum, tanzen Showgirls in roten Kleidern, blitzen Brüste. Kurze Ablenkung vom Konversationskorsett – mehr Showtime als tieferer Sinn. Aber: Man ist dankbar dafür.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 14. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss Arabella Wiener Staatsoper, 13. April 2025

Richard Strauss, Arabella (1933) Deutsche Oper Berlin, 7. März 2025

CD/Blu-ray Besprechung: Richard Strauss, Arabella klassik-begeistert.de, 22. Februar 2025

8 Gedanken zu „Richard Strauss, Arabella
Wiener Staatsoper, 13. April 2025“

  1. Lieber Jürgen,
    habe die Produktion gestern leider nur in Ö 1 am Radio gehört. Wie es sich mit darüber vermittelte, war ich ziemlich enttäuscht von Camilla Nylund. Ihr fehlten die lyrischen unabdingbaren Qualitäten für diese Rolle. Keine kristallinen, silbrigen Kopfklänge, sondern stark vibrierte. Die Stimme tönt für mein Empfinden auch zu schwer und matronenhaft für die Rolle, damit würde ich eher Mutter Adelaide in Verbindung bringen.
    Wer das Glück hatte, in der Rolle Lisa Della Casa, Gundula Janowitz, Julia Varady, Kiri Te Kanawa oder Renée Fleming zu erleben, kann damit nicht zufrieden sein.
    Schade, sonst eine musikalisch schöne Aufführung. Mit Elsa Dreisig als Arabella wäre sie um Längen besser gewesen. Frau Devieilhe gefiel mir dagegen sehr gut als Zdenka.
    War die erste Aufführung mit Nylund soviel besser?

    Liebe Grüße, Kirsten

    1. Liebe Kirsten,

      nein, um es auf den Punkt zu bringen. Die erste Vorstellung war nicht deutlich besser. Dabei hatte ich mittags noch gedacht: Wer so zart intonieren kann, könnte sogar noch eine Pamina singen. Derart überrascht hat mich Camilla Nylund bei der Programmpräsentation für die Saison 2025/26. Da hat sie die Marschallin aus dem Rosenkavalier gesungen, das Terzett „Hab mir’s gelobt“. Und Abends, bei Arabella: Da war das alle futsch, das Lyrische, das Zarte.

      Liebe Grüße
      Jürgen

      1. Lieber Jürgen,
        danke für die klaren Worte! Es hat mich sehr interessiert, weil sängerische Leistungen mitunter ja sehr variieren von Vorstellung zu Vorstellung…
        Aber es wundert mich nicht, dass der erste Abend ähnliche Defizite mit sich brachte, freue mich aber zu hören, dass das Terzett aus dem „Rosenkavalier“ demnach noch recht gut gelang.
        Ich muss sagen, dass mich Nylund als Lyrische noch nie so restlos überzeugt hat, schon vor vielen Jahren nicht als Capriccio-Gräfin in Frankfurt, auch weniger als Marschallin, Elsa oder Evchen, immer vermisste ich den lyrischen jugendlichen Liebreiz. Mir tut das vor allem für sie selbst sehr leid, ich erlebe sie immer als eine sehr sympathische Sängerin.
        Deutlich besser ihre Kaiserin in der FroSch.
        Und vor allem im hochdramatischen Fach überzeugt sie mich weitaus stärker, ihre Isolde in Dresden war so ziemlich das Beste, was ich mit ihr hörte, richtig gut, da kam auch die Höhe gut rüber. Das hatte ich so nicht erhofft. Hoffentlich kann sie die Partie und die Brünnhilde, die ich mit ihr gerne auch einmal live hören würde, auf dem Niveau weitersingen.

        Liebe Grüße, Kirsten

      2. Das darf nicht verwundern. Camilla Nylund singt derzeit gefühlt jeden zweiten Tag in jedem wichtigen Opernhaus Europas, springt wenn es sich ergibt auch noch ein und singt inzwischen mit ihrem eher lyrischen Sopran auch hochdramatisches Fach. So z.B. im Herbst in Dresden Turandot. Mit fast 57 Jahren kann das nicht mehr lange gut gehen.

        Peter Sommeregger

        1. Lieber Kollege,

          Dass wir uns in der Einschätzung von Camilla Nylund nicht einig sind, ist ja nichts Neues und auch in Ordnung so. Nur finde ich, Frau Nylund kann und sollte durchaus selbst entscheiden, was sie wann und wie viel singt, vor allem, da ich sie bislang stimmlich immer makellos, mindestens überzeugend wenn nicht sogar souverän erlebt habe.

          Insbesondere die Marschallin gehört meiner Einschätzung nach zu ihren Paraderollen. Wie ich im Januar 2024 schrieb, diese Rolle braucht eine Isolde, die auch Rosalinde singen kann. Gleiches gilt für die Arabella.

          Johannes Fischer

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