Thielemann gilt zu Recht als „der“ Strauss-Dirigent unserer Zeit, aber in dieser Aufführung kann er nicht wirklich überzeugen. Seine Tempi sind eher schleppend, ein Spannungsaufbau will nicht recht gelingen. Insgesamt lastet über der Produktion die Hypothek der misslichen aktuellen Zustände. Schade!
Semperoper Dresden, Aufzeichnung der Premiere ohne Publikum vom 8. Mai 2021
Richard Strauss, Capriccio
Foto: Semperoper Dresden © Klaus Gigga
Musikalische Leitung Christian Thielemann
von Peter Sommeregger
Ursprünglich hätte diese Premiere der Auftakt für ein neues Strauss-Festival sein sollen, das Christian Thielemann in Dresden etablieren wollte. Die Corona-Pandemie hat das Festival verhindert, die „Capriccio“-Premiere wurde vor leerem Haus der Semperoper aufgezeichnet und am 22. Mai gestreamt.
Über der Aufführung liegt nun gleich mehrfach ein Schatten: Nicht nur fehlt atmosphärisch das Publikum im prächtigen Saal der Semperoper, seit zwei Wochen weiß man auch, dass Christian Thielemanns Vertrag in Dresden nicht verlängert wird. Ob man will, oder nicht: Es färbt auf die Aufführung ab, die sich leider bevorzugt in Grau- und Brauntönen als optisch wenig attraktiv erweist.
Der Regisseur Jens Daniel Herzog versucht, zwischen mehreren Zeitebenen zu wechseln. Die Entstehung des Werkes fällt in die Zeit des zweiten Weltkrieges, und diese Ebene wählt der Regisseur als Schwerpunkt, was sich letztlich nicht als gute Idee erweist. Die Atmosphäre eines französischen Salons der Barockzeit in ein bräunliches Ambiente der 1940er zu verlegen, versetzt dem Werk einen schweren Schlag, unter dem die ganze Aufführung leidet. Dass Dekorationen und Kostüme dazu noch von schlichter Einfallslosigkeit sind, macht das Resultat nicht besser.
Die ausgezeichnete Sängerbesetzung leidet unter dieser Abwesenheit von Atmosphäre ebenfalls deutlich. Die Herren schlagen sich eindeutig besser, Georg Zeppenfeld ist ein stimmlich höchst präsenter La Roche und der eigentliche Spielmacher. Christoph Pohl als Graf bringt den erforderlichen Charme für seine Rolle und seinen geschmeidigen Bariton ein. Die um die Gunst der Gräfin buhlenden Männer sind beim Tenor Daniel Behle (Flamand) mit leichtem, sicheren Tenor und dem kultiviert singenden Bariton Nikolay Borchev bestens aufgehoben.
Problematischer ist die Besetzung der beiden Frauenrollen: Christa Mayer als Clairon singt mit ihrem vollen, warmen Mezzosopran ausgezeichnet, aber das kapriziöse, divenhafte Potential ihrer Rolle bleibt sie schuldig. Für die Hauptrolle der Gräfin Madeleine war ursprünglich Anja Harteros vorgesehen, die kurzfristig durch die allgegenwärtige Camilla Nylund ersetzt wurde. Die Sopranistin füllt die Rolle stimmlich weitgehend aus, obwohl sie speziell im Schlussmonolog doch deutlich an ihre vokalen Grenzen stößt. Das eigentliche Manko ist jedoch das Fehlen von Charme, der diese Figur ausmacht. Woran sich die Verehrer der Gräfin entflammen, ist schwer nachvollziehbar. Die kleineren Rollen sind gut besetzt, speziell das italienische Sängerpaar von Tuuli Takala und Beomjin Kim liefert ein schön gesungenes Duett.
Die Balletteinlage, eigentlich nur für eine Solotänzerin (Malwina Stepien) gedacht, wird durch eine erschreckend geschmacklose, aufdringliche Choreographie verdorben. Die Personenregie Herzogs insgesamt ist eher plump, auch hier mehr Tristesse der Kriegsjahre als französischer Esprit.
Es darf nicht verwundern, dass diese Voraussetzungen auch das Dirigat Christian Thielemanns beeinflussten. Thielemann gilt zu Recht als „der“ Strauss-Dirigent unserer Zeit, aber in dieser Aufführung kann er nicht wirklich überzeugen. Seine Tempi sind eher schleppend, ein Spannungsaufbau will nicht recht gelingen. Insgesamt lastet über der Produktion die Hypothek der misslichen aktuellen Zustände. Schade!
Peter Sommeregger, 22. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Inszenierung Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild Mathis Neidhardt
Kostüme Sibylle Gädeke
Choreografie Michael Schmieder, Ramses Sigl
Die Gräfin Camilla Nylund
Der Graf, ihr Bruder Christoph Pohl
Flamand, ein Musiker Daniel Behle
Olivier, ein Dichter Nikolay Borchev
La Roche, der Theaterdirektor Georg Zeppenfeld
Die Schauspielerin Clairon Christa Mayer
Monsieur Taupe Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Eine italienische Sängerin Tuuli Takala
Ein italienischer Tenor Beomjin Kim
Der Haushofmeister Torben Jürgens
Acht Diener Frank Blümel*, Friedrich Darge*, Alexander Födisch*, Torsten Schäpan*, Norbert Klesse*, Thomas Müller*, Juan Carlos Navarro*, Jörg Reißmann*
Drei Musiker Jörg Faßmann (Violine), Tom Höhnerbach (Violoncello), Jobst Schneiderat (Cembalo)
Eine Tänzerin Malwina Stepien