La Scala streut dem „Rosenkavalier“ Rosen

Richard Strauss, Der Rosenkavalier  Teatro alla Scala, 29. Oktober 2014

Rosenkavalier © Brescia e Amisano


Kaum waren die letzten Töne des dritten Aktes verklungen, brach im prachtvollen Zuschauerraum der Mailänder „Scala“ wie ein Orkan der Jubel los – dieser galt Sängerinnen und Sängern, vor allem aber dem Dirigenten Kirill Petrenko – und von den obersten Proszeniumlogen beidseits der Bühne ergoss sich ein schier endloser Regen von Rosen und Tulpen auf die zum Schlussapplaus angetretenen Darsteller. Die Produktion der Originalfassung wurde von den Salzburger Festspielen des Jahres 2014 übernommen.

Richard Strauss
Der Rosenkavalier

Dirigent: Kirill Petrenko
Orchester und Chor des Teatro alla Scala

Inszenierung: Harry Kupfer (Wiederaufnahmeregie: Derek Gimpel)
Bühne: Hans Schavernoch

Teatro alla Scala, 29. Oktober 2014

 von Dr. Charles E. Ritterband

Der 2019 verstorbene deutsche Regisseur Harry Kupfer versetzte die in den frühen Regierungsjahren der Maria Theresia um 1740 angesetzte Handlung des „Rosenkavalier“ ins frühe 20. Jahrhundert, der Epoche des Jugendstils.
Doch der durch Waffenhandel schwer reich gewordene, geadelte Geschäftsmann Faninal stattet sein „Stadtpalais“ auf der Wieden à la Mode mit der damals hochmodernen Wiener Werkstätte aus…

Die Ausstattung ist sparsam (Bühne: Hans Schavernoch), nur fragmentarisch angedeutete szenische Elemente fahren per Drehbühne zu ihrem Standort – die Bühne dominieren die großflächigen, sehr ästhetischen und sich fast unmerklich wandelnden Schwarzweißaufnahmen in phänomenaler Bildschärfe (die Dreidimensionalität suggeriert) der prunkvollen „Kaiserstadt“ Wien, in den letzten Zügen der k.u.k.-Monarchie, unmittelbar bevor diese im Gemetzel des Ersten Weltkriegs untergeht.

Ein letztes Aufblühen von Adel, Pracht, strenger Klassentrennung und strikte eingehaltenen Formen des standesbewussten Verhaltens.

Rosenkavalier © Brescia e Amisano

Vor diesem Hintergrund kommt das perfekte Agieren der handelnden Personen und die die musikalische Vollendung von Sängerinnen und Sängern unbeeinträchtigt von barocker Kulissenpracht (wie in unzähligen anderen Inszenierungen) voll zum Ausdruck.

Das Scala-Orchester intonierte diesen „Rosenkavalier“ unter der souveränen, hochmusikalischen Leitung von Kirill Petrenko detailreich, präzis und schillernd in den Strauss’schen musikalischen Farben. Vor allem das Vorspiel – oft als die berühmteste musikalische Umsetzung sexueller Leidenschaft bezeichnet – wurde mit geradezu atemberaubender Intensität intoniert. Ungehemmt kühn die Blechbläser, ausbalanciert von sinnlich darstellenden Streichern. Das Motiv der silbernen Rose im Zweiten Akt wurde silberfein und transparent gezeichnet – so herrlich man es wohl nur selten gehört.

Die Marschallin der Krassimira Stoyanova war durchdrungen von stimmlicher Wärme und der perfekten Beherrschung der schwierigen Partitur. Kate Lindseys Oktavian war anfänglich – neben der selbstbewusst-dominanten Marschallin vielleicht doch allzu zurückhaltend, gewann aber im zweiten und vor allem im dritten Akt an stimmlicher Statur. Störend wirkte die rigoros-unsinnliche Ausstrahlung, als sie den jungen Aristokraten zu mimen hatte, vor allem in dem so sehr von Sinnlichkeit und Erotik durchdrungenen Anfang des Stücks im Schlafzimmer der Marschallin. Da ging darstellerisch doch einiges verloren, was durch die Musik hätte suggeriert werden können.

Entzückend und stimmlich sprühend die Sophie der Sabine Devieilhe, von berührender Schönheit und Subtilität die Duette mit Oktavian, das vorsichtige Herantasten an die für sie völlig neuen Gefühle der Zuneigung, stets schwankend zwischen Hingabe und Selbstschutz. Sehr plastisch brachte sie ihr Dilemma zwischen glühender Erwartung des arrangierten Ehemanns und der abgrundtiefen Enttäuschung über dessen Verhalten zum Ausdruck.

Rosenkavalier © Brescia e Amisano

Mit gehörigem Schmalz gab Piero Pretti den italienischen Sänger – eine von Strauss zweifellos augenzwinkernd eingebrachte parodistische Figur, mit der er sich über italienische Schmachtfetzen lustig machen wollte. Und um beim Humor zu bleiben: Der großartige Günther Groissböck gab den grobschlächtigen Landjunker mit polterndem Bass und auf die Spitze getriebener Insensibilität für die zarte, unerfahrene, naive aber doch recht instinktsicher handelnde Sophie.

Eine denkwürdige Aufführung – die Salzburger Inszenierung hat den Transfer in das prachtvolle Mailänder Opernhaus perfekt vollzogen.

Und die Verbindung zwischen dem Rosenkavalier, Maria Theresia und der Scala ist historisch: Denn Maria Theresia war ja 1778 die Bauherrin dieses Opernhauses (die Lombardei gehörte bis 1859 zum österreichischen Kaisertum).

Dr. Charles E.  Ritterband, 29. Oktober 2024, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg: Krassimira Stoyanova
Der Baron Ochs auf Lerchenau: Günther Groissböck
Oktavian (Quinquin): Kate Lindsey
Herr von Faninal: Michael Kraus
Sophie: Sabine Devieilhe
Italienischer Sänger: Piero Pretti
Jungfer Marianne Leitmetzerin: Caroline Wenborne
Valzacchi: Gerhard Siegel
Annina: Tanja Ariane Baumgartner

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