Ricarda Merbeth ist einfach nicht verrückt genug für die Rolle der Elektra

Richard Strauss, Elektra,  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 27. Januar 2019

Foto: Ricarda Merbeth  © Mirko Jörg Kellner
Staatsoper Unter den Linden, Berlin
, 27. Januar 2019
Richard Strauss, Elektra
Daniel Barenboim
, Dirigent
Patrice Chéreau, Inszenierung
Richard Peduzzi, Bühne
Ricarda Merbeth, Elektra
Waltraud Meier, Klytämnestra
Vida Miknevičiūtė, Chrysothemis
René Pape, Orest

von Yehya Alazem

Mit „Elektra“ begann eine der besten Zusammenarbeiten zwischen Librettist und Komponist in der Operngeschichte – Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wurden ein Dream Team. Mit seiner vierten Oper ging Richard Strauss an die Grenze seiner musikalischen Schaffenskraft. „Elektra“ wurde sein expressionistischstes Werk, er sollte danach keine Musik mehr schreiben, die so atonal und experimentell war.

Das Thema der Psychoanalyse von Siegmund Freud war in der Zeit der Komposition sehr aktuell, die Uraufführung lief am 25. Januar 1909 an der Dresdner Hofoper. In „Salome“ und „Elektra“ wollte Strauss durch seine Titelheldinnen das Verflossene und das Unterbewusstsein des Menschen herausstellen.

Die Inszenierung der „Elektra“ von Patrice Chéreau an der Staatsoper Unter den Linden, die ihre Berliner Premiere im Oktober 2016 feierte, geht vom psychologischen Kern des Dramas aus. Die Inszenierung ist zeitlos, etwas minimalistisch aber sehr überzeugend.

Der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Daniel Barenboim leitet die Staatskapelle Berlin mit solider Hand. Barenboim lässt die Sänger atmen und die Stimmen über das Orchester frei fließen. In den schönen, tonalen Passagen spielen die Musiker unglaublich angenehm, und in den dramatischen und atonalen Stellen verliert das Orchester nie die Präzision und Transparenz.

Waltraud Meier, die die Rolle der Klytämnestra in den letzten Jahren sehr oft gesungen hat, zeigt, dass sie immer noch mit ihrer Stimme begeistern kann. Die böse, hässliche Ausdruckskraft und die atonalen Linien gelingen ihr souverän. Sie zeichnet sich durch eine fantastische Textbehandlung und Sinn für Dramatik aus. Wie sie „Ich habe keine guten Nächte“ im Dialog mit Elektra ausdrückt – das war eine Klasse für sich.

Die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė singt eine sehr gute Chrysothemes. Ihre Stimme ist sowohl angenehm als auch elegant und hat auch eine durchdringende Kraft. Sie liefert eine schöne Darstellung der Chrysothemes. René Pape singt einen hervorragenden Orest. Sein Klang ist tief und solide und hat eine sonore Ausdruckskraft. Er strahlt eine wunderbare Barmherzigkeit gegenüber Elektra aus, und darstellerisch ist er auch sehr überzeugend.

Als die Titelheldin tritt Ricarda Merbeth anstelle von Evelyn Herlitzius auf. Die Elektra hat sie im November 2018 im Teatro alla Scala in Mailand gesungen, und die Erwartungen vor dieser Elektra-Aufführung waren schon ziemlich hoch. Merbeth erfüllt diese Erwartungen rein musikalisch, es fehlt ihr aber das Psychologische.

Vom ersten Monolog an meistert sie die Partie. Sie hat die Durchschlagskraft einer dramatischen Sopranistin, und ihre Töne, auch wenn sie leise singt, erfüllen den Raum. Aber die Rolle der Elektra verlangt ein bisschen mehr. Merbeth hat die Stimme und besitzt eine solide Technik, aber: der Charakter der Elektra fehlt ihr ein wenig. Sie ist einfach zu „normal“ und „freundlich“ in ihrem Gesang, obwohl sie dramatisch überzeugend ist. Merbeth ist einfach nicht verrückt genug für diese Rolle.

Yehya Alazem, 31. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de

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