Bild: Illustration zu „Enoch Arden“ von Gleeson White in „The Leisure Hour“ (1864)
Richard Strauss’ selten aufgeführtes Melodram „Enoch Arden“ mit Brigitte Fassbaender in Lübeck – eine Vorankündigung
von Dr. Regina Ströbl
Schon als Schüler schrieb der Engländer Alfred Tennyson (1809 – 1892) Gedichte. Sein Studium in Cambridge brach er ab, schlug sich irgendwie durch und erlebte seinen großen Durchbruch 1850 mit dem Gedicht „In Memoriam“.
Nach der Ernennung zum Poet Laureate durch Queen Victoria wurde er Mitglied in verschiedenen Royal Societies und schließlich Baron und Peer mit Anrecht auf einen Sitz im House of Lords. So avancierte er zu einem der bekanntesten Männer des Landes seiner Zeit. In seinem umfangreichen Œuvre verarbeitete er Themen der englischen Mythologie, wobei er sich verschiedener Kunstströmungen des 19. Jahrhunderts bediente.
Sein Klagegedicht „In Memoriam“ nun war seinem Jugendfreund Arthur Hallam gewidmet, der, mit Tennysons Schwester verlobt, bereits mit 22 Jahren starb. Beide Männer waren Mitglieder der Cambridge Apostles, einem Debattierclub aus den 12 begabtesten Studenten des Colleges; die beiden waren in inniger Freundschaft verbunden. Hallams Tod erschütterte Tennyson nachhaltig; er zog sich vier Jahre komplett zurück.
Für die Fertigstellung von „In Memoriam“ brauchte er 17 Jahre. Auch andere seiner Werke sollen von dem Verlust beeinflusst sein, so möglicherweise auch die Ballade „Enoch Arden“, erschienen 1864, bei der es um eine Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern, die dieselbe Frau lieben, geht. Der Verweis, dass die Handlung auf die Geschichte von Tennyson, seiner Schwester und Hallam anspielt, ist aufgrund der anderen Konstellation nicht logisch.
Enoch Arden und sein Freund, der Müllersohn Philipp Ray, sind seit Kindertagen in Annie Lee verliebt. Sie heiratet schließlich den forschen Enoch, der als Fischer seine Familie ernährt. Nach einem Unfall für diese Arbeit unfähig, heuert er daher bei einem Handelsschiff an. Das Schiff verunglückt auf der Rückfahrt von China und gemeinsam mit zwei Gefährten, die allerdings schon nach kurzer Zeit dort sterben, erreicht er eine rettende Insel.
Erst mehr als 10 Jahre später wird er durch ein anderes Schiff gerettet und gelangt wieder in seinen Heimatort. Philipp, inzwischen wohlhabender Müller, hatte bereits die Ausbildung von Enochs Kindern bezahlt; nun endlich gibt ihm auch Annie, die all die Jahre auf die Rückkehr ihres Mannes gehofft hatte, ihr Ja-Wort. In dieses Familienidyll, das Enoch durch ein Fenster betrachtet, will der Heimgekehrte nicht eindringen. So stirbt er, ohne sich erkennen zu geben, einsam an gebrochenem Herzen.
Dieser Stoff drängt sich für die Bühne geradezu auf und wurde vielfach und in unterschiedlicher Weise rezipiert. So basieren verschiedene prominent besetzte Hollywoodkomödien auf diesem Stoff, ernsthaft setzt ihn der Komponist Ottmar Gerster (1897 – 1969) in seiner Oper „Enoch Arden oder der Möwenschrei“ um. Gerster, ein sich dem jeweiligen Regime, NS-Zeit und DDR-System, äußerst geschmeidig anpassender Komponist, schrieb eine eher traditionelle Musik zu dem Drama, dessen Handlung er leicht variierte. Das selten gespielte Werk war zuletzt 2022 in der Wiener Kammeroper zu hören, Eindrücke dieser Aufführung sind auf YouTube.com abrufbar.
Weitaus bekannter ist die Umsetzung der Ballade durch Richard Strauss, der aus der Vorlage ein Gedicht für Sprechstimme und Klavier kreierte. Dieses Jugendwerk von 1897 – Strauss war gerade knapp über 30 Jahre alt – ergab sich aus der Zusammenarbeit mit dem gefeierten Schauspieler Ernst von Possart (1841 – 1921). Dieser war seit 1893 Generaldirektor und Intendant der königlichen Hoftheater und Förderer des jungen, aufstrebenden Komponisten. Als Dank für die hilfreiche Unterstützung entstand dieses Werk, mit dem die beiden Künstler in den Folgejahren vielerorts mit großem Erfolg auftraten. Später kam ein zweites Melodram, „Das Schloß am Meer“, dazu.
In der Folge nahmen viele Schauspieler die Lesung mit Klavierbegleitung auf, darunter Claude Rains, Michael York und Bruno Ganz. Auch Sänger wie Jon Vickers und Dietrich Fischer-Dieskau haben sich des Melodrams angenommen, letzterer gleich mehrfach.
Brigitte Fassbaender, die schon als erste Frau alle drei Schubert-Liedzyklen aufgenommen hat, führte das Werk im Rahmen der Hugo-Wolf-Akademie ebenfalls als erste Frau 2019 in Stuttgart auf. Nachhören lässt sich das auf
YouTube.com: https://www.youtube.com/watch?v=V80kXekNTGw (Teil 1) und https://www.youtube.com/watch?v=TfTzJJTqTOI (Teil 2).
Derzeit inszeniert Brigitte Fassbaender am Theater Lübeck Richard Strauss’ „Elektra“. Wenige Tage vor der Premiere am 27. Januar wird sie im Rahmen eines Künstlergesprächs gemeinsam mit GMD Stefan Vladar dieses Werk zur Aufführung bringen. Sie ist von „Enoch Arden“ seit langem fasziniert und liebt die auch in der Übersetzung so poetische Sprache. Da das gesamte Stück mit einer Länge von ca. 90 Minuten für den Abend mit anschließendem Gespräch zu lang gewesen wäre, hat die Sängerin das Stück eigenhändig und „schweren Herzens“, wie sie im Gespräch verriet, eingekürzt. Zu erleben ist dieser hochspannende und hochkarätig besetzte Abend mit diesem selten aufgeführten Melodram am 24. Januar 2024 um 19.30 im Großen Haus des Theaters Lübeck.
Dr. Regina Ströbl, 16. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ungeliebte Opern 3: Arabella von Richard Strauss klassik-begeistert.de, 5. Januar 2024
Richard Strauss, „Elektra” Wiener Staatsoper, 20. Dezember 2023
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 19. Dezember 2023