Wenn Richard Strauss Asmik Grigorians stimmlichen Ausbrüche hätte hören und sehen können, er wäre auf die Knie gefallen und er hätte sie geliebt. Diese Stimme braucht für die Rolle eine Farbpalette von Tönen, die von Dur in Moll wechseln können, vom Fortissimo ins sanfteste Pianissimo (erschütternd und sinnlich am Ende „du hättest mich geliebt“). Es braucht eine dramatische Stimme, die über das volle Orchester singen kann, und doch soll Salome ja eine junge Frau von ungefähr 16 Jahren sein. All das bringt diese Salome mit. Als Zuhörerin konnte ich mitfühlen, wie dieses arme verstörte Mädchen endlich aus ihrem eiskalten, nach aussen gerichteten Elternhaus ausbrechen möchte und ihre tiefe Liebe einem besonderen Menschen schenken möchte, der sie aber ablehnt und brüskiert.
Salome © Monika Rittershaus
Richard Strauss | Salome
Musikdrama in einem Akt (1905)
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Dramaturgie: Tatiana Werestchagina, Janina Zell
Herodes – John Daszak
Herodias – Violeta Urmana
Salome – Asmik Grigorian
Jochanaan – Kyle Ketelsen
Page – Jana Kurucová
Narraboth – Oleksiy Palchykov
Erster Jude – James Kryshak Zweiter Jude – Florian Panzieri Dritter Jude – Daniel Kluge Vierter Jude – Andrew Dickinson Fünfter Jude – Hubert Kowalczyk Erster Nazarener – Alexander Roslavets Zweiter Nazarener – Nicholas Mogg Erster Soldat – David Minseok Kang Zweiter Soldat – Karl Huml
Staatsoper Hamburg, Großes Haus, 8. November 2023
von Iris Röckrath
Wie soll ich über eine Aufführung schreiben, dich mich emotional so enorm berührt hat? Der intensive Eindruck des Abends lässt mich auch am folgenden Tag schwer in die Normalität finden.
Zur Vorbereitung habe ich das Programmheft der Staatsoper studiert und eine chronologische Auflistung der Inszenierungen gefunden, die seit 1907 in Hamburg gespielt wurden. Zu lesen, dass mein Vater Hans Böhm in der Premierenbesetzung 1955 den 3. Juden unter der Leitung von Leopold Ludwig und neben Hermann Prey gesungen hat, hat mich mit Stolz erfüllt.
Die Einführungsveranstaltung im 2. Rang Foyer wurde vom Publikum sehr gut angenommen. Der Raum war bis auf den letzten Stehplatz gefüllt mit interessierten Opernbesucher und -besucherinnen. Danke an die Dramaturgin Janina Zell, die mit klaren einfachen Worten das Drama nach dem Schauspiel von Oscar Wilde zusammenfasste und die Neugierde der BesucherInnen auf die spannende Musik von Richard Strauss und die familiären Verstrickungen und Abgründe von Salomes Familie wecken konnte.
Über die Inszenierung wurde viel geschrieben nach der Premiere. Die von mir am 8. November besuchte Vorstellung ist bereits die vierte in der Reihe und die erste Nervosität der Mitwirkenden dürfte sich gelegt haben.
Ich habe eine phantastische Aufführung erleben dürfen. Die Geschichte der jungen Frau hat mich maximal ergriffen. Nie zuvor sind mir die familiären Verstrickungen, so vor Augen geführt worden, was an der stimmigen Inszenierung, an der schauspielerischen Leistung der Mitwirkenden, den schrillen Kostümen und natürlich an der erstklassigen Besetzung lag.
Allen voran die Salome der Asmik Grigorian, deren stimmliche und darstellerische Qualitäten sich kaum mit Worten beschreiben lassen. Sie verkörpert die Rolle der Salome voller Leidenschaft, Trotz, Wut, Enttäuschung und man spürt ihre Einsamkeit. Asmik Gregorian breitet ihre riesige Gefühlswelt gesanglich wie darstellerisch vor dem Publikum spürbar aus.
Wenn Richard Strauss ihre stimmlichen Ausbrüche hätte hören und sehen können, er wäre auf die Knie gefallen und er hätte sie geliebt. Diese Stimme braucht für die Rolle eine Farbpalette von Tönen, die von Dur in Moll wechseln können, vom Fortissimo ins sanfteste Pianissimo (erschütternd und sinnlich am Ende „du hättest mich geliebt“). Es braucht eine dramatische Stimme, die über das volle Orchester singen kann, und doch soll Salome ja eine junge Frau von ungefähr 16 Jahren sein. All das bringt diese Salome mit. Als Zuhörerin konnte ich mitfühlen, wie dieses arme verstörte Mädchen endlich aus ihrem eiskalten, nach aussen gerichteten Elternhaus ausbrechen möchte und ihre tiefe Liebe einem besonderen Menschen schenken möchte, der sie aber ablehnt und brüskiert.
Dieser andere Mensch, der „sanfte, heilige“ Mann aus der Wüste, heisst Jochanaan und will lieber predigen, als sich mit der Tochter von Herodias abzugeben. Noch nicht einmal ansehen soll sie ihn. Kyle Ketelsen hat mich stimmlich mitgenommen in seine eigene Welt. Seine Predigten strömten mit Wärme, Überzeugung und Klarheit in den Zuschauerraum. Die besondere Herausforderung, häufig mit dem Rücken zum Publikum zu sitzen und ins OFF zu singen, meisterte er mit Bravour.
John Daszak als Herodes hat alles gegeben, einen überzeugenden, reichen, mächtigen, lüsternen, entsetzten Stiefvater zu singen und zu spielen. Die Rolle hat er glaubhaft gemeistert.
Sein Weib, Herodias, gesungen von Violeta Urmana, scheint nicht wirklich zum Familienfrieden beitragen zu wollen. Sie zickt mit ihrem Mann stimmlich herum und feuert ihre Tochter an, den Kopf des Jochanaan einzufordern. Was kein Wunder ist, da der ja vieles über sie weiß und preisgibt.
Der einzige Mensch, der Salome bewundert, Narraboth, sehr beseelt mit feiner Tenorstimme gesungen von Oleksij Palchykow, bringt sich lieber um, als das Drama bis zum Ende miterleben zu müssen.
Das Philharmonische Staatsorchester durfte mit ca 100 Musikern die ganze Palette an Schattierungen und Orchestertechniken zeigen. Die „Elfenklänge, als wären sie von Mendelssohn“, die Strauss in seinen Zehn Goldenen Regeln für Dirigenten empfahl, haben mich allerdings nicht ganz erreicht und dennoch stellten sich Gänsehautmomente ein, insbesondere in der Szene, in der Salome auf die Hinrichtung Jochanaans wartet.
Als der letzte Akkord verklungen war, war mein spontaner Gedanke: das muss ich unbedingt nochmal erleben. Leider sind die nächsten Vorstellungen schon ausverkauft.
Tipp: auf ARTE gibt es bis zum 27. April 2024 den Premieren Livestream zum Nachhören und -sehen.
Iris Röckrath, 11. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Salome Staatsoper Hamburg, 29. Oktober 2023
Richard Strauss, Salome Wiener Staatsoper, 2. Februar 2023 Premiere
Salome, Richard Strauss, Theater an der Wien, 25. Januar 2020
Liebe Frau Röckrath,
Vielen Dank für Ihren Rückblick auf Salome. Ich habe zwei Vorstellungen erlebt und durch Ihre Worte ist alles noch einmal lebendig geworden.
Gestern Abend habe ich in Hamburg Don Carlos gehört. Hier meine Empfehlung an alle „Klassik begeistert“ Leser. Es war sensationell und es gibt noch viele Karten für die nächsten 4 Vorstellungen.
Herzliche Grüße
Berthold Knicker