Wiener Staatsoper: Michael Boder lässt eine triumphale "Salome" spielen

Richard Strauss, Salome,  Wiener Staatsoper, 25. April 2019

Foto: Markus Marquardt als Jochanaan, Gun-Brit Barkmin als Salome
© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Richard Strauss, Salome
Wiener Staatsoper, 25. April 2019

Michael Boder, Dirigent
Boleslaw Barlog, Regie
Jürgen Rose, Ausstattung

Gun-Brit Barkmin, Salome
Markus Marquardt, Jochanaan
Herwig Pecoraro, Herodes
Jane Henschel, Herodias
Jörg Schneider, Narraboth
Ulrike Helzel, Page
Thomas Ebenstein, Erster Jude
Peter Jelosits, Zweiter Jude
Carlos Osuna, Dritter Jude
Benedikt Kobel, Vierter Jude
Sorin Coliban, Fünfter Jude
Alexandru Moisiuc, Erster Nazarener
Manuel Walser, Zweiter Nazarener
Woflgang Bankl, Erster Soldat
Ayk Martirossian, Zweiter Soldat
Jens Musger, Ein Cappadocier
Thomas Köber, Ein Sklave

von Jürgen Pathy

Die Erfahrung, dass „die Liebe bitter schmecke“ ist bestimmt nicht nur der judäischen Prinzessin Salome widerfahren. Doch intensiver, berauschender und mitreißender als in Richard Strauss‘ Musikdrama „Salome“ wurde diese Erkenntnis bestimmt noch nicht reflektiert.

Basierend auf der gleichnamigen Dichtung Oscar Wildes zählt dieses Psychodrama rund um Dekadenz, Ekstase und Perversion zum Kernrepertoire eines jeden Opernhauses. Zumindest jener Häuser, die in der Lage sind, die enorm anspruchsvolle Titelpartie akzeptabel zu besetzen, die laut Maria Wittich – der Sängerin der Uraufführung 1905 in Dresden – unsingbar ist.

An der Wiener Staatsoper bereits zum wiederholten Male eine sinnliche und zugleich dämonische Salome gibt Gun-Brit Barkmin, 48. Die Femme fatale, die infolge tiefster seelischer als auch körperlicher Verletzungen letztendlich zum männermordenden Vamp mutiert, scheint der gebürtigen Rostockerin zumindest darstellerisch auf den Leib geschneidert worden zu sein.

Ob sinnliche Verführungskunst, trotzige Göre oder berechnender Jähzorn, jede Gefühlslage des missbrauchten Mädchens Salome wirkt äußerst glaubwürdig. Vereinzelte Abstriche in puncto Gesang gilt es in Anbetracht der schwierigen Partie anscheinend in Kauf zu nehmen. Vor allem der fehlenden Fülle und des vermissten Schmelzes des Schlussgesangs wegen wirkt dieses atemberaubende Werk ein wenig seines eruptiven Höhepunkts beraubt.

Berücksichtigt man aber das solide Gesamtpaket aus deutlicher Diktion, regelmäßig aufblitzender Dramatik und überzeugender Schauspielkunst, sind diese Versäumnisse in Gun-Brit Barkmins Darbietung halbwegs zu verkraften.

Zumindest den Herrn an der Soloflöte scheint der erotische Tanz noch rechtzeitig aus seinem abendlichen Schlummer zu erwecken, ihn aus seinem Sitz zu reißen, um seinen Einsatz mit Ach und Krach noch irgendwie hinzubiegen.

Und den lüsternen Herodes ebenso, dessen Sabber sich in Strömen aus dem Mund eines altbekannten Ensemblemitglieds zu ergießen scheint: Herwig Pecoraro, 62, und kein bisschen leise! Ein unangenehmer Tetrarch der Extraklasse. Jedes Haus darf sich glücklich schätzen, einen Charaktertenor seiner Qualität im Ensemble zu wissen.

Optisch und stimmlich ganz der schmierige Stiefvater, der den Missbrauch an seiner Stieftochter Salome mit den Worten „Vielleicht habe ich Dich zu sehr geliebt“ unmissverständlich klarmacht. In seiner Ausdrucksweise unheimlich wortdeutlich, klar, und noch immer ohne jegliche Mühe, das voluminöse Orchester zu durchbrechen.

Sollte der gebürtige Bludenzer Ende nächster Saison seine Karriere wirklich an den Nagel hängen, wird sich der designierte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić ordentlich ins Zeug legen müssen, um einen annähernd überzeugenden Mime oder Herodes ans Haus zu schaffen. Beides Partien, die nicht unbedingt durch Schöngesang punkten müssen, sondern durch eine markante, keifende Stimme, die verdeutlichen soll, welch zwielichtige Gestalten sich gerade auf der Bühne herumtreiben.

In der Partie seines Weibes Herodias hat Jane Henschel, 67, ihren Zenit bereits weit überschritten. Primäre Anforderungen an diese „Brüllpartie“ wie Wortdeutlichkeit und Durchschlagskraft lässt die amerikanische Mezzosopranistin leider vermissen. Den Abend rettet sie mit ihrer bitterbösen Darstellung als hämisch lachendes Weib, die ihrem Angetrauten nur jedes Unheil dieser Welt vergönnt.

Mit ganz anderen, in der Oper primären Qualitäten punktet Jörg Schneider, 50, als Hauptmann Narraboth, der in Anbetracht der unerwiderten Liebe zu Salome seinem Leben ein jähes Ende setzt: Zauberhaft suggestive Farben und eine feine Phrasierung trotz schwieriger Taktwechsel bereiten dem österreichischen Tenor absolut keine Probleme.

Die Stimme des Joachanaan hingegen kämpft den ganzen Abend über nicht nur gegen Salome, die in einer Tour nur seinen Mund küssen möchte, auch die Zisterne scheint zu tief und das Orchester über weite Strecken zu breit. Überhaupt stellt diese Partie, die abwechselnd lyrisch und gewaltig klingen sollte, den deutschen Bariton Markus Marquardt, 49, vor teils unüberwindbare Hürden. Kein Wunder, dass sein Kopf auf dem Silbertablett landet.

Ulrike Helzel als Page wirkt etwas unscheinbar. Das schwierige Judenquintett – beinahe eine Oper in der Oper –, angeführt von Thomas Ebenstein, hinterlässt einen starken Eindruck.

Den Trumpf aus dem Ärmel zieht aber Michael Boder, 60: Wer das beileibe nicht einfach zu dirigierende Staatsopernorchester, ein äußerst selbstbewusstes Ensemble mit seinen Eigenheiten und Star-Allüren, derart farbenprächtig, differenziert und atemberaubend durch eine „Salome“ zu (ver)führen vermag, der hat sich sein Lob verdient.

Mögen zwar nicht alle Sänger überzeugt haben, die Titelpartie allzu selten zu Gänsehaut gerührt haben, solange zumindest das Orchester einen derart aufwühlenden Ritt durch alle Emotionen bescheren kann, lautet das versöhnliche Resümee: „Selbst, wenn die Liebe bitter schmecke… Allein was tut’s? Was tut’s?“

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 26. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

2 Gedanken zu „Richard Strauss, Salome,
Wiener Staatsoper, 25. April 2019“

  1. In der sehr interessanten Rezension vermisse ich die Erwähnung des Ersten Nazareners, der wahrscheinlich nicht zufrieden stellen konnte. Diese nicht sehr umfangreiche Rolle gehört von einem der ersten Bassisten des jeweiligen Hauses mit großer Bühnenerfahrung verkörpert. Bei seinem Auftritt muss das Publikum für kurze Zeit alles andere vergessen, Herodes, Herodias, ja sogar Salome.

    Lothar Schweitzer

    1. Grüß Gott, Herr Schweitzer!

      Ehrliche Antwort: Ich habe mich zu sehr auf die erwähnten Protagonisten konzentriert, sodass Alexandru Moisiuc etwas unter meinem Radar geflogen ist.

      Jürgen Pathy

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