Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 27. September 2019
Richard Strauss, Salome
von Andreas Martel
Am Beginn dieses Abends betritt Staatsoperndirektor Dominique Meyer selbst die Bühne, um anzukündigen, dass die vorgesehene Debütantin – die lettische Sopranistin Aušrine Stundyte, die zuletzt auch in Berlin die Salome gegeben hatte – leider krankheitsbedingt ausfällt. Doch man hat für grandiosen Ersatz gesorgt, denn niemand Geringeres als Camilla Nylund wird angekündigt und schon erklingen die ersten „Bravo-Rufe“. Diese verdiente sich Nylund auch im Laufe des Abends redlich.
Als Meyer sich zurückzieht und der Vorhang sich hebt, kommt das altbekannte wundervolle Jugendstilbühnenbild von Jürgen Rose zum Vorschein, das einen sofort in die künstliche Welt zwischen Orient und Wiener Fin de Siècle entführt. Hier kann der liebestolle Narraboth von Lukhanyo Moyake mit strahlender Stimme und Bühnenpräsenz überzeugen. Man sieht sein inneres Ringen deutlich, nur leider sieht man dann genauso deutlich, wie unbeholfen er seines Bühnentodes stirbt.
Margaret Plummer als Page stellt mit ihrer klaren, leichten Stimme einen erfrischenden Kontrast zum schwärmerischen Narraboth dar. Dies gelingt ihr auch szenisch hervorragend, denn sie bricht immer wieder aus Konstellationen hervor, um vor dem unvermeidlichen Ende zu warnen.
Als Nylund auf die Bühne stürzt, wird bald klar, woran dieser Abend kranken wird, denn schon in ihren ersten Takten wird ihr Enthusiasmus vom Orchester ausgebremst. Irgendwie kämpfen das Orchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies und die Sängerinnen und Sänger der Salome an diesem Abend gegeneinander.
Dennis Russell Davies scheint sich in der Rolle des überfürsorglichen Orchestervaters zu gefallen, der zwar stets die Kontrolle über das Geschehen zu bewahren versucht, dem es aber nicht gelingt, auf die Bedürfnisse der SängerInnen einzugehen. Er schafft zwar Klang und Atmosphäre in den Teilen, in denen das Orchester dominieren darf – so ist zum Beispiel die Spannung greifbar, wenn Jochanaan geköpft wird – allerdings scheint er auch an Stellen nicht nachgeben zu wollen, wo man es sich im Publikum wünschen würde. Damit deckt der überfürsorgliche Orchestervater seine Sangeskinder mit einer Klangdecke zu, die einige von ihnen ersticken lässt.
So viel zum Klang der Philharmoniker an diesem Abend. Mit dem agogischen Mut verhält es sich ähnlich. Das Judenquintett ist tosend, schwer und bedrohlich, klangvoll und voluminös, es fehlt aber der zickige, zeternde und akzentuierte Charakter, der diesen Teil der Oper ausmacht. Wenn Nylund später den roten Mund des Jochanaan besingt, wird aus ihren stürmisch-drängenden musikalischen Impulsen, die man im Publikum spürt, letztlich doch nur zäher Pathos, denn Davies scheint durch seine Tempi und die überbordende Dynamik genau das vom Orchester und den SängernInnen zu verlangen. Leichtigkeit fällt ihm an diesem Abend schwer. Wieder zeigte sich hier die Souveränität von Nylund, die sich ihrem Schicksal fügte und mit gewaltiger Tragkraft, und überwältigender Eleganz sang und die wenigen Gelegenheiten, die ihr das Orchester zu filigranem Klang bot, voll ausnützte.
Die ersten Klänge aus der Zisterne kündigen die mahnende Stimme des Jochanaan an und machen Lust auf mehr, doch dessen Auftritt enttäuscht. Paradoxerweise glänzt Alan Held nämlich eher in den Passagen seiner szenischen Abwesenheit. Dies hat nichts mit seinem Spiel zu tun, das durchaus glaubwürdig ist: Er stellt den Jochanaan als zerzausten, mitgenommenen Propheten dar, der selbst oft von seinen eigenen Prophezeiungen überrascht zu sein scheint. Das Problem mit dem Täufer an diesem Abend ist vielmehr stimmlicher Natur. Er wirkt müde und ist vor allem in der hohen Lage den Anforderungen der Partie und des Orchesters nicht gewachsen. Ihn hört man besser aus dem Off, sobald es die Strauss‘sche Instrumentation zulässt.
Jörg Schneider gibt einen genialen Herodes; einen bequemen, wollüstigen Lebemann, dem es aus reiner Sucht nach neuen Reizen nach seiner Stieftochter zu gelüsten scheint. Er beweist an diesem Abend stimmliche Vielseitigkeit und Ausdruckskraft, fällt aber genauso durch sein schönes, helles Timbre auf und kann sich gut über den Fluten des Orchesters halten.
Dies gelingt auch Linda Watson in ihrem Rollendebüt als Herodias streckenweise sehr gut. Sie ist wie immer dramatisch, praktisch, gut und auch sie schafft es, einzelne helle Spitzentöne gleich Sternen durch die Klangwolken des Orchesters blitzen zu lassen. Ein szenisches Highlight stellen ihre Intermezzi mit Schneider während des Schleiertanzes dar. Hier helfen die beiden Nylunds Salome sehr, da man im Publikum gebannt die Zwistigkeiten zwischen den Eheleuten beobachtet und die leichte Unbeholfenheit der Tänzerin gerne und wohlwollend übersieht.
Szenisch wirkt dann die Salome der Wiener Staatsoper an diesem Abend nicht wie eine vielerprobte und bewährte Publikumsattraktion, sondern vielmehr wie eine öffentliche Orchesterhauptprobe. Dies mag natürlich auch an der plötzlichen Erkrankung der Hauptdarstellerin liegen, auf deren Cues sich vielleicht auch das Restensemble verlassen hatte.
Für unfreiwillige Komik sorgte etwa der Moment, in dem Salome „Ich bin bereit, Tetrarch“ rief, um anzukündigen, dass sie ihren Schleiertanz jetzt aufführen könne. Dies geschah nämlich aus dem Off und wirkte so, als hätte Nylund aus der Umkleide auf die Bühne gerufen, was auch zu vereinzeltem Gelächter im Publikum führte. Wie die Inszenierung mit Stundyte wirken wird, bleibt abzuwarten.
Andreas Martel, 29. September 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dennis Russell Davies, Dirigent
Boleslaw Barlog, Regie
Jürgen Rose, Ausstattung
Jörg Schneider, Herodes
Linda Watson, Herodias
Camilla Nylund, Salome
Alan Held, Jochanaan
Lukhanyo Moyake, Narraboth
Margaret Plummer, Page
Micahel Laurenz, Erster Jude
Peter Jelosits, Zweiter Jude
Carlos Osuna, Dritter Jude
Benedikt Kobel, Vierter Jude
Sorin Coliban, Fünfter Jude
Alexandru Moisiuc, Erster Nazarener
Hans Peter Kammerer, Zweiter Nazarener
Marcus Pelz, Erster Soldat
Dan Paul Dumitrescu, Zweiter Soldat
Hiro Ijichi, Ein Cappadocier
Alejandro Pizarro-Enriquez, Ein Sklave