Siegfried © Monika Rittershaus
„Siegfried“ als Höhepunkt des „Rings“ mit einer herzerfrischenden Titelheld-Deutung!
Richard Wagner (1813 – 1883)
„Der Ring des Nibelungen“
In deutscher Sprache mit Übertiteln
Libretto vom Komponisten
Uraufführung 1876 in Bayreuth
Opernhaus Zürich, 18., 20., 24. und 26. Mai 2024
von Dr. Bianca M. Gerlich
Die Oper Zürich hat eine kluge Wahl getroffen, als sie das berühmte Paar des „Rings“ mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt besetzt hat. Beide debütierten in ihren Rollen, der Erwartungsdruck war hoch. Mit Bravour und neuer Rolleninterpretation ist dieser „Ring“ nun auch ihr „Ring“ geworden, denn sie haben dieser Aufführung ihren Stempel aufgedrückt.
Camilla Nylund ist als „Brünnhilde“ ein Ereignis! Diese Rolle sang sie einfach herrlich, die Höhen waren sicher, die Stimme schlank und dabei strahlend, zudem verständlich, wobei sie sich von der „Walküre“ bis zum Ende der „Götterdämmerung“ steigerte. Ihr Schlussgesang, kraftvoll und ausdrucksstark, ist ihre Glanznummer, gerade aber auch das lange Duett mit Siegfried im dritten Aufzug des „Siegfried“ wurde zum Erlebnis.
Oft ist es gefühlt eine Ewigkeit lang, aber hier ist es dank der beiden Sänger und der liebevollen Gestaltung nicht nur kurzweilig, sondern geradezu ein Höhepunkt. Am Ende ergibt sich diese Brünnhilde nicht ihrem Schicksal, sondern ergreift die Initiative und wirft den jungen Mann aufs Bett, der gerade noch nach seinem liebsten Spielzeug, dem selbst geschmiedeten Schwert greifen wollte, das sie vorher zur Seite geworfen hatte.
Der Höhepunkt dieses „Rings“ ist für mich eindeutig der „Siegfried“, gesungen von Klaus Florian Vogt.
Nach unzähligen „Ring“-Aufführungen mit einem tumben Helden, der oft bösartig, grausam, mindestens aber geistig minder bemittelt dargestellt wurde, zeigt Zürich einen Knaben, der zwar in der Pubertät steckt, aber dabei sensibel ist. So hat Wagner seinen Siegfried gewollt! Er war ihm lieb und teuer, und nicht umsonst hat er seinen einzigen Sohn nach diesem Helden benannt. Siegfried ist jugendlich, er wird auch stets als „Kind“ oder „Knabe“ von den anderen betitelt. Es leuchtet ein, dass hier die Möbel der Villa auf der Bühne so riesig sind. Sowohl der Knabe Siegfried als auch der Zwerg Mime sind nicht die größten.
Siegfried sucht Liebe, Geborgenheit und hat viele Fragen. Das wird in dieser Inszenierung sehr deutlich gemacht. Er ist tierlieb, umarmt den Bären, wird vom Waldvöglein unter die Fittiche genommen. Er selbst weiß nicht, wohin mit den Händen und was er tun soll, als er vor der schlafenden Brünnhilde steht. Es sind diese hinreißenden Details, die diese Aufführung so unvergleichbar machen.
Klaus Florian Vogt spielt das sehr überzeugend. Die Kritiken im März 2023 bei seinem allerersten „Siegfried“ überschlugen sich vor Begeisterung und es ist eine Freude, diesen Siegfried zu hören und zu erleben. Man hatte den ganzen Abend das Gefühl, als ob er sich kontinuierlich steigern würde, weil er am Ende noch so frisch, kraftvoll und scheinbar mühelos sang, dabei gelang ihm der erste Aufzug schon sensationell gut.
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist ein kongenialer und gesanglich souveräner und sehr glaubhaft gestalteter Mime. Er hat schon im „Rheingold“ mit seiner Rollengestaltung geglänzt, aber natürlich gibt der „Siegfried“ viel mehr her für Mime. Ablinger-Sperrhacke wirkt nie albern oder überzogen (wie es leider manchmal mit den Mimes so ist), eher bemüht, sein Vorhaben, den Ring zu erhalten, durchzuziehen und sich immer wieder der veränderten Situation anzupassen. Der Drache, der aussah wie aus „Game of Thrones“ entstiegen (Bravo an das Team hinter der Kulisse!), und das hinreißende Waldvöglein trugen natürlich zum Gesamteindruck dieses „Siegfried“ bei – ein Abend voller Highlights.
Die „Götterdämmerung“ beschließt nachvollziehbar den Zürcher Ring. Siegfried wird am Gibichungen-Hof benutzt und bleibt nachvollziehbar schuldlos. Gunter ist ein Schwächling und Hagen hat die Fäden in der Hand. Seine Mannen sind ihm ergeben, kleiden sich ähnlich wie ihr Anführer und haben eine ähnliche Frisur, langes schwarzes Haar. Finster bis ins Detail. David Leigh, der übrigens schon den Fafner im „Siegfried“ fabelhaft gesungen hat, singt ihn überzeugend und leicht diabolisch. Er wird am Ende von den Rheintöchtern kurzum aus dem Fenster der Villa geworfen.
Die Villa – das ist der Ort, in dem dieser ganze „Ring“ spielt: Räume, die auf einer Drehbühne angeordnet sind und auch schnell ausgetauscht werden können. Das sorgt für Schnelligkeit, wenn etwa Siegfried durch den Wald läuft. Vor allem aber können Inhalte, über die nur berichtet wird, in alt bekannten Räumen stattfinden, sodass dem Zuschauer schnell klar wird, um was es geht. Auch Assoziationen können so hervorgerufen werden, z.B. wird in der Waltrauten-Szene gezeigt, wie Wotan an dem langen „Tisch der Macht“ sitzt – uns bekannt seit dem „Rheingold“, auf dem nun die goldenen Äpfel der Freia unangetastet liegen. Es ist so, als ob das Zürcher Modell die Leitmotivtechnik von Wagner noch um eine weitere Ebene ergänzt hat.
Einige Kleinigkeiten wurden bei der Aufführung der zwei Zyklen geändert. So lief der etwas reißerisch wirkende brennende Stuntman am Ende der „Götterdämmerung“ nun nicht mehr über die Bühne. Das war gut so. Werkstatt Zürich – bis zuletzt.
Wie schön, dass am Ende des nicht enden wollenden Applauses auch das gesamte, für die Bühne verantwortliche Team auf die Bühne kam.
Danke, Zürich, für diesen „Ring“!
Dr. Bianca M. Gerlich, 15. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Am 18., 20., 24. und 26. Mai wurden die Vorstellungen live aus dem Opernhaus auf diese Website übertragen und sind nun noch bis zum 15. Juni 2024 kostenlos als Video-on-Demand erhältlich.
Sa 18. Mai 2024, 19.00 Das Rheingold –> Zum Video-on-Demand
Mo 20. Mai 2024, 16.00 Die Walküre –> Zum Video-on-Demand
Fr 24. Mai 2024, 17.30 Siegfried –> Zum Video-on-Demand
So 26. Mai 2024, 16.00 Götterdämmerung –> Zum Video-on-Demand
Kostenloses Video-on-Demand bis 15. Juni 2024
https://klassik-begeistert.de/richard-wagner-1813-1883-der-ring-des-nibelungen-opernhaus-zuerich-18-20-24-und-26-mai-2024/
Giuseppe Verdi, Messa da Requiem Opernhaus Zürich, 1. April 2024, Wiederaufnahme
Emmerich Kálmán, Die Csárdásfürstin Opernhaus Zürich, 1. April 2024