Foto: Z. Tshabalala, V. Urmana, L. Haroutounian, T. Hellin © J. Berger – ORW-Liège
Das letzte Mal, dass Wagners “Tristan und Isolde” in Lüttich aufgeführt wurde, war im Jahre 1926. Es war damals die Oper aus Den Haag, die in Lüttich zu Gast war und zwei Wagner-Abende bestritt: “Siegfried” und eben “Tristan und Isolde”. Es spielte damals schon das Orchester der Oper Lüttich.
Richard Wagner (1813 – 1883)
Tristan und Isolde
Handlung in drei Aufzügen (Text von Richard Wagner)
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Inszenierung: Jean-Claude Berutti
Bühne: Rudy Sabounghi
Kostüme: Jeanny Kratochwil
Licht: Christophe Forey
Video: Julien Soulier
Opéra Royal de Wallonie-Liège, 28. Januar 2025
von Jean-Nico Schambourg
Somit ist die jetzige Aufführung dieser Wagneroper die erste eigene Produktion, die von diesem Mammutwerk je in Lüttich aufgeführt wird. Und für diese Premiere haben die Verantwortlichen der Opéra Royal sowohl musikalisch als auch szenisch einen echten Hit gelandet, der voll beim Publikum ankommt. Dieses zeigt sich begeistert und spendet allen Mitwirkenden großen Applaus, besonders aber dem Dirigenten Giampaolo Bisanti und dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie.
Die erste Eigenproduktion des Tristan an der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich ist ein Ereignis. Am Dirigentenpult steht der musikalische Leiter der Opéra Royal, Giampaolo Bisanti für den es auch eine Premiere ist: Noch nie zuvor dirigierte er eine integrale Aufführung dieses Werks.
Als ob es sein 100. Tristan wäre, leitet er das Lütticher Orchester mit viel Engagement und großer Präzision durch den Abend. Sein Dirigat besticht durch Leichtigkeit und Durchsichtigkeit, was den Sängern zuvorkommt.
Dabei weiß er auch das Orchester wenn nötig aufzuheizen und in vollem Forte auftrumpfen zu lassen. In diesen Momenten sind die Sänger nur ein einzelnes Instrument im Ensemble-Klang Bühne/Orchester. Das Orchester folgt den Anweisungen seines Leiters aufs Genaueste. Nicht überraschend ist deshalb, dass Dirigent und Orchester beim Schlussapplaus am meisten bejubelt wurden.
Das Orchester hat sich unter Bisantis Leitung in letzter Zeit zu einem hochklassigen Musikapparat entwickelt, dem man auch in Zukunft weitere Mammutwerke wie Tristan zumuten sollte.
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Auf der Bühne steht ihm ein erstklassiges Sängerensemble zur Verfügung. Allen voran Lianna Haroutounian, die an diesem Abend ihr Rollendebüt als Isolde gibt. Die armenische Sopranistin besticht durch den jugendlichen Klang ihrer Stimme. Hier hört und sieht man keine Wagner- Matrone, die mit voller Power die Partitur stemmt. Nein, hier erlebt man Liebe und Leiden einer jungen Frau, die genau weiß was sie will: Anfangs den Tod aus Rache, später den Tod aus Liebe. Dennoch besitzt die Sängerin die nötige Dramatik in ihrer Stimme, um auch diesen wichtigen Aspekt ihrer Rolle voll auszudrücken, ohne ins Schreien und Stemmen zu verfallen.
Michael Weinius hat den Tristan schon öfters gesungen. Er weiß sich die Kräfte gut einzuteilen, sodass er noch die nötigen Kraftreserven besitzt für den 3. Akt. Hier kann er in den Wahnvorstellungen des Tristan mit seiner kraftvollen Stimme voll auftrumpfen und dessen physischen und psychischen Leiden dem Zuhörer fühlbar machen. Von Anfang an weiß der Sänger seinem Tenor wehmütige, todesvorausahnende Farben abzuringen. Auch das wunderbar gestaltete Liebesduett im 2. Akt wird von ihm mit Leidenschaft und viel Melancholie in der Stimme vorgetragen.
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Violeta Urmana singt die Brangäne und kehrt nach ihrem Ausflug ins Sopranfach mit der Isolde zu ihren gesanglichen Wurzeln zurück. Ihre Stimme besitzt die nötigen Höhen und wird den stimmlichen Ansprüchen der Rolle, die sie teilweise in Sopransphären führt, voll gerecht.
Birger Radde besticht als Kurnewal sowohl schauspielerisch als stimmlich durch seinen Spielwitz, mit dem er Tristans engen Vertrauten zeichnet.
Evgeny Stavinsky ist ein junger König Marke, visuell, aber auch stimmlich. Es fehlt ihm allerdings somit die königlich-väterliche Wärme und Tiefe im Ausdruck. Die besten Passagen seines Monologs sind diejenigen, wo er Markes Eifersucht und Schmerz ausdrücken kann. Seine Diktion ist hervorragend, wie die aller großen Rollen dieses Abends.
In diesem Punkt fallen Alexander Marev als Melot sowie Zwakele Tshabalala als Junger Seemann/Hirte stark ab, auch wenn sie ansonsten stimmlich den Ansprüchen ihrer Rollen genügen können. Der Chor der Opéra Royal entledigt sich seiner kurzen Intervention mit Brio.
In seiner Inszenierung spielt Jean-Claude Berutti auf zwei Ebenen: Realität und Traum. Er zeigt die Oper als Flashback, den Tristan kurz vor seinem Tod erlebt. Zum Ende der Ouvertüre hin, wenn sich der Vorhang hebt, sieht man einen älteren, verletzten Mann (großartige gespielt vom Schauspieler Thierry Hellin) am Strande in einem Rollstuhl. Er scheint an seinen Erinnerungen zu verzweifeln. Während eine Krankenschwester sich um ihn bemüht, kommen ihm die Erinnerungen zurück an sein Leben und seine Liebe. Er erlebt die Szene auf dem Boot, mit dem Tristan Isolde zu König Marke bringen soll, als Zuschauer.
Schon hier begeistert das wunderbare Bühnenbild (Rudy Sabounghi), die Lichtgestaltung (Christophe Forey) sowie die Videoeinspielungen (Julien Soulier). Diese sind hier ein wichtiger Teil der visuellen Darstellung, im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen, wo sie mehr vom Bühnengeschehen ablenken als hinweisen.
Auch die Kostüme von Jeanny Kratochwil, angelehnt an die Entstehungszeit der Oper, fügen sich nahtlos in die Produktion ein.
Der zweite Akt zeigt einen Park, zuerst aus der Vogelperspektive. Dann, beim Eintreffen von Tristan, dreht sich das Bild in die seitliche Perspektive. Zum Anfang dieses Aktes übernimmt der Schauspieler einen aktiveren Part. Er tritt zusammen mit Tristan auf. Den ersten Teil des Liebesduetts singt Isolde dem Schauspieler zu, während der Sänger des Tristans, Michael Weinius, abseits steht. Erst bei “O, sink hernieder, Nacht der Liebe” nimmt Letzterer seine Position neben Isolde ein. Traum und Realität vermischen sich immer mehr.
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Der dritte Akt spielt im Hospiz. Kurnewal pflegt als Arzt den verletzt im Rollstuhl sitzenden Tristan. Vor dem Tode von Tristan erscheinen Ärzte und Pfleger, unter ihnen auch die Interpreten von König Marke und Melot. Isolde und Brangäne treten als Krankenschwestern auf. Nach ihrem Schlussgesang, dem Liebestod, legt Isolde sich neben den Tristan-Sänger. Der Tristan-Schauspieler sitzt im Rollstuhl. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, bevor er (für immer?) einschläft.
Was er in den letzten Stunden erlebte, waren es die Erinnerungen an sein Leben und seine Liebe oder war alles doch nur ein imaginärer Traum?
Jean-Nico Schambourg, 30. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, La Traviata Opéra Royal de Wallonie-Liège, 17. September 2024