Teatro alla Scala/DAS RHEINGOLD © Brescia/Amisano – Teatro alla Scala
David McVicar ist einer der gefragtesten Regisseure auf den renommiertesten Opernbühnen. Erstmals sah ich eine seiner großartigen Inszenierungen, den „Rigoletto“, am finnischen Opernfestival Savonlinna, im perfekten Rahmen der gewaltigen mittelalterlichen Burg, und traf McVicar dort persönlich – keine ganz einfache Persönlichkeit (mit ausgeprägten Aversionen gegen Opernkritiker, was diese Begegnung nicht einfacher machte).
Dieses Jahr dann seinen „Giulio Cesare“ (Händel) an der Londoner Royal Opera und dann in Glyndebourne – einfach zum Niederknien.
Entsprechend hoch waren die Erwartungen für sein „Rheingold“ in der legendären Mailänder Scala – und sie wurden abermals nicht enttäuscht…
Richard Wagner, Das Rheingold
Dirigent: Alexander Soddy
Regie: David McVicar
Licht: David Finn
Kostüme: Emma Kingsbury
Orchester der Scala
Teatro alla Scala, 7. November 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
McVicar beginnt damit, das Publikum – noch bevor sich der Vorhang hebt – mit einem Rätsel zu konfrontieren: Weshalb ist auf diesem Vorhang eine riesige Hand aufgemalt, die im ersten Akt, auf dem Grund des Rheins, verdreifacht in Form von drei überdimensioniert riesigen Händen (auf denen die drei Rheintöchter wie auf einem zeitgemäß ausgestatteten Spielplatz ihre beglückten Spielchen treiben) weiter präsent bleibt?
Viel später, ganz am Ende von Wagners Tetralogie, wird der Bösewicht Hagen den Rheintöchtern zurufen „Zurück vom Ring!“. Also, mit anderen Worten: Hände weg vom Ring! Vom „Ring“? Ist das ein Appell an sämtliche Regisseure der Welt, die Finger von diesem so unendlich oft (und allzu oft in peinlichen Regietheater-Exzessen) inszenierten Stück zu lassen – selbstironisch, zumal wir Zuschauer uns es doch gerade erst (zu erheblichen Eintrittsgeldern) bequem gemacht haben, um McVicars „Rheingold“-Inszenierung anzuschauen. Ein selbstironischer Appell des Regisseurs an sich selbst, den er zugleich missachtet?
Atemberaubende Inszenierung
Nein, es ist wohl bereits ein Vorgriff auf die Handlung selbst; Als nämlich ein paar Szenen danach Erda auf den mit dem Ring verknüpften Fluch verweist und Wotan ausdrücklich davor warnt, den machtverheißenden Ring zu behalten – worauf dieser Wotan das Geschmeide unverzüglich den Riesen überlässt, mit dem Ergebnis, dass Fafner beutegierig umgehend seinen Bruder Fasolt erschlägt. So ergibt die Unheil verkündende Hand auf dem Vorhang rückblickend Sinn: „Finger weg vom Ring!“
McVicars Inszenierung ist atemberaubend: in tiefblauem Licht (hervorragende Licht-Regie: Licht: David Finn) erstrahlt der erste Akt, man befindet sich unter Wasser, auf dem Grund des Rheins – und die Götter befinden sich auf einer lichten Ebene, von der eine steile, an die absurden Treppen auf den Grafiken M.C. Eschers erinnernde Treppe ausgeht, welche zu der von den beiden Riesen erbauten Götterburg Walhalla führt.
Diese bleibt für den Zuschauer unsichtbar, man ahnt sie irgendwo ganz weit oben, im vielfarbigen Gewitter-Zwielicht. So steil ist diese Treppe, dass Wotan sichtlich Mühe hat, selbst die untersten Stufen zu erklimmen, als das teuer bezahlte Bauwerk nun endlich ihm und seiner Göttersippe gehört. Das Gold selbst wird im ersten Akt von einem nackten Tänzer verkörpert, der eine Goldmaske trägt – welche ihm zum lautstark geäußerten Entsetzen der Rheintöchter von Alberich brutal vom Kopf gerissen wird.
Die Kostüme (Kostüme: Emma Kingsbury) sind fantastisch im wahrsten Sinne des Wortes, führen mit ihren ausdrucksvollen Farben und Formen direkt in die nordische Märchen- und Sagenwelt, ergänzt durch skurrile Masken – am beeindruckendsten ist Alberich, ein fettes, widerwärtiges, reptilähnliches Wesen (als das er ja kurz darauf in Gestalt der Kröte verwandelt werden soll…). Doch das ist fast des Guten zu viel: So mächtig, so dickstoffig sind diese Kostüme, dass die Figuren zwangsläufig fast statisch bleiben und nur durch ihre Mimik agieren können – was sie allerdings sehr virtuos tun.
Musikalische Glanzleistungen
Das Orchester der Scala unter der souveränen Stabführung von Maestro Alexander Soddy ist diesem „Ring“ mehr als gewachsen – subtilste Passagen, gewaltige Akkorde als Donner den Hammer schwingt, wunderbar evozierte Leitmotivik, fließend die Wagner’schen Klänge in großen, dynamisch-federnden Bögen.
Mit sonorer, kraftvoller Tiefe als unbestrittener Star dieses denkwürdigen Abends der beleibte Wotan des Michael Volle, sekundiert von einem mit listiger Miene und (eine Ausnahme in dieser statischen Inszenierung) köstlich tänzerischen Bewegungen, stimmlich virtuos agierenden Loge (Norbert Ernst). Mit flammenartigen Armbewegungen, welche dupliziert werden durch die hinter ihm tanzenden halbnackten Männern verkörpert er faszinierend und sehr plausibel den Feuergott.
Als stimmgewaltige Diva und dominante Ehefrau (künftige Ehekrisen mit Wotan kündigen sich bereits wie ein Wetterleuchten am Götterhorizont an) die Fricka der Okka von der Damerau; silbern-transparent die Freia der Olga Beszmertna. Stimmlich ausgefeilt und darstellerisch überzeugend die Erda der Christa Mayer. Die beiden Riesen singen mit tiefem, respektgebietendem Bass und sie treten (wie sie das nur schaffen, fragt man sich) auf Schuh-Plattformen auf und über ihren Häuptern sind gleichsam schwebend riesenhafte Masken-Köpfe befestigt – wohl die imposantesten Riesen die man je im „Ring“ zu sehen bekam!
Dr. Charles E. Ritterband, 7.November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Wotan: Michael Volle
Fricka: Okka von der Damerau
Freia: Olga Beszmertna
Alberich: Ólafur Sigurdarson
Mime: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Loge: Norbert Ernst
Donner: Andrè Schuen
Froh: Siyabonga Maqungo
Erda: Christa Mayer
Fafner: Ain Anger
Fasolt: Jongmin Park
Woglinde: Andrea Carroll
Wellgunde: Svetlina Stoyanova
Flosshilde: Virginie Verrez
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Teatro alla Scala, Milano, 25. Oktober 2024
Gioachino Rossini, Guillaume Tell Teatro alla Scala, Milano, 10. April 2024
Giuseppe Verdi, Don Carlo Teatro alla Scala, 7. Dezember 2023 Premiere
Nachdem ich diese Kritik gelesen habe, frage ich mich, was in den anderen Akten des Rheingolds wohl passieren mag.
Als Kritiker sollte man schon wissen, das Rheingold wohl in Szenen, jedoch nicht in Akten geschrieben wurde!
Karl Bauer