Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
John Lundgren (Holländer). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Jolanta Łada-Zielke sagt, sie sei in ihrem Herzen Bayreutherin; seitdem sie in 2003 die „Einstiegsdroge“ der Wagnerianer genommen, das heißt den „Lohengrin“ im Festspielhaus miterlebt hat, kommt sie jedes Jahr hierher, um von den Festspielen für polnische Medien zu berichten. Aktuell schreibt sie für die Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“ und die Theaterzeitschrift „Didaskalia“. 2019 schloss sie sich der Autorengruppe des Blogs Klassik-begeistert an. Am liebsten führt sie Interviews mit den Künstlern. Sie ist am glücklichsten, wenn jemand während des Gesprächs mitbekommt, dass sie auch singt und mit ihr wie mit einer Kollegin redet. Jolanta beschreibt nun ihre Eindrücke von der Neuproduktion „Der fliegende Holländer“.
Der Regisseur Dmitri Tcherniakov erweist sich als untreu gegenüber dem Libretto der Oper und gibt Senta keine Chance, dem Holländer ihre „Treue bis zum Tod“ zu beweisen. Stattdessen lässt er den Titelhelden erschießen.
von Jolanta Łada-Zielke
Zunächst einmal eine große Verbeugung vor der Dirigentin Oksana Lyniv! Dank ihrer energetischen und lebhaften musikalischen Leitung blies plötzlich Frische ins stickige Festspielhaus. Zwar gab sie bei dem Matrosenchor im dritten Akt ein solch schnelles Tempo vor, dass die Damen zweimal nicht im Takt eintraten, das ist aber nur ein Detail.
In dieser Produktion tritt eine ganze Reihe exzellenter Stimmen auf, vor allem Georg Zeppenfeld (Daland), der schon als Veteran der Bayreuther Festspiele gelten kann. Die Debütanten: Asmik Grigorian als Senta und Eric Cutler als Erik leuchten hell gegen das dunkle und düstere Bild eines Fischerdorfes, in dem der Regisseur die Handlung platziert.
Zuerst hatte mich diese Inszenierung angewidert, als Steuermann (Attilio Glaser) meine Lieblingsarie in dieser Oper „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer“ in der Art eines Trinkblackouts aufführte. Den zweiten Akt konnte ich irgendwie verdauen, den dritten finde ich aber so weit entfernt von dem Libretto wie Bayreuth von Riga. Der Holländer (John Lundgren) entpuppt sich als kalter Mafioso, der jedes kleinste Problem mit der Pistole löst. Als er ein paar unschuldige Matrosen tötet, würde jede normale Frau, die das sieht, von ihm sofort weglaufen. Ist Senta so hoffnungslos in ihn verliebt, dass sie nicht aufgibt, auch wenn er sie zweimal brutal von sich stößt? Dann tritt Mary (Marina Prudenskaya) als „Deus ex machina“ auf und befreit das Mädchen mit einem Schuss aus einer Zweirohr-Schrotflinte. Nun hätte Senta einen Selbstmord begehen sollen, um sich mit ihrer Liebe zu vereinen. Aber auch hier ist der Regisseur nicht konsequent.
Selbst die Idee für die weibliche Hauptfigur war nicht sehr originell. In den allermeisten Produktionen von „Der fliegende Holländer“, die ich gesehen habe, präsentierte sich Senta als ein rebellischer Teenie. Grigorians Interpretation von Senta erinnert mich an die Worte der französischen Denkerin Simone Weil: „Liebe braucht Realität. Durch die fleischliche Hülle ein imaginäres Wesen zu lieben – was könnte schlimmer sein, als wenn man das endlich merkt? Das ist viel schlimmer als der Tod, denn der Tod ändert nichts an der Tatsache, dass das Wesen geliebt wurde. Es ist eine Strafe dafür, die Liebe mit Phantasie zu ernähren.“ Senta „füttert“ ihre Liebe, oder genauer gesagt ihre Faszination für den Holländer, beim Betrachten seines Bildes, als wäre es das Porträt eines Rockstars. Dadurch versucht sie, sich aus dem allgegenwärtigen Grau und der Düsternis zu befreien. Ihre erste Begegnung mit dem geheimnisvollen Matrosen löst jedoch bei dem Mädchen Bestürzung aus; Sentas Idol sieht anders als auf dem Foto aus.
Ich halte nur ein einziges Regieverfahren von Tcherniakov für interessant und lobenswert. Er vertieft die Figur der Mary und erweitert ihre Bühnenpräsenz als Dalands Lebensgefährtin. Ich fühle immer mit den Sängern mit, die kleine Partien in den Opern haben; die haben wenig Zeit, um ihre ganze Kunst zu zeigen, was mit viel Stress verbunden ist. Marina Prudenskaya hat die allmähliche Verwandlung ihrer Heldin von einer strengen Chorleiterin in eine Mörderin geschafft. Nachdem sie gesungen hat, was Wagner für sie bestimmte, führt sie ihr Schauspiel nur mit ihrer Mimik weiter. Aber wie! Sie schafft aus Mary einen mysteriösen und sogar bedrohlichen Charakter.
John Lundgren als Holländer war eine Enttäuschung. Ich habe in diesem Künstler viel dramatisches Potenzial gespürt, das er leider nicht gezeigt hat. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Mängel darf die Bayreuther Neuinszenierung von „Der fliegende Holländer“ als musikalisches Schmuckstück gelten.
Jolanta Łada-Zielke, 27. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at