"Der fliegende Holländer": ein musikalisch-szenisches Feuerwerk bei den Münchner Opernfestspielen

Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Münchner Opernfestspiele 2018,  Bayerische Staatsoper

Foto: Wilfried Hösl (c)
Bayerische Staatsoper München, München,
2. Juli 2018
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Musikalische Leitung, Bertrand de Billy
Inszenierung, Peter Konwitschny
Dramaturgie, Werner Hintze
Chöre, Sören Eckhoff
Daland, Franz-Josef Selig
Senta, Elena Stikhina
Erik, Tomislav Muzek
Mary, Okka von der Damerau
Der Steuermann, Dean Power
Der Holländer, Wolfgang Koch
Bayerisches Staatsorchester
Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper

von Raphael Eckardt

Mit Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ stand am Montag eine Produktion auf dem Spielplan der Münchner Opernfestspiele, die bereits seit einigen Jahren in München immer wieder für Furore sorgt. Sechzehntes Jahrhundert trifft auf Moderne, Moderne trifft auf Industriezeitalter: Peter Konwitschnys Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ lebt von abwechslungsreichen Zeitsprüngen und schrillen Kontrasten, bevor sie abschließend mit einem krachend heißen Feuerwerk endet.

Bereits im ersten Aufzug prallen da Epochen aufeinander: Die mit Matrosenoutfits ausgestattete Besatzung Dalands einerseits und die (in Sir-Francis-Drake-Kostümen auftretende) verfluchte Besatzung des Holländers andererseits lassen früh erahnen, dass Konwitschnys Inszenierung vor allem auf Gegensätzliches baut. Nach einem düsteren Beginn in einer verlassen wirkenden, einsam-idyllischen Meeresbucht schlägt den Zuschauern im zweiten Aufzug ein modern eingerichtetes Fitnessstudio entgegen. Alles wirkt ein wenig verschroben, herrlich abwechslungsreich und teilweise gar zynisch. Als die Chorsängerinnen des Spinnerinnenchors anstatt am Webertisch auf Heimtrainern sitzen, wird klar, dass Konwitschnys Inszenierung neben grellen Kontrasten vor allem auf deutliche Gesellschaftskritik setzt, die den Schönheits- und Fitnesswahn unserer Zeit in herrlich bizarrer Art und Weise aufs Korn nimmt. Fabelhaft!

Neben einer wahrlich gelungenen Inszenierung kann vor allem Elena Stikhina als Senta überzeugen, die kurzerhand für die erkrankte Adrianne Pieczonka übernahm. Stikhina schmettert an diesem Abend eine stimmlich erstaunlich bewegliche Senta von großer Dramatik aufs Parkett, die ähnlich zu Konwitschnys Inszenierung vor allem von ihrem großen Kontrastreichtum leben sollte. Immer wieder sind da herrlich durchdringende Farbstafetten in beeindruckenden Höhen zu hören, die sich wie Phönix aus der Asche aus dem Saal zu erheben scheinen. Piano dolcissimo! Der dramatische Spielraum, den Stikhina ihrer Heldin verleiht, ist von beeindruckendem Ausmaß. Am deutlichsten wird das in ihrer Ballade über den Holländer im zweiten Aufzug. Plötzlich ist alles von seidenmatten Rottönen durchzogen, die sich zu spiralförmigen Mustern zusammenfinden, um dann orbital gen Stratosphäre zu schießen. Bravo! In ihren Duetten mit Tomislav Muzek als Erik und Wolfgang Koch als Holländer, deren Timbres ausgesprochen gut zu dieser feurig klaren Sopranstimme passten, zeigt Stikhina, dass sie auch das nötige musikalische Feingespür dafür aufbringt, in Ensemblekonstellation eine nuancenreich nahe an der Perfektion schwebende Darbietung zu gestalten.

Tomislav Muzeks Erik überzeugt vor allem durch eine intelligent und dosiert eingesetzte, breite Emotionspalette, die vom liebevollen Verlobten bis hin zum eifersüchtigen Verlassenen reicht. Mit einer fein gewählten Kombination aus lyrischem Ausdruck und teils dramatischem Nachdruck beeindruckt er durch ein volles Stimmvolumen, das ihn mit herrlich durchdringenden Spitzentönen auch in den wuchtigsten Passagen in Wagners Musikdschungel deutlich über dem Orchester trägt. Ja, wie ein unsinkbares Kreuzfahrtschiff gleitet Muzek da beinahe schwerelos über die sanften Wellen aus Streichern und Bläsern. Plötzlich scheint ein Sturm aufzuziehen! Auf- und abschwellende Streichermotive steigen zu heftig strudelnden Wellen an. Nur Muzek lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Mein lieber Freund, dieser Mann strahlt eine stimmliche Sicherheit aus, die man so nicht oft zu hören bekommt!

Franz-Josef Selig gab auch an diesem Abend einen Daland zum besten, der sich vor allem durch Bodenständigkeit und Kleinbürgerlichkeit auszeichnete. Dies lag nicht zuletzt an Seligs sonorem Timbre, das sich wunderbar in die vom glänzend aufgelegten Bayerischen Staatsorchester kreierte Wagnersche Musiklandschaft einfügte. Hier und da gelang Selig ein wohldosierter expressiver Einschlag, insgesamt konnte sein Bass vor allem in den lyrisch-melodischen Passagen durch bunt glänzendes Strahlen überzeugen. Es ist immer wieder beeindruckend, welches Niveau die Solisten und Sänger der Bayerischen Staatsoper mit dieser Regelmäßigkeit an den Tag legen! Fabelhaft!

Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Bertrand de Billy weiß von Beginn an zu überzeugen. Mit kontrastreichem Ausdruck und wild auffahrendem Blech bahnt es sich gekonnt seinen Weg durch die musikalische Komplexität Wagners. Immer wieder erklingen verträumte Holzbläserpassagen, die wie ein meditatives Luftholen vor dem nächsten Donnersturm wirken. De Billy gelingt es in beeindruckender Manier, den stürmischen Charakter von Wagners Musik mit sehr beweglichem Klang so flexibel zu halten, dass auch die opulenten Momente keineswegs einschränkend wirken. Bei einer Partitur dieses Ausmaßes derartig kontrolliert Ruhe zu bewahren, ist wahrlich die Königsdisziplin des Wagner-Dirigierens. Chapeau, Herr de Billy, das mache Ihnen erst mal einer nach!

Raphael Eckardt, 3. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Münchner Opernfestspiele 2018,
Bayerische Staatsoper“

  1. Wegen des faszinierenden Wolfgang Koch sind meine Schwiegertochter und ich am 29.6.von Frankfurt/Main nach München gefahren! Ich habe 2015 Wolfgang Koch dort als Holländer gesehen und fand ihn grandios!
    David Böschungs Inszenierung in Frankfurt hat mir besser gefallen, aber trotzdem warich wieder sehr begeistert vom „Fliegenden Holländer“. Die weite Reise hat sich auf jeden Fall gelohnt.

    Elke Rösch

  2. Eine etwas seltsame Kritik, in der der Sänger der Titelrolle gerade einmal erwähnt, aber ansonsten nicht weiter besprochen / beurteilt wird. Auch über die Sängerin der Mary und den Sänger des Steuermanns kein Wort. Hat der Kritiker diese Sänger nicht wahrgenommen oder woran liegt es?

    Stattdessen zwei Absätze über eine inzwischen schon „alte“ Inszenierung.

    Das Personal im Holländer ist überschaubar und sollte schon entsprechend abgehandelt werden.

    Stefany Zöbisch

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