Klarer Sieg für Georg Zeppenfeld: Die Wiener "Meistersinger" versinken fast im Graben

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg  Wiener Staatsoper, 19. Mai 2024

Georg Zeppenfeld © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Phasenweise viel zu laut. Seine Stärken kann Philippe Jordan bei den „Meistersingern“ nur bedingt ausspielen. Energie, Spannung & symphonische Eruptionen stehen bei Wagners Komödie eher im Hintergrund. Stimmen dominieren. Georg Zeppenfeld macht an der Wiener Staatsoper als Hans Sachs das Rennen. Knapp vor Michael Laurenz als David. Etwas abgeschlagen David Butt Philip als Stolzing.

Richard Wagner
Die Meistersinger von Nürnberg

Wiener Staatsoper, 19. Mai 2024

von Jürgen Pathy

„Mobile phone – no! I have police here“. Da versteht die Mitarbeiterin an der Wiener Staatsoper überhaupt keinen Spaß. Richard Wagner hingegen wollte mal lustig sein. Eine Komödie hatte er zu Blatt gebracht, 1868 in München uraufgeführt. Keine Giganten, keine übermütigen Helden oder andere Fabelwesen. Bei den Meistersingern stehen der Mensch und die Kunst im Mittelpunkt. Lustig und heiter ist ihm beim Sujet gelungen. Bei der Orchestrierung ähnelt die Partitur Verdis „Falstaff“. Kaum Anhaltspunkte, die einen durch die rund viereinhalb Stunden Nettospielzeit ziehen könnten. Stattdessen Harmoniesprünge und Rhythmenwechsel im Minutentakt. Im Graben der Wiener Staatsoper herrscht Trubel.

Der Graben außer Rand und Band

Philippe Jordan schlägt regelmäßig über die Stränge, dreht den Dezibelregler auf Anschlag. Der Chor versinkt, einige Meistersinger ebenso. Kopfschütteln daraufhin in der Pause. „Schrecklich und enttäuschend“, meinen zwei russische Ladys, die vom Fach sind. Dass nicht alle Trübsal blasen, offenbart der ausgedehnte Schlussapplaus. „Großartig“ widerspricht auch eine deutsche Touristin, die das Gespräch der beiden aus Putins Reich fast simultan übersetzt. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Wagner macht’s einem auch nicht leicht. Heiterkeit in melodische Formen zu zwängen, hat nur einer wirklich geschafft: Mozart mit Hilfe von Schikaneder bei der „Zauberflöte“.

Auf der Bühne trägt Georg Zeppenfeld als Hans Sachs die ganze Vorstellung. Wohltönend strömt sein Bass, deutlich seine Worte, ein Genuss auf allen Linien. David, Sachsens Lehrbube, findet in Michael Laurenz seinen Meister. Wäre der Streit um Eva nicht zwischen Stolzing und Beckmesser gefochten, dieser David hätte beim Preislied schon ein Wörtchen mitgeredet. Stolzing auch bekannt als David Butt Philip mangelt es an Schmelz, sobald die Stimme übers Mezzoforte späht. Nur mit hinreißendem Timbre gewinnt man keine Herzen.

Klassische Köstüme im Wagner Prunk

Beckmesser alias Martin Gantner bleibt streckenweise blass, bietet aber ordentlich Paroli. Etwas mehr Biss würde man sich wünschen, etwas Argwohn, auch wenn er den konservativ akademischen Charakter vielleicht gut trifft.

Veit Pogner hingegen, Evas Vater, der seine Tochter beim Preissingen verlost – dessen profunder Bass dröhnt mal wieder von seiner besten Seite. Ensemblemitglied Günther Groissböck steht regelmäßig seinen Mann. Solange die Partien nicht ins Bodenlose ausufern: eine Luxusbesetzung. Wotan und Gurnemanz, da heißt es zurzeit noch hinten anstellen. Optisch sticht der Niederösterreich natürlich hervor.

Günther Groissböck (Veit Pogner) und Ensemble © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Regisseur Keith Warner hat den 2-Meter-Hünen in prunkvollen Samt gehüllt, überbordende Hutpracht inklusive. Ein Kniefall vor Richard Wagner, der sich selbst gerne durch extravagante Kleidung in die Auslage gestellt hat. Das klassische Bühnenbild missfällt einigen noch immer: „Die Prügelfuge geht in dieser Inszenierung völlig unter“.

Partitur-Diktatoren am Rande, die der Mindestanforderung an Ästhetik aber dankbar sein sollten. Mehr darf man heutzutage nicht erwarten.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 22. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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