Regenbogen über dem Festspielhaus – Photo Andreas Ströbl
Als hätte der Himmel über Bayreuth zum „Rheingold“ des Vortags die Lichtregie korrigiert, erhob sich gleich ein doppelter Regenbogen in der zweiten „Walküren“-Pause über dem Festspielhaus. Geht der Übergang vom „Vorabend“ zum „Ersten Tag“ denn überhaupt ohne die Regenbogenbrücke, die nach Wagners Regieanweisung, „mit blendendem Leuchten“ die Götter nach Walhall lädt?
Der Ring des Nibelungen
Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend
Erster Tag: Die Walküre
In drei Aufzügen
Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 26. Juni 1870 München
Simone Young, Dirigentin
Catherine Foster, Sopran
Michael Spyres, Tenor
Jennifer Holloway, Sopran
Tomasz Konieczny, Bassbariton
Vitalij Kowaljow, Bass
Christa Mayer, Alt/Mezzosopran
Festspielorchester Bayreuth
Valentin Schwarz, Inszenierung
Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2025
von Dr. Andreas Ströbl
Konzept und Stimmen überzeugen, ja begeistern
Man vermisst sie dann doch, die „bebende Rast“, wie der Regenbogen „Bifröst“ zwischen Menschen- und Götterwelt in der nordischen Mythologie genannt wird – auch im „Ring“ von Valentin Schwarz auf dem Bayreuther Hügel, bei dem man sich ja auf Reduktionismus und völlige Neudeutung eingestellt hat. Aber gerade die „Walküre“ am 27. Juli überzeugte durch Stimmgewalt, Dirigat und tatsächlich eine – zugegeben systemimmanent verständliche – Regie. Allein der erste Aufzug wäre den Tempel-Besuch schon wert gewesen, denn was die drei Protagonisten in Hundings hässlichem Haus an Gesangsqualität hinlegten, war zum Niederknien.
Michael Spyres’ Siegmund ist mit virilem Selbstbewusstsein gesegnet, trotz aller traumatischer Erlebnisse. Zu Recht bezeichnet er sich selbst als „Baritenor“, denn seine Stimme ist füllig, klar und markig. Das gilt auch für seinen Gegenspieler Hunding, dem Vitalij Kowaljow glaubhaft respektheischende Gestalt gibt. Der Bass singt nicht nur mit männlicher Stärke und einem Forte, das einen erschauern lässt, sondern spielt – wie der Wälsung auch – ungemein plastisch. Und in ebendieser Verbindung von echtem Schauspiel und stimmlicher Stärke ist die Frau zwischen den beiden diesen absolut ebenbürtig. Jennifer Holloway als Sieglinde befindet sich auf Augenhöhe mit Bruder und verhasstem Gatten, ihr Sopran ist nicht der einer Misshandelten, sondern einer, die sich auflehnt.

Das Textverständnis ist bei den dreien tadellos, was man von den meisten anderen Mitwirkenden nur mit starker Einschränkung sagen kann.
Szenen einer Ehe
Im Zuge von Freias Bestattung, die ja ein Teil dieser Produktion ist – letztlich hat Wotan sie durch die Vergabe an die Riesen-Architekten auf dem Gewissen – erhebt sich der Ehekrach des hier so gar nicht göttlichen Paares. Die Fricka von Christa Mayer ist deutlich sicherer und in der Mittellage fülliger als am Vortag; mit der Frau möchte man sich wirklich nicht anlegen, und so gibt ein erneutes Mal ihr Gatte klein bei. Tomasz Konieczny ist von der Darstellung her wirklich großartig, da trifft eine gute Personenregie auf echte schauspielerische Begabung (und Ausbildung). „Von Menschen verlacht, verlustig der Macht“, attestiert Fricka ihm, aber auch dem ganzen Lichtalben-Clan, dessen Mitglieder zunehmend an Glanz verlieren. Da muss doch zumindest die Blutschande gesühnt werden! Konieczny gerät im Gesang manchmal an den Rand des Knödelns, ist aber bekanntlich von der Rolle her in diesem Stück auch stark gefordert.

Catherine Foster ist genau die Brünnhilde, die Wagner sich und wir alle uns gewünscht haben – voller Stolz, Aufrichtigkeit, Begeisterung für das Gute und Unverständnis für das schwache Einknicken ihres Vaters, dieses peinlichen Opfers seiner Fehler und Kurzsichtigkeiten. Ihr Sopran gibt mit Energie und Leidenschaft all das wieder, was in ihr und wofür sie kämpft – eine echte Wunschmaid, deren eigenes Wünschen bei bestem Gewissen so enttäuscht wird.
Bis zum blutigen Ende des Aufzugs gibt es inszenatorisch einige Längen, und wer das Libretto nicht gut kennt, tut sich zuweilen schwer. Aber zum Hügel wallfahrtet ja ohnehin nur eine eingeschworene Gemeinde.
Das familiäre Schock-Finale allerdings lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Ein Pistolenduell zwischen Siegmund und Hunding entscheidet Wotan mit einem Schuss auf den arglos ihm zugewandten Sohn. Eine psychologisch sehr gut gemachte Krimiszene – und das „Geh!“ Wotans richtet den gewalttätigen Hunding nicht; er darf tatsächlich gehen, wenngleich vom Hausherrn zutiefst verachtet.
Der Kampf gegen die Sterblichkeit, den jeder verliert
„Sturmwind und Wolkenritt und heidnisch verzerrtes Jauchzen“, so beschreibt Thomas Mann in seiner Erzählung „Wälsungenblut“ den Walkürenritt, aber die wilde Wetterjagd durch graues Gewölk fällt bei Schwarz komplett aus. Die sonst so ungezähmten Wotanstöchter haben ihre stolzen Rosse gegen die bequemen weißen Sessel einer Schönheitsklinik eingetauscht. Man tut eben, was man kann, um das Ende, dem alle zueilen, „die so stark im Bestehen sich wähnen“, möglichst hinauszuzögern. „Anti-aging“ und kosmetische Eingriffe überschminken nur den verzweifelten Versuch, einen Kampf zu führen, denn sogar Götter verlieren.

Gerade diese Szene hat dem Regisseur viele „Buhs“ eingebracht, akustisch und schriftlich. Wenn man sie innerhalb seines Systems aber versteht, ist sie eigentlich genial. Catharine Woodward, Brit-Tone Müllertz, Margaret Plummer, Dorothea Herbert, Alexandra Ionis, Marie Henriette Reinhold, Noa Beinart und im Nebenrollen-Ausflug Christa Mayer sind diese leicht hysterischen und überkandidelten Damen, die der Jugend Blüte bereits Ade sagen mussten und einander nicht das Schwarze unter dem rotlackierten Fingernagel gönnen. Durchweg singen sie mit vollem Einsatz, Akkuratesse und hervorragend aufeinander abgestimmt. Was der idiotische Buher aus einer der letzten Reihen in der Saalmitte da am Ende auszusetzen hat, weiß nicht mal Erda.
Auch die Harmonie mit dem makellos durch Simone Young geführten Festspielorchester Bayreuth funktioniert einwandfrei. Die Dirigentin versteht die Partitur bis in die feinsten Zartheiten, sie arbeitet gerade an diesem Abend besonders sensibel mit der Dynamik, das Tempo ist flott, aber nie gehetzt. Leider nutzen die Huster im Saal oft gerade die Piano-Stellen, um sich ordentlich auszukeuchen.
„Ein schmähliches Ende der Ew’gen“ – und ein einsames dazu
Wotans Abschied von seiner Lieblingstochter ist hier auch ein Abschied von sich selbst, schließlich zudem von seiner Gattin. „Ein schmähliches Ende der Ew’gen“ hatte er sich und seiner Sippe vorausgesagt. Und nun geht Brünnhilde einfach mit Grane ab; sie reiten nicht in den Sonnenuntergang, sondern schreiten in den dunklen Grund einer unklaren Zukunft.
Vor einer kalten Edelstahlwand bricht schließlich der einstige Machtmensch zusammen, zuvor hatte er auf Knien die Gottheit von Brünnhilde geküsst – einsam und bejammernswert. In diesem Piano-Adieu ist Konieczny grandios und man möchte den gescheiterten Vertragsbetrüger trotz aller Vergehen, Übergriffe und Charakterlosigkeiten dann einfach in den Arm nehmen. Im Publikum hört man leises Schluchzen.

Als Fricka ihm dann nach vollzogenem Gehorsam auf ein nettes Glas Rotwein beim Schein einer Kerze, die so einsam ist wie die beiden, einladen will, gelingt ihm ein letzter Trotz. Seinen Wein genießt der Bühnenboden, in den ihren lässt er den Ehering fallen. Diese Scheidung war überfällig, jetzt geht der Mann, in und mit letzter Konsequenz.
Man denkt vielleicht an das ebenso berühmte wie vom Arrangement her bescheidene Gemälde von Gerhard Richter von 1982, „Kerze“. Dieses Bild gibt es als Ansichtskarte, es eignet sich auch als Trauerkarte. Und so leuchtet diese Kerze auf der kahlen Bühne längst nicht mehr den Lebenden. Es ist ein Totenlicht.
Vorhang zu, letztes Schlucken – dann aufbrandender Beifall. Ganz großer Opernabend!
Dr. Andreas Ströbl, 28. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2025
Eröffnung II, Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025 PREMIERE