Musikalisch grandios – optisch düster und karg: „Die Walküre“ in Longborough, dem englischen Bayreuth

Richard Wagner, „Die Walküre“,  Longborough Festival Opera, 10. Juni 2021

Foto: © Charles E. Ritterband

Longborough Festival Opera, 10. Juni 2021
Richard Wagner, „Die Walküre“

Halbszenische Aufführung in deutscher Sprache

von Charles E. Ritterband

Das dies einst ein Hühnerstall war, lässt sich der klassistischen, rosafarbenen Fassade, gekrönt von Statuen der drei Opern-Götter Mozart (links), Verdi (rechts) und Wagner (im Zentrum) längst nicht mehr anmerken – aber die Assoziation ist eindeutig und auch durchaus beabsichtigt: Bayreuth. Seit 1991 werden auf diesem Landgut im winzigen Dorf Longborough – gelegen in der Grafschaft Gloucestershire in der malerischen Landschaft der Cotswolds – im Juni und Juli Opern aufgeführt, und dies mit wachsendem Erfolg und Zuspruch. 1998 wurden hier erstmals (in Bearbeitungen verkürzte) szenische Aufführungen aus Wagners Ring-Zyklus geboten, 2007 mit „Rheingold“ erstmals eine vollständige Oper, 2013 der gesamte Ring-Zyklus – ein kühnes Unterfangen für das winzige Haus mit seinen nur 500 Sitzplätzen. Inzwischen steht aber auch eine Palette ganz anderer und kontrastierender Werke auf dem Spielplan von Longborough: „Così fan tutte“, „Il ritorno d’Ulisse in patria“, „The Cunning Little Vixen“.

Foto: © Charles E. Ritterband

Ich hatte das Vergnügen, hier die „Walküre“ zu sehen – und tatsächlich, ganz gemäß Vorbild Bayreuth, sind zumindest die Bläser vom Zuschauerraum aus fast nicht mehr sichtbar unter der Bühne verborgen, doch sämtliche Streicher befinden sich auf dem Podium, was ein sehr lohnendes, weil auch visuelles Musikerlebnis beschert. Und dieses war, vorbehaltlos sei’s gesagt, phänomenal. Das auf nur 29 Musiker reduzierte (Bearbeitung: Francis Griffin) Longborough Festival Orchestra unter der souveränen Stabführung des Wagner-Spezialisten Anthony Negus produzierte einen gewaltigen und zugleich subtilen Wagner-Sound, wie man ihn in seiner Authentizität anderswo, auch mit ungleich größerer Orchesterbesetzung, lange suchen müsste. Das – wegen der auch hier konsequent implementierten Covid-Sicherheitsmaßnahmen auf die Hälfte der 500 Plätze reduzierte – Publikum manifestiert denn auch ganz unenglisch enthusiastische Begeisterung: Unverkennbar saßen hier ausschließlich Wagner-Kenner der älteren Generation im Zuschauerraum.

Foto: © Charles E. Ritterband

So großartig auch das überwältigende musikalische Erlebnis war – optisch bot diese halbszenische Aufführung eher das Gegenteil. Der konsequente Verzicht auf Bühnenbild und, besonders in Sachen Schwert Nothung denkbar problematisch, jegliche Requisiten sowie eine durchwegs düstere Beleuchtung forderten atmosphärisch ihren Zoll. Die (außer Hagen und Wotan) unvorteilhafte, schwarze Kleidung verstärkte die allgemeine Düsternis zusätzlich. Das Ohr war beglückt, das Auge nicht. Die Sängerinnen und Sänger turnten ohne viel Spielraum zwischen den Musikern herum und waren bemüht, pantomimisch die Handlung darzustellen. Das war gewöhnungsbedürftig, hatte aber durchaus auch seine positiven Seiten: Man konzentrierte sich umso mehr (wie eigentlich noch nie zuvor in einer ungleich größeren, vollständig inszenierten Aufführung) auf den Handlungsablauf und die hoch interessante psychologische Interaktion zwischen Wagners Figuren – und die auf der Bühne präsenten Streicher boten ein kombiniert visuell-akustisches Erlebnis, wie man es anderswo vergeblich sucht.

Foto: © Charles E. Ritterband

Gleich den Musikern boten die Sängerinnen und Sänger Höchstleistungen. Hervorgehoben sei insbesondere der Siegmund von Peter Wedd, mit vollendeter stimmlicher Schönheit, Souveränität und Stärke und der stimmgewaltige und präzise Sopran der Sieglinde von Sarah Marie Kramer. Als düsterer Bösewicht Hunding mit warmem, sonorem Bass überzeugte Freddie Tong und Paul Carey Jones gab als stimmlich trittsicherer Bariton (dem allerdings gegen Schluss die Stimme etwas zu versagen schien) einen schauspielerisch überzeugenden Wotan, während die Brünnhilde von Lee Bisset trotz Wohlklang und exzellenter schauspielerischer Leistung stimmlich nicht vollständig mithalten konnte.

Charles E. Ritterband, 11. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Charles E. Ritterband in Longborough

Dirigent: Anthony Negus

Inszenierung: Amy Lane

Siegmund: Peter Wedd

Sieglinde: Sarah Marie Kramer

Wotan: Paul Carey Jones

Fricka: Madeleine Shaw

Brünnhilde: Lee Bisset

Hunding: Freddie Tong

Longborough Festival Orchestra

Richard Strauss, „Der Rosenkavalier“, Garsington Opera, 6. Juni 2021

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