"Die Walküre" in Hamburg: Puppen haben keine Gefühle – wenn Regie-Ideen sich gegenseitig neutralisieren

Richard Wagner, Die Walküre,  Staatsoper Hamburg

Foto: Jennifer Holloway © Arielle Doneson
Staatsoper Hamburg
, 20. Januar 2018
Richard Wagner, Die Walküre
Kent Nagano, Dirigent
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Siegmund, Robert Dean Smith
Hunding, Liang Li
Wotan, Egils Silins
Sieglinde, Jennifer Holloway
Brünnhilde, Lise Lindstrom
Fricka, Mihoko Fujimura
Helmwige, Iulia Maria Dan
Gerhilde, Hellen Kwon
Ortlinde, Gabriele Rossmanith
Waltraute, Nadezhda Karyazina
Siegrune, Katja Pieweck
Rossweiße, Dorottya Láng
Grimgerde, Ann-Beth Solvang
Schwertleite, Marta Swiderska

von Sebastian Koik

Als Walküren möchten Zuschauer ganz gerne Amazonen sehen, Frauen in Rüstung, mit geflügelten oder zumindest gehörnten Helmen, Waffen, exotischen Gewändern, fliegendem Stoff. Der Regisseur, der dies dem Publikum gibt, hat bereits einen Teilsieg sicher.

Manche Zuschauer werden regelrecht militant in der Ablehnung von Wagner-Stücken, die die schöne archaische Optik verweigern.

Der Regisseur Claus Guth geht zusammen mit seinem Bühnenbildner Christian Schmidt bei seiner Hamburger Walküre aus dem Jahr 2008 den steinigen Weg und wendet sich radikal ab von mythischer und heldischer Bildersprache. Weder in den Kostümen, noch in den Bühnenbildern gibt es Heroisches oder Göttliches zu sehen.

Es sind wohl im Wesentlichen zwei Hauptideen, die Claus Guth stattdessen anbietet und die die Inszenierung tragen sollen. Und für sich genommen sind diese Ideen nicht schlecht. Leider funktionieren sie in Kombination nicht wirklich.

Auch kann es beim ersten Betrachten dieser Oper sehr leicht zu Missverständnissen und falschen Zuschreibungen kommen. Zum Beispiel kann man im ersten Aufzug leicht denken, dass die Darsteller den Siegmund und die Sieglinde zu schwach und leblos spielen, die Rollen nicht wirklich verkörpern. Sicher nicht wenige Betrachter werden denken, dass die beiden vielleicht einfach schlechtere Schauspieler mit einer etwas blutleeren Darstellung seien.

Mit Glück wird ein Teil der Zuschauer später vielleicht merken, dass das vom Regisseur wohl so gewollt ist. Im Programmheft gibt es leider keinerlei Hinweise dazu, so dass man über die Regie-Gedanken nur spekulieren kann.

Sicher und offensichtlich ist eines: Vielleicht noch nie wurde Wotan so deutlich als Weltenlenker gezeigt. Er ist Welt-Architekt, Regisseur, Puppenspieler.

Das ist die Hauptidee des Regisseurs, die er in den ersten beiden Aufzügen ganz radikal und überdeutlich zeigt. Der zweite Aufzug präsentiert Wotan in seinem Welt-Architekten-Büro, mit Modellen der Bühnenbilder der anderen Aufzüge und Puppen. Hier heckt er seine Pläne aus und zieht als Marionettenspieler die Fäden.

Dass er das tut, wird auch ganz zu Beginn deutlich gezeigt. Die wenigen Figuren und Requisiten sind auf einem Leuchttisch angeordnet, mit großem „Power“-Schalter an der Seite. Bevor Siegmund und Sieglinde ihre ersten Bewegungen machen, werden sie von Wotan mit einem Fingerschnippen zum Leben erweckt und ins Spiel gebracht. Die „Power“-Taste des großen Spieltisches Wotans erleuchtet rot. Die Wotan-Spiele laufen.

Das an sich ist durchaus gut.

Der zweite Hauptgedanke des Regie-Teams scheint es zu sein, das Geschehen zwar unspektakulär darzustellen, aber damit nah an die Lebenswelt und den Alltag der Menschen im Publikum zu holen. Es gibt beim Regisseur Claus Guth noch ein Schwert, und es gibt ganz zum Schluss einen – wenn auch eher symbolischen – Feuerkreis. Doch sonst gibt es eben in Kostümen und Bühnenbild kein einziges exotisches Detail einer alten oder sonst irgendwie fernen Welt. Nichts Heldisches, Kriegerisches, Göttliches, Exotisches.

Der zweite Aufzug spielt in einem Büro, das den Arbeitsplätzen vieler Zuschauer nicht unähnlich sein wird.

Radikal reduziert ist das Bühnenbild im ersten Akt. Auf dem angesprochenen Leuchttisch stehen nur ein Tisch, zwei Stühle, ein Hocker, eine Mikro-Küchenzeile und eine Tür in einer sich bewegenden Mikro-Wand, Requisiten des Alltags in jeder Wohnung der Welt. Weniger geht fast nicht. Das gezeigte Drama spielt nicht in fremden Götterwelten, sondern wird nah an die Welt und das Leben der Zuschauer herangeholt. Das ist ein sehr schöner Regie-Gedanke.

Auch die Idee der totalen Reduzierung und Konzentration auf das Wesentliche, die Beziehungen, ist gut.

Im zweiten Aufzug wird an Wotans Arbeitsplatz ein Ehestreit gezeigt, der Gewaltiges zum Inhalt hat, sich äußerlich aber nicht von tausenden anderen Ehestreiten unterscheidet. Das wirkt zwar äußerlich sehr unspektakulär, kann man aber so machen.

Die reduzierte „Versuchsanordnung“ auf dem Leuchttisch im ersten Aufzug bietet eigentlich die Chance zum genialen Kammerspiel. Gänzlich ohne Ablenkung. Totale Reduzierung auf das Wesentliche, auf die Beziehungen dieser drei Menschen.

Eigentlich.

Denn hier zeigt sich wohl am deutlichsten, warum diese Inszenierung am Ende scheitert. Hier beißen sich die Regie-Ideen und neutralisieren sich gegenseitig.

Dieses Arrangement, diese „Versuchsanordnung“ dreier Menschen in extremst reduzierter Szenerie, quasi unter Laborbedingungen, gänzlich ohne Ablenkungen: Das ist die perfekte Chance für ein wunderbares Kammerspiel! Man könnte auf diesem Leuchttisch wie mit der Lupe genauestens die Beziehungen, die Gefühle und die Nuancen im Spiel beobachten. Alles ist angerichtet für ein psychologisches Sezieren.

Wenn da nicht diese andere Hauptidee der Regie wäre: Wotan als Puppenspieler und fast alles dirigierender Weltregisseur. Siegmund und Sieglinde sind leider nur seelenlose Marionetten, gebrochene Figuren ohne eigenen Willen, leidenschaftslose Knetmasse in Wotans Händen. Schemenhaft, unlebendig und ein wenig wie Puppen oder Roboter bewegen sich die Figuren über die Bühne.

Da macht psychologisches Sezieren keinen Sinn. Es ist zwar alles wunderbar angerichtet, doch leider, leider: Das große Kammerspiel fällt aus! Das wirkt wie vom Regisseur nicht zu Ende gedacht. Potentielle Stärken können sich nicht entfalten und anderes wird zur Schwäche.

Leider fallen auch große Gefühle aus. Die Erkennens- und Liebesszene wirkt extrem unlebendig und blutleer. Man nimmt den von Wotan gesteuerten Puppen die Liebesgeschichte nicht ab.

Absolut unheldisch sind auch die Walküren, verwahrloste Geschöpfe in einer schmutzigen und heruntergekommenen Irrenanstalt. Wahrscheinlich soll das ihren Seelenzustand zeigen, denn auch sie sind nur arme Werkzeuge Wotans. Sie sind ein erbärmlicher Anblick. Das ist nicht schön anzuschauen, kann man aber so machen.

Die Inszenierung von Claus Guth ist sehr erfolgreich darin, Wotan als Manipulator, als Zerstörer und Schänder der Welt und ihrer Lebewesen zu zeigen.

Leider bleibt in dieser Inszenierung sehr viel Gefühl auf der Strecke und das nicht nur durch das Weglassen von schönen Bildern.

Der Höhepunkt des Abends ist die US-Amerikanerin Jennifer Holloway als Sieglinde! Sie hat eine sehr starke, dichte, intensive und cremige Stimme. Sie ist in jedem Moment und mit gewaltiger Ausdauer und langem Atem souverän im Gesang, sowohl in den Tiefen als auch in den herrlich schön strahlenden Höhen. Auch ihre Textverständlichkeit ist ganz hervorragend.

Ihr „Oh hehrstes Wunder! Herrlichste Maid!“ im dritten Akt berührt zutiefst und begeistert mit massiger Schönheit. Das ist nicht nur die Sternstunde des Abends, sondern sicher einer der Höhepunkte der Hamburger Opern-Saison. Allein dafür hat sich der Besuch dieser Walküre schon gelohnt.

Man mag es gar nicht glauben, aber diese Vorstellungen in Hamburg sind Jennifer Holloways Debüt in dieser Rolle. Und noch mehr als das. Es ist ihre erste gespielte Wagner-Rolle überhaupt. Frau Holloway ist eine Entdeckung und wird Wagner-Freunden noch viel Freude machen!

Die Elsa in Lohengrin, die Eva in Die Meistersinger von Nürnberg und die Senta in Der fliegende Holländer hat diese wunderbare Sängerin im Repertoire. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis die Musikwelt Frau Holloway auch in diesen Rollen wird erleben dürfen.

Der chinesische Bass Liang Li ist ein starker Hunding, warm in den Tiefen und in jedem Moment souverän. Man merkt ihm an, dass er regelmäßig in großen Häusern auftritt und mit Dirigenten wie Mariss Jansons, Zubin Mehta, Sir Simon Rattle und Donald Runnicles zusammenarbeitet. An seiner Leistung gibt es überhaupt nichts zu mäkeln. Seine Rolle verkörpert er sehr überzeugend und macht Hundings Gedankenwelt sehr nachvollziehbar. Zudem glänzt der Chinese mit wunderbarer Textverständlichkeit.

Der US-Amerikaner Robert Dean Smith verkörpert einen sehr unheldischen, schwachen, niedergeschlagenen und gebrochenen Siegmund. Und das soll er in dieser Inszenierung auch wohl. Er ist eine Marionette ohne echtes Eigenleben, ohne wirkliche innere Kraft. Leider ist auch sein Gesang recht schwach. Seine Stimme ist zu dünn und hat an diesem Abend zu wenig Volumen, wird ab und zu vom Orchester überdeckt. Auch klingt er zu atemlos, zu gehetzt. Er trifft nicht immer den richtigen Ton. Robert Dean Smith sang bereits diverse Wagner-Partien in Bayreuth, in dieser Aufführung in Hamburg kann er nicht wirklich überzeugen.

Die US-amerikanische Sopranistin Lise Lindstrom kommt als Brünnhilde mit einem wahrlich fulminanten „Hojotoh!“ auf die Bühne. Ihr Walküren-Gesang ist eine wahre Pracht und eines der Highlights des Abends. Neben der wunderbaren Jennifer Holloway, erzeugt auch Lindstrom an diesem Abend ein paar Gänsehaut-Momente mit sehr leuchtenden Höhen. Ganz besonders auch im dritten Aufzug, für den sie sich anscheinend Reserven zurückgelegt hat. Denn wenn man die gesamte Aufführung betrachtet, scheint ihre Stimme ein wenig zu klein zu sein für diese große Partie. Neben Glanzlichtern merkt man, dass sie sich ihre Kräfte einteilen muss. Zwischendurch ist ihr Gesang zu blass, gelegentlich wird er auch vom Orchester übertönt.

Der lettische Bassbariton Egils Silins gibt den Wotan. Wenn er lang anhaltende Töne und getragene, langsamere Melodielinien singen darf, glänzt er, besonders im dritten Aufzug. Sobald das Tempo etwas schneller wird, hat er zumindest an diesem Abend mitunter Probleme, trifft die Töne nicht immer und verliert deutlich an Substanz und Klangschönheit.

Die japanische Mezzosopranistin Mihoko Fujimura gibt Wotans Frau Fricka. Ungöttlich wie dieser, so wie es in der Inszenierung vorgesehen ist. Überzeugend spielt sie das giftige Weib, das sich gnadenlos im Streit durchsetzt. Wenn sie sich effektvoll nach dem Streit die schwarzen Handschuhe wieder anzieht, hat sie erreicht, was sie wollte. Auch Mihoko Fujimura tritt regelmäßig zusammen mit den besten Dirigenten der Welt an den renommiertesten Häusern auf. Bei den Bayreuther Festspielen wird sie in Parsifal auftreten. Leider klingt sie an diesem Abend oft zu hysterisch und kommt beim Singen zu schnell ins Kreischende.

Iulia Maria Dan (Helmwige), Helen Kwon (Gerhilde), Gabriele Rossmanith (Ortlinde), Nadezhda Karyazina (Waltraute), Katja Pieweck (Siegrune), Dorottya Láng (Rossweiße), Ann-Breth Solvang (Grimgerde) und Marta Swiderska (Schwertleite) spielen die Walküren. Sie singen ganz wunderbar! Einzeln überzeugt jede von ihnen und im Chor klingen sie geradezu sensationell gut. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr sich die Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina in ihre Rollen hineinsteigt. Sie singt herrlich und fiebert ganz erstaunlich mit Brünnhildes Schicksal mit. Das ist maximales Mitgefühl!

Das Orchester unter Kent Nagano überzeugt das Publikum und erhält wie alle Sänger am Ende großen Applaus. Doch es fehlt durchaus an Heroik im Klang. Auch lassen musikalisches Timing und dramatische Ausgestaltung bisweilen zu wünschen übrig. Die Blechbläser und das Becken fallen gelegentlich negativ auf. Insgesamt ist die Orchester-Leistung solide und beschert durchaus Vergnügen an der Komposition, doch vom Wagner-Klang an den großen Wagner-Häusern der Republik ist das zu weit weg.

Sebastian Koik, 21. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Die Walküre,
Staatsoper Hamburg“

  1. Ein „kann man so machen“ rettet diese Aufführung nicht. Ein Regieteam ohne Textkenntnis oder Verständnis der Wagnerschen Inhalte, das nur nach der Devise handelt „hier irrt Wagner, ich weiß das besser“ ist für eine Staatsoper Hamburg eine beschämende Leistung. Kent Nagano mag vieles dirigiert haben, aber ein Operndirigent für ein Wagnersches Musikdrama ist er (noch?) nicht.

    Klaus Kronberg

  2. Dear Mr. Schmidt,
    many thanks for the review, I’ve read it with great interest and agree with
    your opinion on the singers – besides Mr. Dean Smith, and on the 14. January I’ve listened Matthias Goerne as Wotan, so for me all have been excellent.
    The staging is from 2008, may be not awesome, but without scandal,
    without fatuous, foolish actualization or interpretation, it concentrates on the
    psychological relationships. It didn’t gave cause for trouble and it didn’t disturb the enjoyment, I’d say, it’s all we want and can get: a serious, intelligent work on the piece – traditional Valkyries are there own parody.
    There were indeed some slips in the orchestra or it sounded weird, ok, nevermind.
    I myself and, as I’ve had the impression, the great majority of the audience enjoyed the style of Nagano to conduct Wagner very much, his unheroic and restrained way. In Hamburg he has great success so far: his Tannhäuser was almost a French evening, the new production of Parsifal is simply great, and in Lohengrin there were moments of tension, I did not experience in 30 years Hamburgische Staatsoper. For me he shows an intelligent, emotional and contemporary interpretation of Wagner. For those, who like it more the traditional german way, there is Thielemann.
    Thanks again for your work, with greetings from Altona.
    Jörg Alpers

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