Fotos: Tiroler Festspiele Erl 2022, © Dr. Ritterband
Die weltbekannte Wiener/Münchner Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender hat seit 1994 respektable 85 Inszenierungen auf die Bühne gebracht – und man merkt es auch diesem zweiten Teil von Wagners „Ring“-Zyklus sofort an, dass hier eine erfahrene Sängerin mit extrem reicher Regie-Erfahrung inszeniert hat: Da stimmt einfach alles. Nach ihrem erfolgreichen „Rheingold“ vom letzten Jahr im alten Passionstheater Erl mit seiner erstklassigen Akustik brilliert sie mit einem exquisiten Ensemble und einem hervorragenden Orchester unter dem souveränen Dirigat von Erik Nielsen in einer packenden, musikalisch großartigen „Walküre“.
Tiroler Festspiele Erl, 17. Juli 2022
Richard Wagner, „Die Walküre“
Orchester der Tiroler Festspiele Erl
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Regie: Brigitte Fassbaender
Bühnenbild und Kostüme: Kaspar Glarner
Video: Bibi Abel
Licht: Jan Hartmann
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Foto)
Unter der Ägide von Brigitte Fassbaender baut sich Erl in Tirol mit seinen beiden architektonisch bemerkenswerten Festspielhäusern inmitten einer atemberaubend schönen und zum Ring höchst passenden Gebirgslandschaft allmählich zur Reputation eines „österreichischen Bayreuth“ auf. Während in der Ära Kuhn die Aufführungen zwar musikalisch durchaus respektabel waren, machten die Inszenierungen und vor allem die Bühnenbilder einen bisweilen selbstgebastelten Eindruck; unvergesslich der nicht mehr zu stoppende Lachanfall des Drachen und Ex-Riesen Fafner, dessen beachtliche Leibesfülle den Sessel zusammenbrechen ließ, auf dem er nichtsahnend Platz genommen hatte.
Die optische Wirkung des „Ring“ ist hingegen unter Brigitte Fassbaenders Regie von perfekter Professionalität; Bühnenbilder (Kaspar Glarner), Videos (Bibi Abel ) und Lichteffekte (Jan Hartmann) sind clever und raffiniert den knappen räumlichen Verhältnissen dieser vor allem für konzertante oder allenfalls teil-szenischen Aufführungen konzipierten Bühne angepasst.
Da wird die bewährte Maxime „weniger ist mehr“ realisiert. Mit ganz wenigen Versatzstücken und vor allem mit exzellenten Projektionen auf den beiden halbrunden Beton-Seitenwänden der Bühne wird der Zuschauer überaus wirksam in das biedere Wohnhaus des Hunding und seiner zwangsweise angeheirateten Gattin Sieglinde mit dem Eschen-Stamm oder in die schroffe Bergwelt der Wotan-Burg versetzt. Hier die schwindelerregend spießige Blümchentapete in ihrer trostlosen Unendlichkeit, dort ein gewaltiger Marmorsteinbruch, der überwältigende Macht suggeriert: Der Effekt sitzt. Sparsam werden immer wieder maschinell betätigte (aber leider nicht ganz geräuschlose), kleine, schräge Hubpodien eingesetzt, welche der engen Bühne eine Art vierter Dimension verpassen.
Und da man sich in der „Walküre“ drei Akte lang wundert, wie denn die Regie die technische Herausforderung des Feuer-Rings um Brünhildes Ruhestätte lösen werde, so erwartete den Zuschauer in Erl eine hervorragend gelungene Überraschung: Schon zuvor beobachtete ein junger hübscher Mann in knallgelben Anzug von einer Empore herab diskret das Geschehen unter ihm auf der Bühne und die Vermutung, dass es sich nur um Loge (Thomas Riess) handeln könne, bestätigte sich alsbald: Auf Geheiß Wotans ließ er Stichflammen aus der Bühne emporschießen und schließlich einen mit Trockeneis-Rauchschwaden ergänzten roten Lichterkranz um die Bühne hervorzaubern. Das funktionierte perfekt.
Im Gegensatz zu Bayreuth ist hier das Orchester nicht unter die Bühne verbannt, sondern es wird hinter einem großen Gaze-Vorhang hinter der Bühne platziert: So ergießen sich ungehindert die Klangwolken dieses zugleich subtil und überwältigend kraftvoll agierenden Orchesters der Tiroler Festspiele in den Zuschauerraum. Geheimnisvoll glimmen die Lämpchen der Notenpulte durch den halbtransparenten Vorhang. Vielleicht geht dieser Geräuschkulisse bisweilen die theatralische Spannung, die wechselhafte Dramatik, die in der Handlung vorgegeben ist, ab – aber die Perfektion dieser Interpretation von Wagners streckenweise fast überirdisch schönen Musik ist unbestreitbar.
Und die Sängerinnen und Sänger sind stimmlich und schauspielerisch einfach fantastisch. Irina Simmes gibt die Sieglinde als verschüchterte, wunderschöne, brutal unterdrückte und von ungestillter Liebessehnsucht getriebene Gattin des brutal machistischen Hunding (Anthony Robin Schneider). Mit ihrer jungen, klangvollen, leichten und doch starken Stimme bringt Simmes einen einzigartigen Kontrast zum maskulinen Gesang ihres bösen Gemahls auf die Bühne. Und im Liebes-Dialog mit dem großartigen Tenor Clay Hilley als Siegmund kommen alle Facetten dieser herrlichen Musik zur Geltung.
Hilley war vielleicht nicht der perfekteste Tenor, den man in dieser Rolle weltweit zu sehen bekam; seine große Arie „Winterstürme“ wurde zwar empfindsam, aber ohne überragenden tenoralen Schmelz dargebracht und anfänglich wirkte seine Stimme gar etwas blechern. Das besserte sich radikal mit der Nothung-Szene – der Jubel des Erler Publikums war auch ihm gewiss. Simon Bailey als Wotan war unbestritten die zentrale Figur dieser Aufführung – klare, sichere, männliche Stimmführung und bewegendes Spiel. Die Fricka der Claire Barnett-Jones, die ihm unverkennbar nicht nur Respekt, sondern Angst einflößte, war diesem Wotan eine kongeniale Partnerin.
Sängerisch und schauspielerisch war die Brünnhilde der Christiane Libor Star dieses bemerkenswerten Nachmittags: Eine starke, schöne aber stets hervorragend kontrollierte Stimme im berührenden Dialog mit ihrem hin- und hergerissenen Papa Wotan, dessen Vaterliebe hier auch kurz mal ins inzestuöse abgleitet. Wunderbar das musikalisch perfekt ausgefeilte Oktett der acht Walküren-Kolleginnen von Brünnhilde, die ihr zwiespältiges Verhältnis zu Wotan – zwischen kindlicher Verehrung, Angst und aufkeimender Ironie – in dieser psychologisch fein austarierten Regie deutlich zur Geltung kommen lassen.
Dr. Charles E. Ritterband, 18. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wotan: Simon Bailey
Brünnhilde: Christiane Libor
Sieglinde: Irina Simmes
Siegmund: Clay Hilley
Fricka: Claire Barnett-Jones
Hunding: Anthony Robin Schneider
Loge: Thomas Riess
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