Bayreuther Festspiele, 5. August 2022
Richard Wagner, Götterdämmerung
Valentin Schwarz. Foto © David Sünderhof
von Andreas Schmidt
„Absetzen, absetzen!“ So viele und laute Buhrufe für die Inszenierung hat „Der Ring des Nibelungen“ in seiner wechselhaften Geschichte seit 1876 nicht erlebt: Ein Buh-Orkan prasselte – zurecht – auf das Regie-Team des Oberösterreichers Valentin Schwarz, Andrea Cozzi (Bühne), Stephan Mannteuffel (Mitarbeit) , Andy Besuch (Kostüm), Konrad Kuhn (Dramaturgie), Reinhard Traub (Licht) und Luis August Krawen (Video).
Schon nachdem der Vorhang gefallen war, waren die meisten Zuschauer auf Zinne und buhten lautstark. Noch lauter wurde es, als Schwarz mit seinem Team auf die Bühne kam. Auch der nicht immer präzise Dirigent Cornelius Meister und die Sopranistin Iréne Theorin bekamen zahlreiche Buhrufe. Die Schwedin präsientierte sich in der Tat sehr schlecht, mit nervendem Dauervibrato vor allem im hohen Register. Diese dürften ihre letzten Bayreuth-Auftritte gewesen sein.
Die stimmlich beste Leistung mit einem überragenden Timbre bot die Sopranistin Elisabeth Teige als Gutrune. Stark auch mit viriler Stimme Michael Kupfer-Radecky als Gunther – der Wotan-Einspringer für den verletzten Bariton Tomasz Konieczny im dritten Aufzug der „Walküre“. „Der dritte Mann“ Clay Hilley sprang als Siegfried, bestens aufgelegt und am Vortag aus dem süditalienischen Bari eingeflogen, für den indisponierten zweiten Mann, Andreas Schager, ein, der den erkrankten Tenor Stephen Gould hätte ersetzen sollen. Schager war der gefeierte Hammer-Siegfried im „Siegfried“.
Andreas Schmidt, 5. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
EINE AUSFÜHRLICHE KRITIK KOMMT IM LAUFE DES TAGES.
Richard Wagner, Lohengrin Bayreuther Festspiele, 4. August 2022
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Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 1. August 2022
Die Götterdämmerung wurde vom Bayerischen Fernsehen online gestellt. Ich sah und hörte mir den dritten Aufzug an. Andreas Schmidts Beurteilung der sänergischen Leistungen kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen. Elisabeth Teige, die ich bisher nie gehört hatte, hob die Gutrune aus der Sphäre einer Nebenrolle auf die Höhe einer Hauptpartie. Im Oktober wird sie in Hamburg die Leonore mit Klaus Florian Vogt als Florestan singen, Ich freue mich jetzt darauf.
Iréne Theorins übermäßiges Vibrato störte mich während der Radioübetragung der Walküre mehr als jetzt bei zusätzlicher optischer Interpretation in der Götterdämmerung. Sie schien ob der Missfallensäußerungen bei ihrem Solovorhang durchaus überrascht zu sein. Möglicherweise bemerkt man beim Singen die fehlende Stimmkontrolle nicht mehr. Schade, dass die brilliante Catherine Foster von der Brünnhilde auf die Isolde wechselte.
Clay Hilley fand ich ausgezeichnet. Sein „Brünnhilde, heilige Braut“ war ausgesprochen schön und zart gesungen, das war sehr berührend. Den Schluss mit dem von Brünnhilde angesungenen abgeschlagenen Kopf empfand ich durchaus als Zumutung. Man müsste mal Frau Theorin fragen, warum sie sich gegen diese Salome-Verballhornung nicht gewehrt hat.
Ralf Wegner
Bravo ich sah auch die Video Übertragung am PC. Es war eine Zumutung! Ich bemühte mich um Tickets, Gottseidank habe ich keine bekommen!
Steinmetz Gisela
TV Übertragung auf SAT 3 „Götterdämmerung“:
Auch die schlechteste Inszenierung – und diese übertrifft sogar den Schlingensief-Parsifal – kann die wunderbare Wagner-Musik nicht kaputt machen, zumal die meisten Sänger auch gut waren. Also Augen schließen und hören… Was denkt sich Katharina Wagner, dem Publikum solche katastrophale Inszenierung zuzumuten, die Spitze bzw. der Tiefpunkt war Grane das Ross. Auch wenn man aus dem Ring kein Heldenepos auf die Bühne bringen möchte, muss es doch andere Möglichkeiten geben, auch nicht unbedingt aus dem Gold Öl oder gar ein Kind (das übrigens in der Darstellung ganz zauberhaft war) zu machen.
Gritt Kuhnt
Ein schwarzer Tag für die deutsche Kultur, für Wagner, für Bayreuth, seine da noch rumtollenden Nachfahrinnen und Nachfahrinnen – die Dämonen tanzen auf den Tischen. Nur noch Abscheu.
Wir fanden die Inszenierung abwegig und furchtbar. Die Sänger müssen fast alle bei Wagner so voluminös sein? Das arme Kind hätte ich nicht zur Verfügung gestellt. Gunter und Hagen gefielen uns am besten.
Ehrlich gesagt, ich habe mich nach einer Verdi-Oper gesehnt… Es war zum Abgewöhnen.
Dietlinde Trahndorff
Richard Wagner hat jahrelang an seinen Werken gearbeitet. Er hat mit Absicht seine Gedanken in die Welt der Deutschen Götter und Helden gebettet. Seine Gedanken sind zeitlos. Man muss sie nicht in die Gegenwart zerren um sie zu verstehen. SeIne Anweisungen waren präzise. Daran sollte man sich halten.
Hugo Zsolnai
Ich kann Herrn Zsolnai hier nur Recht geben. Die Bilder, die Philosophie, die handelnden Personen und Figuren, die menschlichen Verstrickungen und Tragödien, die Wagner in seinem Ring darstellt, sind den sich immer wandelnden, kurzlebigen Epochen übergeordnet, zeitlos. Sie müßen daher nicht bei jeder Aufführung neu – etwa in die jeweilige Gegenwart – von einem Regisseur „übersetzt“ werden. Wenn Wagner als Kulisse für diese menschlichen Tragödien nun einmal die Welt der der germanischen Götter und Helden gewählt hat, so sollte man das auch so akzeptieren und belassen. Richard Wagner ist hier immer noch der Autor und künstlerische Urheber des Werkes und nicht ein Herr Schwarz oder Weis. Es bedarf nur eines Minimums an Intelligenz, diese menschlich-allzu-menschlichen Handlungen der Götter und Helden auch auf andere, spätere Zeiten oder auf unsere Gegenwart zu übertragen, da sie eben allgemein gültig sind. Aber soviel Intelligenz und Phantasie sollte man dem Opernpublikum schon selbst zumuten. Dazu braucht es keinen „Regisseur“, der ständig mit erhobenem Zeigefinger, wie im Kindergarten, darauf hinweist: Schaut her, ich habe etwas ganz „Neues“ und „Geniales“ entdeckt, etwas, auf das ihr als Publikum nie gekommen wärt. Man kann den Ring nämlich auch in der Zeit von Luther, in der der französischen Revolution, im ersten oder zweiten Weltkrieg oder wie in einer Seifenoper im Fernsehen im Jahr 2022 etc. etc. spielen lassen. Natürlich! denn Wagner hat die Handlung zum Ring ganz bewusst in eine geschichtlich unergründlich weite Vergangenheit gelegt, damit sie die Zuhörer – durch ihre eigene Phantasie und Erfahrung – in alle späteren, danach folgenden Epochen projizieren können. Er lässt hier bewusst all diese Deutungsmöglichkeiten offen. Beleuchtet nun ein Regisseur in einer Inszenierung, wie mit einem Brennglas, NUR eine dieser vielen Deutungsmöglichkeiten – etwa unsere Gegenwart – verliert der Ring an Dimensionen, an Deutungsreichtum, er verarmt, wird geistig heruntergezogen. Es sind eben menschliche Archetypen, die Wagner im Ring darstellt und die, sofern sie ein Regisseur sprechen lässt, für sich selbst sprechen und keiner zweifelhaften Übersetzung bedürfen. Hinzu kommt, dass derartige Übertragungen des Rings in andere Zeitepochen nun nach rund 40 Jahren schon derart abgedroschen und ermüdend sind. Warum den Ring nicht einfach so inszenieren, wie es sein genialer Erfinder wollte? Vielleicht bringt hier das Desaster nach der Bayreuther Aufführung 2022 eine Wende – Das Publikum scheint nun jedenfalls nicht mehr jeden „Fraß“, der ihm von der Regie vorgeworfen wird, anstandslos mit Applaus zu honorieren.
Jörg Klotz (Organist)
Ende des Festes!? Die Intention Wagners eines Festspiels auch gerade ein mythisches Welten—Drama (zur Katharsis ?) ins dumpfe Gegenteil (gar mit Änderung von Inhaltsbezügen) eines schwülen Alltags zu erniedrigen, ist der Regie gelungen! Ein Fest der Pein! Er möge lesen: Odo Marquard, Moratorium des Alltags. Eine kleine Philosophie des Festes. 1987 und 2003. Will das Festspielhaus sich mit Macht liquidieren?? Ende des Festes.
Seit nun mehr 40 Jahren diese ermüdenden Wagner-Inszenierungen! Man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Opernintendanten und Regisseure nur noch über die Werke der Vergangenheit lustig machen und keinerlei Respekt vor der Kunst und der Leistung der Autoren/Komponisten mehr haben. Gerade bei Wagner gibt es unheimlich viele und detaillierte Regieanweisungen in den Autographen seiner Partituren. Diese Regieanweisungen sind immer sensibel auf die Komposition selbst abgestimmt, auf die Harmonie, die Rhythmen, die Orchestrierung etc. Gehören diese Anweisungen etwa nicht zum Werk, zum Willen des Autors? Die Regisseurinnen – besonders in Bayreuth – handeln hier so, als würde ein Dirigent willkürlich die Noten in einer Partitur verändern, nur weil ihm irgendeine Harmonie so nicht passt oder anstelle PP, FF spielen lassen. Die Komponisten haben diese Regieanweisungen aber nicht unüberlegt, etwa im Suff, in ihre Partituren geschrieben. Sie gehören genauso zum Werk, wie jede Note in der Partitur, jede Dynamik – der Tempoangabe.
Will man das nicht akzeptieren und wenn man das Werk an sich ohnehin nicht mag, so sollte man es einfach auch nicht aufführen! Niemand zwing einen dazu. Und seltsamerweise wird dieses Verfahren der Opernregisseure nur bei schon verstorbenen Komponisten angewandt. Bei noch lebenden Komponisten hält man sich zumeist treu an die Regieanweisungen in den Partituren. Natürlich ist Kunst frei und das beinhaltet auch, dass Werke parodiert werden dürfen. Allerdings sollte man dann als Opernintendant, als Dirigent und Regisseur auch so ehrlich sein, die Aufführung als eine Parodie, als eine Satire auf das Werk zu bewerben und nicht als ein Originalwerk von Schiller, Mozart oder Wagner.
Jörg Klotz
Fortsetzung zu meinem Kommentar vom 01. 10: Man sollte auch nicht vergessen, dass ein in Deutschland zu rund 90% durch Steuergelder subventioniertes Theaterwesen immer auch einen für die gesamte Bevölkerung zugänglichen Kultur- und Bildungsauftrag hat. Dass bedeutet, dass die durch die Inszenierung dargestellten Werke auch von primär nicht kulturell „sozialisierten“ Menschen noch verstanden werden können sollten. Menschen, die vielleicht zufällig zum ersten Mal eine Opernaufführung sehen, die die Handlung vorher nicht kennen und keine 100-seitige Einführung eines Regisseurs dazu gelesen haben. Die Kunst der Inszenierung besteht eben auch darin, diese Menschen mitzunehmen und das betreffende Werk für alle allgemein verständlich darzustellen. Zumindest verstanden unsere Klassiker – Mozart, Weber, Goethe, Lessing, Schiller, Kleist, Wagner aber auch Brecht etc. – Theater auf diese Weise. Wer Theater oder Oper nur noch für eingefleischte Theaterhasen macht, die die Handlung und Libretti ohnehin schon auswendig kennen oder nur für studierte Theaterwissenschaftler, für studierte Regisseure, für studierte Musiker, Musik- oder Kulturwissenschaftler, der macht etwas falsch. Ebenso macht der etwas falsch, der Theater und Oper nur noch für ein reiches Schickimicki-Publikum macht. Ein Opernpublikum etwa, dass den Lohengrin schon 1000 Mal gesehen hat und vielleicht als letzten überreizten Gag noch braucht, dass der Ritter anstelle in einem von einem Schwan gezogenen Nachen auf einem Motorroller auf die Bühne fährt und dabei dem Publikum den St…finger zeigt. Zudem sollte man jungen Menschen und Kindern auch die Möglichkeit geben, die Werke in ihrer Originalgestalt – also nicht etwa durch Gewalt entstellt – kennenzulernen. Wie sollen sie denn später Abstraktionen, Überlagerungen, Umdeutungen und Karikaturen der Werke durch die moderne Regie verstehen und richtig einordnen können, wenn sie in Deutschland nirgendwo die Möglichkeit hatten, die Originalwerke auf der Bühne zu sehen? Also quasi die Urform eines Werkes, auf die sich dann all diese Verfremdungen der modernen Regie beziehen? Sehen Kinder oder Jugendliche nun zum ersten Mal eine Oper von Mozart, Wagner oder Debussy in solchen Inszenierungen, denken sie wohl, so sehen die Originalwerke dieser Komponisten aus – und kommen dann, weil sie nichts verstanden haben oder Angst haben, nie wieder.
Jörg Klotz, Organist