Foto: Lohengrin © Ruth Walz
Salzburg, Großes Festspielhaus, 18. April 2022
Richard Wagner Lohengrin
Romantische Oper in drei Aufzügen
Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann Dirigent
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Bachchor Salzburg
Chor des Salzburger Landestheaters
Regie: Jossi Wieler, Anna Viebrock, Sergio Morabito
Besetzung: Eric Cutler, Jacquelyn Wagner, Hans-Peter König, Elena Pankratova, Martin Gantner, Markus Brück
von Herbert Hiess
Diese Abschiedsvorstellung Christian Thielemanns von den Salzburger Osterfestspielen ist für ewig in das Gedächtnis des Rezensenten „eingebrannt“. Was der Maestro da an Klangerlebnissen hören ließ, sucht seinesgleichen. Aber nun der Reihe nach.
Die Regie der Oper ist durchaus interessant und kurzweilig; nur benötigt der „unbedarfte“ Zuseher da offenbar einen Beipackzettel wie bei einem Medikament in der Apotheke. Das Regietrio Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito siedeln die Handlung (unpassenderweise) bei einem Kanal in einer Art Slum an und betrachten die Handlung um Elsa von Brabant und dem Gralsritter Lohengrin als Kriminalfall. Das Regietrio sieht übrigens Elsa als Hauptfigur in der Oper. Wahrscheinlich ist sie das auch, denn letztlich drehen sich die meisten Szenen um sie. Die Titelfigur wird in Salzburg als fast dümmlicher „Anti-Held“ dargestellt – warum, ist allerdings nicht klar.
Interessant war bei der Regie die Personenführung. Bei den beiden Erscheinungen des Schwanes im ersten und dritten Akt bewegten sich die Leute auf der Bühne wellenförmig, so dass die Bewegung auf dem Wasser suggeriert wurde. König Heinrich war in der Produktion ein General, der hier nicht die normale Bevölkerung, sondern die Soldaten kommandierte. Der Heerrufer (im Prinzip eine Hauptrolle, die immer mit führenden Sängern besetzt wird) wurde als Person aufgewertet – hier war er ein veritabler Befehlshaber.
Der Beginn des zweiten Aktes war in der kruden Kanals-Szenerie ein Kammerspiel zwischen Elsa und Ortrud; letztere war hier keine Dämonin, wie sie sonst immer dargestellt wird, sondern eine verletzliche Frau. Diese Eigenschaft legte sie natürlich im dritten Akt ab.
Merk- und fragwürdig war das auf offener Bühne inszenierte Vorspiel. Während das Orchester in himmlischen Klängen schwelgte, sah man Elsa burschikos gekleidet (mit einer schwarzen Lederhose) auf der Bühne liegen – sie zog sich während des Vorspiels dann für ihre richtige Rolle um. Ganz zum Schluss ging sie wieder zurück in diese Kleidung – wollte man sie da für den durch die Regisseure herbeigedichteten „Kriminalfall“ wieder umkleiden?
Diese Ansicht ist genauso fragwürdig, wie die diversen Rollendarstellungen. Nur als kleines Beispiel ist die Wandlung von Ortrud von einer Frau und Witwe (von Telramund, der im zweiten Akt von Lohengrin erschlagen wird) zu einer Krankenschwester, als die sie im dritten Akt auftrat.
Nun weg von der zeitweise abstrusen Regie zum tatsächlichen Ereignis des Abends. Das waren eindeutig Christian Thielemann, die Chöre und die Staatskapelle Dresden. Schon im Vorspiel, das im zartesten hohen A-Dur-Akkorden das Herabsteigen Lohengrins beschreibt, war atemberaubend. Die schon oben erwähnte unsinnige Regie der Ouvertüre konnte dieses Klangerlebnis nicht wirklich stören.
Thielemanns Bandbreite bei den Musikern reichte vom zartesten Pianissimo bis zu gewaltigen Forteausbrüchen – ohne dass man von diesen „erschlagen“ wurde. Der Maestro ließ hier seine ganze Kunst hören. Beispiellos, wie hier lange musikalische Bögen gespannt wurden. Seien es beispielsweise im zweiten Akt die Szene mit Elsa und Ortrud oder im gleichen Akt die Hochzeitsszene. Gemeinsam mit den großartigen Chören wurde hier ein seltenes Klangerlebnis geschaffen.
Ein besonderes Atout der Staatskapelle sind neben den Streichern (übrigens hier nur die mittelgroße Besetzung mit sechs Kontrabässen) die hervorragenden Holzbläser und auch die Blechbläser. Im zweiten Akt brillierte das Holz bei Elsas Klage unnachahmlich; da merkte man, dass Thielemann ein perfekter Sängerbegleiter ist. Und auch das „schwere“ Blech war an diesem Abend bestens disponiert. Vor allem bei den großen Szenen mit dem König und den Chören waren diese ein Ereignis – zusätzlich dazu der hervorragende Paukist.
Die Sänger waren durchwegs hervorragend; ganz anders als früher gibt es nicht mehr die tragenden und schweren Wagner-Stimmen. „Lohengrin“ wird ja gerne als lyrische Oper gesehen; genauso sieht es der Dirigent auch. Die Stimmen dazu waren passend gewählt. Jacquelyn Wagner hat tatsächlich keine riesige Stimme, wobei diese trotzdem tragfähig genug ist, um die Rolle gekonnt zu präsentieren. Elena Pankratova als Ortrud würde man eine bessere Diktion wünschen. Phantastisch, wie ihre Stimme klingt und bewundernswert ihre Höhensicherheit (großartig das „Entweihte Götter“ aus dem zweiten Akt). Aber ihr fehlen so wie Frau Wagner die interpretatorischen Zwischentöne. Man würde doch gerne mithören, was sie singen und vor allem fühlen.
Martin Gantner ist ein hervorragender Telramund, der von seiner Frau Ortrud in dieser Regie gekonnt als „Waschlappen“ dargestellt wurde. Gerne hätte man die Bösartigkeit auch in seiner Stimme gehört. Er hat einen relativ hohen Bariton; da hätte man sich manchmal das „Markige“ eines Sigmund Nimsgern gewünscht. Hans-Peter König als Vogler und Markus Brück als Heerrufer waren auf alle Fälle festspielwürdig.
Eric Cutler als Titelheld ist eine Klasse für sich. Der Amerikaner fiel schon im Theater an der Wien sehr positiv als Peter Grimes auf (https://klassik-begeistert.de/benjamin-britten-peter-grimes-theater-an-der-wien25-oktober-2021/) und hier in Salzburg bestätigte er genau das, was man sich damals im Theater an der Wien schon erhofft hatte.
Der Sänger hat einen wunderschönen lyrischen Tenor mit dramatischem Einschlag. Trotz der etwas „idiotisierenden“ Darstellung durch die Regie zeigte er bis zum Schluss Haltung und machte aus seiner Interpretation ein Fest. Er war bei den dramatischen Passagen durchschlagskräftig und höhensicher; bei den lyrischen Passagen ging dem Zuhörer aber das Herz auf.
Unbeschreiblich die Gralserzählung, wegen der sich schon allein der Besuch der Vorstellung gelohnt hätte. Gemeinsam mit Thielemann zauberte er ein denkwürdiges Erlebnis. Das „Alljährlich naht vom Himmel eine Taube“ war mit den irisierenden im fast unhörbaren Piano klingenden Streichertremoli ein tränentreibendes Erlebnis der besonderen Art.
So konnte man den letzten Abend Christian Thielemanns als Leiter der Osterfestspiele mit einer seltenen Sternstunde erleben. Da stellt sich nur die Frage, was sowohl in die Staatskapelle Dresden als auch in die Intendanz der sächsischen Staatskapelle gefahren ist, ein solches Genie ziehen zu lassen. Was in Salzburg ab 2023 zu hören sein wird, will man vielleicht gar nicht wissen. Dass ein Andris Nelsons mit dem Gewandhausorchester Thielemann in Salzburg „ersetzen“ soll, hätte man sich niemals träumen lassen sollen. Das ist, als ob man anstatt der Ersteigung des Mount Everests nun die Ersteigung des Kahlenbergs (Seehöhe 484m) bei Wien in Angriff nimmt. Und die Staatskapelle wird sich mehr als warm anziehen müssen – Mittelklassedirigenten und -dirigentinnen gibt es zuhauf; einen vom Schlage eines Christian Thielemanns werden sie nie wieder bekommen!
Herbert Hiess, 19. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin, Oper Leipzig am 26. März 2022 (Premiere)
Richard Wagner, Lohengrin Staatsoper Hamburg, 23. Januar 2022