OP gelungen, Patient tot: Wieler & Morabito radieren jeden Funken Mystik aus dem Wiener „Lohengrin“

Richard Wagner, Lohengrin  Wiener Staatsoper, 29. April 2024 PREMIERE
David Butt Philip (Lohengrin) und Malin Byström (Elsa). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn


Das Ende eines Märchens. Jossi Wieler & Sergio Morabito ersticken den „Lohengrin“-Mythos im Keim. Alles grau in grau, während Elsa ihren Bruder im Kanal ertränkt. Christian Thielemann holt die Kohlen nur bedingt aus dem Feuer. Zeppenfeld, Butt Philip & Byström mit Abstrichen. Kampe hebt den Schnitt deutlich in die Höhe.

Richard Wagner, Lohengrin (Premiere)

Wiener Staatsoper, 29. April 2024


von Jürgen Pathy

„Der Dramaturg gehört entlassen!“ Dem wäre im Grunde nichts hinzuzufügen. Sergio Morabito ist seit 2020 an der Wiener Staatsoper als Chefdramaturg engagiert. Mit der dritten Neuproduktion begeht er gemeinsam mit Jossi Wieler an der Wiener Staatsoper ein schweres Verbrechen: die szenische Entmystifizierung des „Lohengrin“. Während Omer Meir Wellber schon ins Fettnäpfchen getreten ist beim Versuch der musikalischen „Entnazifizierung“, scheitert das Regieduo nun an der Szene.

Den Brudermord wollten sie in den Mittelpunkt rücken – das ist gelungen. Elsa fischt Gottfried am Ende als Wasserleiche aus einer Art Wehranlage. Den Mord am Märchen kann man den beiden Regisseuren allerdings nicht verzeihen. Von Anfang bis Ende dominiert Tristesse das Bühnenbild. Die Kostüme fügen sich da nahtlos ein. Den Titelhelden werfen sie gar der Persiflage zum Fraß vor.

Kettenhemd, Kreuzritter-Symbolik, während durch zerrissene Hosen Metall hervorblitzt. Erster Gedanke, während David Butt Phillip das Beste daraus macht: Prinz Eisenherz trifft auf Jonathan Meese, der sich durch zig Jahrhunderte schlagen muss.

Eine „Spezialität“ von Wieler & Morabito, die es lieben, Grenzen zwischen Fiktion & Realität aufzulösen. Soldatenuniformen angesiedelt um den Ersten Weltkrieg. Kreuzritter-Symbolik, die einige Jahrhunderte zuvor ihren geschichtlichen Background findet. Dazwischen moderner Gucci-Schick, in den Elsa zum Ende schlüpfen muss.

Die gestaltet ihre Rolle der Neudeutung gerecht. Hochdramatisch, im zweiten Akt auf Augenhöhe mit ihrer Kontrahentin Ortrud. Dass Malin Byström als naive Elsa grundsätzlich ein Fehlgriff wäre, daran zweifelt eigentlich keiner. Als machtbesessene Mörderin, als die man sie entlarvt, trifft ihr absolut nichts Niedliches verströmender Sopran allerdings den Kern dieser Inszenierung.

Martin Gantner (Telramund) und Anja Kampe (Ortrud) © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Manch Fragezeichen löst sich zum Wohlwollen auf

David Butt Philip war eigentlich das große Fragezeichen. Der Brite löst seine Aufgabe als Lohengrin immerhin souverän. Ein schönes Material, das in der Mittellage ein sonores Timbre verströmt, auf dem man sich schon ausruhen kann. Die Spitzen sitzen ebenso, an der Pianokultur könnte der 44-jährige Tenor noch feilen.

David Butt Philip (Lohengrin) und Ensemble © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Georg Zeppenfeld ist eigentlich jeglicher Kritik erhaben. Personenkult fast schon wie bei Christian Thielemann. An der Textverständlichkeit des westfälischen Edelbasses gibt es natürlich nichts zu bemängeln, die Autorität eines Königs ist seine Sache jetzt unbedingt nicht. Sein Heerrufer erwischt überhaupt einen schwarzen Tag. Attila Mokus kämpft an allen Fronten.

Der Telramund ist das, was er in dieser Deutung sein soll. „Eine helle Stimme“, die angeblich nicht übers Orchester käme, meinen einige, die bereits in Salzburg bei der Premiere dabei waren. Widerspruch: Neben Anja Kampe, die als durchschlagskräftige Ortrud eine Duftmarke setzt, löst Martin Gantner seine Aufgabe doch mit Bravour.

Thielemanns Spätzündung

Thielemann und das Staatsopernorchester lassen aber einige Wünsche offen. Ob es am Dirigat liegt, dass der Funke erst gegen Ende des zweiten Akts überspringt oder an der Tagesverfassung des Orchesters – vermutlich eine Konstellation beider Faktoren. Das Opium packt Thielemann auf jeden Fall erst gegen Ende aus. Ein dreiaktiges Crescendo. 1. Akt: Vorsichtiges Abtasten, fleischiges Vorspiel. 2. Akt: Angezogene Zügel, vereinzelte Duftmarken. 3. Akt: Höhepunkt, alles kulminiert auf der Generalpause, nachdem Elsa das Frageverbot bricht. „Weh, nun ist all unser Glück dahin“, muss Lohengrin zur Kenntnis nehmen.

Dem Wiener Publikum ergeht’s nicht besser. Dieses optische Desaster einer Inszenierung muss es nun einige Jahre ertragen. Lautstarkes Buh! vereinzelt auch für David Butt Philip und Malin Byström.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 30. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ein Gedanke zu „Richard Wagner, Lohengrin
Wiener Staatsoper, 29. April 2024 PREMIERE“

  1. Ich versteh nicht, dass alle so überrascht tun…
    Das Machwerk war ja schon zu (vergangenen) Thielemann-Zeiten in Salzburg bei den Osterfestspielen zu sehen.
    Dass Opernhäuser Produktionen übernehmen, die erst das Licht der Bühne erblicken müssen, ist der langen Vorplanung geschuldet und (eventuell) Thielemann als Qualitätsmerkmal anzusehen, ist nicht nur ein Mal daneben gegangen…
    Es geht auch oft Sängern und Sängerinnen so, dass sie eine Produktion zugesagt haben und erst später das Malheur sehen. Meist ist es dann zu spät.

    Waltraud Becker

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