Foto: © Michael Pöhn, Elena Zhidkova als Kundry an der Wiener Staatsoper
Die Akustik ist in der Wiener Staatsoper um ein vielfaches besser als in der Staatsoper Hamburg. Gurnemanz singt sehr stark an Donau und Elbe. Parsifal ist in Wien eine Enttäuschung, in Hamburg ein Debakel. Katharina Wagner sollte schnellstens Elena Zhidkova als Kundry nach Bayreuth holen.
Staatsoper Hamburg, 28. April 2019
Wiener Staatsoper , 18. und 25. April
Richard Wagner, Parsifal
Mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ von Richard Wagner ist es wie mit einem guten Rotwein: Es wird besser, je öfter man es hört. „Parsifal“ ist gigantisch schöne Musik, das Lebensabschiedswerk eines Jahrtausendkomponisten. Parsifal betört die Sinne und macht süchtig, je länger man die Oper hört. „Parsifal“ beseelt. Es ist die Mega-Oper schlechthin.
Ich hatte das große Vergnügen, „Parsifal“ drei Mal binnen elf Tagen zu hören: zwei Mal in der Wiener Staatsoper (1709 Sitzplätze und 567 Stehplätze) und einmal in der Staatsoper Hamburg (1690 Plätze). Zweimal also im bedeutendsten Opernhaus der Welt in Österreichs Hauptstadt, und einmal in der an Einwohnern (1,9 Millionen) gleich großen Freien und Hansestadt Hamburg.
Die Inszenierungen so verschieden wie Sonne und Schatten. In Wien die opulente Inszenierung im Otto Wagner Spital von Alvis Hermanis, in Hamburg die symbolträchtige, dunkle, mysteriöse Spielart von Achim Freyer. Beide Inszenierungen sind hochwertig, regen zum Nachdenken an, stellen Fragen, machen Staunen, sind künstlerisch wertvoll und, keine Selbstverständlichkeit im Opernbetrieb: Sie verschrecken nicht.
Hamburg: Schulnote 1. Wien: Schulnote 1.
Akustik: Armes Hamburg, mit deinem biederen Opernsaal aus den 1950-Jahren siehst Du in Sachen Innenarchitektur und Klang keinen Stich gegen das Haus am Ring, das in diesem Jahr 150-jähriges-Bestehen feiert: am 25. Mai. Die Fortissimo-Stellen sind in Wien um ein Vielfaches mächtiger, im Vergleich zu Wien sind die Gralsglocken in HH Gralsglöckchen. Die Stimme aus der Höhe kommt in Wien wahrlich und erschauernd aus der Höhe, aus einer Kammer über dem großen Luster. In Hamburg kommt dieses Klanggefühl nicht ansatzweise auf.
Hamburg: Schulnote 3. Wien: Schulnote 1.
Orchester: Das Wiener Staatsopernorchester, garniert mit vielen Musikern der Wiener Philharmoniker, gilt es bestes Opernorchester der Welt. In 9,8 von 10 Tagen spielt es das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in Grund und Boden, ist differenzierter, agiler, präziser, präsenter, stimmiger. An beiden Tagen in Wien spielten sehr viele junge Musiker, vor allem am Gründonnerstag war die Fehlerquote ungewöhnlich hoch. In Hamburg war die Fehlerquote am Sonntag noch höher, vor allem die Blechbläser machten auffallend viele Individualfehler – sie sind von nationaler oder gar internationaler Klasse weit entfernt.
Hamburg: Schulnote 3. Wien: Schulnote 2.
Dirigenten:
Kent Nagano und Valery Gergiev dirigieren das Werk sehr stimmig und mit sehr viel Einfühlungsvermögen. Gergiev ist von beiden der beseeltere, der ent-rücktere Stabführer, der noch mehr Wagner aus dem „Parsifal“ hervorzuholen vermag. Im Vergleich zu Gergiev ist Naganos Parsifal eine Spur zu brav und nüchtern.
Hamburg: Schulnote 2. Wien: Schulnote 1.
Die Hauptrollen
Gurnemanz:
In Wien sang der derzeit beste Gurnemanz der Welt, René Pape. Jesus, war der in Form! Was für ein voller, profunder, warmer, väterlicher Bass, garniert mit klarster deutscher Diktion. Wohlfühltimbre vom Feinsten. Immer wieder blitzen funkelnd grelle Farben auf, die anschließend im samten Grau der Nacht am Horizont verblassen. Pianissimo-Zauberei, Gänsehautmomente am Fließband und ein wunderbar dosierter Tempofluss.
Der koreanische Bass Kwangchul Youn ist als Gurnemanz in HH ebenfalls hervorragend! Er hat eine scheinbar unbegrenzte Stimme und unendlich langem Atem. Er begeistert von den herrlich sonoren, wunderbar warmen Tiefen bis zu meist feinen Höhen. Seine Stimme ist weit und dicht. In seiner großen Rolle beweist er enorme Kondition. Mit fast körperlich spürbarer Leidenschaft IST er in Darstellung und Stimme Gurnemanz. Er begeistert mit herrlicher, kontrollierter und allzeit perfekt-souveräner Inbrunst. Seine Stimme wirkt extrem natürlich und authentisch, wie ein Monument, ein Felsen. Einziges kleines Manko an diesem Abend: Je länger die Vorführung dauert, desto dünner wird Youns Stimme im höheren Register. Unterm Strich ganz leichter Vorteil für Pape, trotzdem die Wertung: unentschieden.
Hamburg: Schulnote 1. Wien: Schulnote 1.
Kundry:
Wien: Die russische Mezzosopranistin Elena Zhidkova sang die Kundry bei ihrem Rollendebüt Weltklasse an diesem Abend: Eine wunderbar volle, farbenreiche Stimme hat diese Frau zu bieten. Ihre Höhen waren zum Darniederknien schön, im tieferen Register sorgte sie mit ihrer Erda-Stimme für Gänsehautgefühl. Die Zhidkova beherrscht ihr Instrument perfekt. Ihre Strahlkraft: enorm. Wuchtig. Mitreißend. Sie kann mit ihrer Stimme weinen und lüstern. Flüstern und schreien. Ihre Spielfreude: eine Augenwonne. Dies war die beste Kundry, die ich bislang erleben durfte. Liebe Katharina Wagner: Bitte holen Sie diese Ausnahmesängerin auf den Grünen Hügel.
Trostpflaster für Hamburg. Elena Zhidkova kommt am 26. und 30. Mai sowie am 2. und 9. Juni als La Princesse d’Eboli in Giuseppe Verdis „Don Carlos“ in das Haus an der Dammtorstraße.
Hamburg: Auch die Kundry an der Dammtorstraße war sehr gut. Ulrich Poser schrieb nach dem ersten Auftritt von Tanja Ariane Baumgartner : „Ihr hochdramatischer Mezzosopran schoss die der Rolle eigenen Spitzentöne im zweiten Aufzug akkurat in den letzten Winkel des Hauses an der Dammtorstraße. Die hohe Textverständlichkeit, ihre hohe Phrasierungskunst und in erster Linie natürlich die große Stimme als solche brachten der Sängerin am Ende den verdienten Jubel ein.“ Am Sonntag war Frau Baumgartner nicht ganz so stark und sicher im höheren Register, in dem auch ein paar Fehltöne zu hören waren. Gut war die Leistung unterm Strich immer noch.
Wien: Schulnote 1 +. Hamburg: Schulnote 2 +.
Parsifal:
Hier war ich nach beiden Aufführungen sehr enttäuscht. Die Wiener Staatsoper kann quasi jeden Sänger der Welt verpflichten, und dann liefert der Parsifal Simon O’Neill (Jahrgang 1971) so ein Mittelmaß ab und passt von der Statue und der Ausstrahlung her nicht in die Rolle: „Der Neuseeländer hatte keinen klangschönen Tenor. Wohlfühltimbre: Fehlanzeige. Seine Stimme war brüchig, stumpf, ohne Glanz. Im ersten Aufzug war der Künstler alles andere als richtig eingesungen. Seine Textverständlichkeit lag anfangs bei fast null. Er hat nicht ansatzweise die Strahlkraft eines Klaus Florian Vogt oder eines Andreas Schager. Im dritten Aufzug war zu hören, dass O’Neill bei einigen leisen Stellen nicht mehr mit der erforderlichen Stützkraft sang. Es war allenfalls eine „3“ mit langem Minus, die der Neuseeländer sich erarbeitete.“ Am zweiten Abend wurde es nicht besser, eher noch etwas schlechter.
Da konnte es in HH ja nur besser werden…. Denkste… Als Kritiker versuche ich wirklich immer zuerst das Positive zu sehen, aber was der Tenor Robert Dean Smith darbot, war an diesem Abend leider nicht von besten Eltern. Autor Ulrich Poser schrieb: „Robert Dean Smith scheint als Parsifal seine besten Tage leider hinter sich zu haben.“ Autor Peter Sommeregger hörte Smith in Berlin, er bilanzierte: „Die Glanzzeit hat seine Stimme deutlich hörbar hinter sich.“ Ich war offen gesprochen enttäuscht über die Darbietung des 63 Jahre alten Amerikaners. Er soll zwar bald noch den Siegmund in der „Waküre“ an den Häusern von Neapel und Leipzig singen, aber es ist nach diesem Auftritt in Hamburg etwas fraglich, wie Smith diese Herausforderungen noch mit Bravour stemmen will. Die Stimme war im höheren Register sehr gepresst, eng, metallisch. Bei den Spitzentönen war es leider oft Geschrei, kein Gesang. Der Amerikaner sang diverse Töne falsch an. Die Ausstrahlung eines jungen Gralsritters manifestierte dieser „Gesang“ an diesem Abend nicht.
Und es bleibt – wieder einmal – die Frage, welches „big ear“ der Staatsoper Hamburg diesen – sicher sehr verdienstvollen und Bayreutherfahrenen – Tenor für so eine anspruchsvolle Rolle verpflichtet hat. Schon bei dessen Hamburger „Walküre“ im November 2018, war Smith kein berauschender Siegmund gewesen und leistete sich zahlreiche Fehler. Solange das Haus an der Dammtorstraße Sänger wie Smith in Kernrollen wie Parsifal auftreten lässt, bleibt der Slogan „Musikstadt Hamburg“ eine hohle Phrase.
Hamburg: Schulnote 4 (wegen einiger passabler Passagen im mittleren und tieferen Register). Wien: Schulnote 3.
Amfortas:
Eine starke Leistung bot Thomas Johannes Mayer am ersten Abend als Amfortas im Haus am Ring. Am zweiten Abend verließen ihn – anscheinend wegen Überlastung, er hatte am Vorhaben in Ludwig van Beethovens „Fidelio“ gesungen – zum Schluss die Kräfte und er erntete einige Buhs. Dennoch: Er hat an den richtigen Stellen den richtigen Wumms im Bariton und gab die Leiden des Amfortas überzeugend zum Besten. Ein sehr guter Singschauspieler!
Auch in Hamburg hatt Egils Silins einen starken Abend, sehr markant und kräftig in allen Lagen, sehr männlich, sehr viril. Auch wenn er einen weniger klangvollen Namen hat als Mayer kann er gut mit ihm mithalten.
Hamburg: Schulnote 2 +. Wien: Schulnote 2 +.
Auch die Rolle des Klingsor wurde an der Elbe und an der Donau von beiden Darstellern mindestens gut gesungen. Der Bariton Boaz Daniel sang seine Partie in Wien beißend-böse und sehr prägnant. Vladimir Baykov in Hamburg sang etwas klangschöner und sehr kraftvoll, so stark habe ich ihn im Haus an der Dammtorstraße noch nicht erlebt
Wien: Schulnote 2 +. Hamburg: Schulnote 2 +.
Fazit: In der Musikhauptstadt der Welt, Wien, ist der „Parsifal“ auf einem klar höheren Niveau zu hören als in Hamburg, das „Musikstadt“ werden möchte. Der durchschnittlich mehr als zweifach höhere Kartenpreis in der Wiener Staatsoper ist angesichts des Leistungsunterschieds gerechtfertigt.
Andreas Schmidt, 2. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
STAATSOPER HAMBURG, Sonntag 12.05.2019, 15.00 Uhr
Großes Haus
Parsifal Richard Wagner
Einführung um 14.20 Uhr
Zumindest als Einspringerin für die verletzte Ekaterina Gubanova wird Elena Zhidkova als Venus in „Tannhäuser“ zu sehen/hören sein. Das haben die Bayreuther Festspiele am 12. Juli getwittert.
Jürgen Pathy