Foto: Staatsoper Unter den Linden / Foto: M. Lautenschläger (c)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 30. März 2018
Richard Wagner, Parsifal
von Kirsten Liese
Diese Produktion ist mittlerweile schon ein kultverdächtiger Dauerbrenner. Zum vierten Mal in Folge hat Daniel Barenboim den „Parsifal“ in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov an österlichen Berliner Festtagen aufs Programm gesetzt. Nachgerade auch im Vergleich mit dem jüngsten, ungleich weniger ansprechenden „Tristan“ erscheint diese Arbeit nach wie vor die beste des russischen Regisseurs.
Ausgehend von einer heutigen asketischen Männergemeinschaft erzählt er ein Stück über religiösen Fanatismus. Das passt zu unserer Zeit und auch zu Richard Wagner, der selbst der katholischen Kirche kritisch gegenüberstand und den „Parsifal“ nicht als ein rein geistliches Werk verstanden wissen wollte.
Die schmutzige dicke Mäntel und Wollmützen tragenden Männer (Kostüme: Elena Zayetseva) könnten dabei ebenso Flüchtlinge wie auch Pegida-Demonstranten sein. Tcherniakov geht es nicht darum, eine bestimmte Glaubensrichtung ins Visier zu nehmen, sondern die mit jeglichem religiösen Wahn verbundene Grausamkeit und Verlogenheit aufzuzeigen.
Von wegen (Nächsten)liebe und Frieden: Am Ende wird ausgerechnet der sich zum Hüter über Recht und Ordnung erhebende Gurnemanz, der anfangs noch Parsifal zurechtweist, sich weder an Mensch noch Tier mit Gewalt zu vergehen, zum Mörder an Kundry. Kurzerhand streckt er sie mit einem Messer nieder, desillusioniert trägt Parsifal ihren Leichnam davon.
Vergeblich hofft hier der Rest der Gemeinde auf Erlösung.
Nicht ganz abwegig erscheint es auch, Klingsor als einen Zwangsneurotiker und suspekten Vater vieler Töchter, der Blumenmädchen, zu zeigen. Tcherniakov ist allerdings gut beraten, eine solche Psychologie mit wenigen Gesten nur anzudeuten – die Bilder von einem gestörten Mann, der seine Töchter vermutlich misshandelt und missbraucht, entstehen allein im Kopf. Nur einmal schlägt dieser verklemmt wirkende Tyrann im Disput Kundry als seiner ältesten ins Gesicht. Dass diese Frau, die bei Wagner alles Frauliche als Madonna, Hure, Frevlerin, Büßerin, Liebende und Mutter in einem vereint, in der Kindheit wohl auch Schreckliches erfahren hat, ahnt man, wenn sie Parsifal unter Tränen eine alte Stoffpuppe aus ihrer Mädchenzeit zu Füßen legt.
Von der wechselnden Besetzung dieser Rolle hat die Produktion durchaus profitiert, bringt sich doch jede neue Kundry szenisch etwas anders ein.
Anja Kampe machte den Anfang, darauf folgte Waltraud Meier, die sich bei dieser Gelegenheit gleich von dieser Rolle verabschiedete, und 2017 Anna Larsson.
Diesmal gab es ein Wiedersehen mit Nina Stemme, die in Berlin noch als Isolde in Janowskis konzertantem Wagnerzyklus und Brünnhilde an der Berliner Staatsoper in bester Erinnerung geblieben ist und an diese Erfolge souverän anknüpfte.
Besonders in der Mittellage und in der Tiefe ist ihre Stimme noch dunkler und größer geworden, und Spitzentöne wie auf dem „und lachte“ feuert Stemme, deren Sopran bei ihrer ersten „Turandot“ in Mailand auch schon einmal gefährlich wackelte, souverän wie kleine Leuchtraketen ab. Dazu verströmt sie mit ihrem warmen Timbre in der entscheidenden Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“ auch Erotik.
Unverändert genial auch René Pape, mit seiner sagenhaften stimmlichen Präsenz und exquisiten Textverständlichkeit seit Jahren eine Idealbesetzung als Gurnemanz.
Eine nicht minder gute Figur in Folge machte Andreas Schager, der sich in der Titelrolle von Jahr zu Jahr immer noch steigerte. Eine große Durchschlagskraft besaß der Österreicher von Anfang an, aber zur Premiere sang er vor allem laut und nicht immer ganz sauber. Inzwischen intoniert er perfekt und dynamisiert auch weitaus nuancierter.
Auch alle übrigen konnten sich hören lassen, ob nun Lauri Vasar als ein ergreifend an seiner Wunde leidender Amfortas, Falk Struckmann, für den der Klingsor zu einer starken Altersrolle wurde, und Reinhard Hagen mit seinem mächtigen, profunden Bass in der kleineren Rolle als Titurel.
Daniel Barenboim musizierte mit seiner Staatskapelle auf gewohnt hohem Niveau, atmete mit den Sängern und jeder Melodie organisch mit und zelebrierte die Musik da, wo es geboten erscheint wie beim Abendmahlthema, in feierlicher Langsamkeit. Nur die Hörner, denen selten einmal ein sauberer Ansatz gelang, hatten am Karfreitag nicht ihren besten Tag, aber darüber hörte man bereitwillig hinweg.
Kirsten Liese, 1. April 2018, für
für klassik-begeistert.de